York von Massenbach

„Früher ist man dafür zur Tankstelle gefahren“

Die Managementberatung Atreus hält Lieferdienste für ein zukunftsträchtiges Geschäftsmodell. Doch nur einige Anbieter werden überleben, glaubt der Handelsexperte York von Massenbach.

„Früher ist man dafür zur Tankstelle gefahren“

Von Helmut Kipp, Frankfurt

Lebensmittel-Bringdienste zählen zu den heißesten Start-ups in Europa. Kapitalgeber haben die Jungfirmen mit Geld überschüttet, obwohl diese in der Regel riesige Verluste einfahren. Mitunter erst während der Corona-Pandemie gegründete Start-ups sind in Rekordgeschwindigkeit zu Einhörnern aufgestiegen, haben also eine Bewertung von mindestens 1 Mrd. Dollar erreicht. „Seit Beginn der Pandemie sind weltweit 14 Mrd. Dollar Wagniskapital in Quick Commerce geflossen“, sagt der Berater und Handelsexperte York von Massenbach. „So etwas habe ich im Konsumgüter-Retail noch nie erlebt. Da findet eine riesige Wette statt.“

Natürlich sei der Investmentmarkt gehypt, sagt der Direktor der Managementberatung Atreus. In dem ein oder anderen Fall sei das Multiple „verrückt“. Dennoch mag von Massenbach nicht von einer Blase sprechen. Denn das potenzielle Marktvolumen sei gewaltig.

Allein der Lebensmittelmarkt in Deutschland sei 250 Mrd. Euro groß, mit anderen Schnelldreher-Konsumprodukten seien es 500 Mrd. Euro. „Bereits bei einem E-Commerce-Anteil von 10% ist das ein riesiger Markt. Das sieht jeder Investor.“

Derzeit liege der E-Food-Marktanteil in Deutschland noch unter 5%. In Großbritannien seien es bereits knapp 13%, nicht zuletzt, weil sich die Bevölkerung auf den Großraum London konzentriert. Diesen Anteil werde Deutschland in fünf Jahren erreichen, glaubt von Massenbach. Der stationäre Einzelhandel sei aber nicht tot. Viele Bürger würden weiterhin für ihren Einkauf zum Supermarkt fahren.

Unter den Lieferdiensten herrsche ein Verdrängungswettbewerb. Ständig träten neue Player an, doch am Ende würden nur einige übrig bleiben. Das Rennen gewinne, wer möglichst schnell ein engmaschiges Liefernetz und maximale Reichweite aufbaue. „Das Spiel heißt: The winner takes most.“ Für sinnvoll hält es der Berater, den Kunden eine Auswahl für das gewünschte Liefer-Zeitfenster anzubieten. Das sei ein Erfolgsmuster. „Am Ende werden die Lieferdienste in Omnichannelkonzepten aufgehen“, erwartet von Massenbach.

Zuletzt hat sich die Euphorie unter Investoren allerdings abgekühlt. Die Aktienkurse der börsennotierten Essenslieferdienste wie Delivery Hero, Just Eat Takeaway oder Doordash befinden sich seit Monaten auf Talfahrt. So ist die Notierung der im Dax vertretenen Delivery Hero seit November 2021 um drei Viertel abgestürzt.

„Nicht durchzuhalten“

Hinzu kommt, dass die anstehenden Zinserhöhungen der Notenbanken die Kapitalbeschaffung verteuern und die Inflation sowie der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine die Konjunktur bremsen. Das zwingt die Branchenplayer, stärker auf ihre Kosten zu achten und den Cash Burn zu verlangsamen.

Die Zehn-Minuten-Lieferung, mit der Gorillas und Flink angetreten sind, hält von Massenbach wegen der hohen Kosten für „totalen Wahnsinn“. Das funktioniere nur, weil diese Start-ups viel Geld eingesammelt hätten: „Auf Dauer ist das nicht durchzuhalten.“ Inzwischen hätten Flink und Gorillas das Zehn-Minuten-Versprechen aufgeweicht und gingen Richtung 15 Minuten. Die Schnelldienste decken vor allem den Spontan- oder Notverkauf ab. Sie haben ein eingeschränktes Sortiment, die Warenkorbgröße liegt nur bei etwa 20 Euro. „Früher ist man dafür zur Tankstelle gefahren“, sagt von Massenbach.

Nicht ganz so schnell sind Lieferdienste wie Bringmeister, die der tschechischen Investmentgruppe Rockaway Capital gehört, die von Oetker übernommene Flaschenpost, Oda aus Norwegen, Grovy aus Rumänien, die zur tschechischen Rohlik gehörende Knuspr oder Wolt aus Finnland, die vom US-Essensdienst Doordash geschluckt wurde. Diese Bringdienste siedelt von Massenbach im Zeitfenster von zwei bis drei Stunden an. Sie verfügen über ein breiteres Sortiment als die Superschnellen und bespielen auch kleinere Städte.

Die 2015 gegründete Picnic arbeitet nach dem Milchmann-Prinzip. Das niederländische Unternehmen liefert Lebensmittel mit Elektrofahrzeugen zu festgelegten Terminen aus und deckt damit den Regelbedarf ab. Strategisch hat sich Picnic mit Edeka verbündet. Das Start-up soll der Online-Arm des deutschen Lebensmittelhändlers werden.

Zwei- oder Drei-Stunden-Dienste könnten leichter die Gewinnschwelle erreichen als die Superschnellen, sagt von Massenbach. „Je mehr Zeit ein Bringdienst für die Auslieferung hat, desto effizienter kann er die Touren planen.“ Außerdem könne er ein breiteres Sortiment anbieten, so dass die verkauften Warenkörbe größer seien. Für ein superschnelles Geschäftsmodell sei aber durchaus Platz. Flink sei da aufgrund der Kooperation mit Rewe besser aufgestellt als Gorillas.

Die meisten Lieferdienste arbeiten mit eigenen Lagerhäusern, nicht aber Bringoo aus Hamburg. Das geht zwar mit höheren Kosten für das Zusammenstellen der Warenkörbe einher, hat aber den Vorteil, dass keine Lagerkosten anfallen. Auch können die Marketingkosten vergleichsweise niedrig gehalten werden.

Bringoo, die ein Basis-Lieferzeitfenster von 45 Minuten hat, stuft von Massenbach als Kopie des mit 40 Mrd. Dollar bewerteten US-Lebensmittelbringdienstes Instacart ein. Das Start-up erhalte von Kooperationspartnern wie Penny, Edeka oder Nahkauf eine Umsatzbeteiligung. Auch die Buchhandlung Hugendubel gehöre zu den Partnern. Der Kunde zahle die Penny-Ladenpreise plus eine Liefergebühr von lediglich 2,90 Euro.

Die Zusammenarbeit mit verschiedenen Händlern helfe, die Touren effizienter zu machen „Je besser die Touren austariert sind, desto erfolgreicher der Lieferdienst“, sagt von Massenbach: „Bringoo wird sich durchsetzen.“

Gastrodienste wie Delivery Hero, die inzwischen auch Supermarktprodukte zum Kunden bringen, hätten mit der Essensauslieferung große Datenbanken aufgebaut. „Das ist ein Wettbewerbsvorteil gegenüber neuen Playern“, sagt von Massenbach. Man brauche möglichst viele Daten, um mittels künstlicher Intelligenz zu antizipieren, „zu welcher Stunde aus welcher Straße wie viele Bestellungen kommen“. Dieses Know-how hätten die Essensdienste bereits aufgebaut.

Auf Seiten des Handels spielten vor allem Rewe und Edeka im Liefermarkt mit, nicht aber die Discounter Aldi und Lidl, was von Massenbach für einen strategischen Fehler hält: „Man muss in dem Zug mitfahren, weil die Lernkurve so steil ist.“

Chance für Hersteller

Für die Herstellerseite sei die Kooperation mit einem Lieferdienst eine Chance, „sich aus der Umklammerung des immer dominanteren Oligopols der Lebensmitteleinzelhändler zu lösen“. Denn so kämen sie mit Endkunden in Kontakt und könnten eigene Datensätze zum Kundenverhalten aufbauen. Das sei wichtig für die Entwicklung neuer Produkte.

„Deshalb ist für Oetker der Kauf von Flaschenpost sinnvoll“, betont von Massenbach. Die Familiengruppe legte im Herbst 2020 für den Getränkelieferdienst, der sein Sortiment Richtung Lebensmittel erweitert, Medienberichten zufolge stolze 1 Mrd. Euro auf den Tisch. Künftig könnten auch Konsumgütermultis wie Unilever eigene Lieferdienste aufbauen, glaubt von Massenbach.

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