Pandemiebekämpfung

Patentschutz höchstes Gut der Pharmabranche

In der Diskussion über die Freigabe des Patentschutzes für Covid-Impfstoffe zeichnet sich noch keine politische Einigung ab, die Arzneimittelhersteller pochen auf den Schutz ihres geistigen Eigentums

Patentschutz höchstes Gut der Pharmabranche

Von Sabine Wadewitz, Frankfurt

Politisch besteht weiter Uneinigkeit über die Notwendigkeit einer Lockerung des Patentschutzes zur Pandemiebekämpfung. Die Pharmaindustrie wehrt sich geschlossen dagegen. Dass in ärmeren Ländern, speziell in Afrika, bislang nur ein Bruchteil der Menschen gegen Covid-19 geimpft wurde und Länder wie die USA, in denen Corona-Vakzine hergestellt werden, Exportstopps veranlasst haben, verlangt nach politischen Lösungen.

Dazu kommt die längerfristige Perspektive der Pandemiebekämpfung und -vorsorge; es geht nicht nur um kurzfristige Aktionen. So hat sich auch die Europäische Union dafür ausgesprochen, die Produktion dauerhaft global zu diversifizieren, um die Infrastruktur für Gesundheitsdienstleistungen zu stärken und die Herstellung von Arzneien und Impfstoffen nicht in wenigen Ländern zu konzentrieren. Diese Bemühungen könnten aber ohne Zwangsmaßnahmen in die Wege geleitet werden. Der Patentschutz sei entscheidend, damit die Pharmaindus­trie Milliarden in Innovationen stecken könne. Das sieht die Branche genau so. „Es ist absehbar, dass wir mit Blick auf Corona-Mutationen und künftige Pandemien noch mehr Forschung und Technologie-Entwicklung brauchen“, sagt Han Steutel, Präsident des Verbands der forschenden Pharma-Unternehmen in Deutschland, und ergänzt: „Wer soll diese stemmen, wenn Patente eingeschränkt oder aufgehoben werden?“ Aus Sicht der Pharmaindustrie würde es den Corona-Impfstoff ohne Patentschutz wohl gar nicht geben.

Indien und Südafrika hatten im Oktober 2020 bei der WTO den Vorschlag eingereicht, die Mindeststandards des Trips-Abkommens zum Schutz des geistigen Eigentums für eine gewisse Zeit außer Kraft zu setzen, um die Pandemiebekämpfung in ärmeren Ländern zu forcieren. Der Vorstoß wird von mehr als 60 Ländern unterstützt, zuletzt haben sich die USA eingereiht, die gerade eine Spende von 500 Millionen Impfdosen an ärmere Staaten angekündigt haben. Auch Papst Franziskus plädiert für Patentlockerungen.

Ein sogenannter Trips-Waiver zur Aussetzung des Patentschutzes würde es den WTO-Ländern erlauben, Corona-Impfstoffe und Covid-Medikamente herzustellen, ohne wegen Patentverletzungen schadenersatzpflichtig zu werden und ohne die Hersteller der Originalprodukte für die Nutzung des Patents entschädigen zu müssen.

Nicht nur die betroffenen Unternehmen, auch viele Politiker und Wissenschaftler halten die Patentaussetzung nicht für zielführend. Besser seien freiwillige Kooperationen. Es sei auf Sicht kein Mengenproblem mehr; Impfstoffe und Arzneien müssten stattdessen gerecht verteilt werden. Ärmere Länder seien in der Regel gar nicht in der Lage, speziell für Impfstoffe in kurzer Zeit eine eigene Produktion aufzubauen. Exportbeschränkungen müssten je­doch aufgehoben werden, Impfstoffe gerecht verteilt werden, so die Forderungen auch der EU-Kommission, die Patentlockerungen ablehnt.

Beobachter gehen davon aus, dass die WTO-Länder in der Frage der Patentaussetzung keinen Konsens finden. Gehofft wird auf eine pragmatische Lösung, um schnell die notwendige Hilfe an bislang unterversorgte Länder gewähren zu können.

Indien könnte in der Diskussion eine Schlüsselrolle zukommen, weil die Generikaindustrie dort einen hohen Stellenwert hat. Insofern verwundert es nicht, dass Kritiker der Trips-Waiver-Initiative der Regierung in Neu-Delhi vorwerfen, sie versuche, ihrer heimischen Industrie über die globale Patentlockerung auf billigem Wege Know-how zu verschaffen. In der Waiver-Initiative geht es immerhin um 200 Patente für verschiedenste Medizinprodukte im Einsatz gegen Corona – bis zur Abfüllanlage.

Eingriff in Eigentumsrecht

Aus Sicht von Patentrechtsexperten gibt es andere Lösungen als die Verletzung von geistigem Eigentum. Julia Schönbohm, Partnerin von Linklaters und Leiterin der deutschen IP-Praxis der Kanzlei, verweist auf die im Trips-Vertrag für Notsituationen vorgesehenen Möglichkeiten. Im Trips-Vertrag hätten sich die Mitgliedstaaten verpflichtet, einen Mindeststandard in ihrem nationalen Patentsystem zu gewährleisten. In dem Rahmen könnten unter bestimmten Voraussetzungen Zwangslizenzen erteilt werden. Dies sei ein Eingriff in das Eigentumsrecht, so dass ein Ausgleich zu zahlen sei. „Der beantragte Trips-Waiver würde dazu führen, dass diese vereinbarten Mindestanforderungen außer Kraft gesetzt würden. Jedes Land könnte hinter der Mindestgarantie zurückbleiben und dann auch die Nutzung eines Patents ohne Vergütung gestatten oder das Patent nicht erteilen“, erläutert Schönbohm.

Spielraum in der Pandemiebekämpfung ist aus Sicht der Anwältin innerhalb des Trips-Abkommens gegeben. Wenn einzelne Länden nunmehr eine Beschränkung des Patentschutzes für Covid-Impfstoffe und Corona-Medikamente verlangten und dadurch die vereinbarten Mindestvoraussetzungen aussetzen wollen, dürfte es aus Sicht der Juristin primär darum gehen, Ausgleichszahlungen an die Patentinhaber wegen einer Verletzung des Trips-Vertrags zu vermeiden.

Das Thema treibt die Staaten seit mehr als einem Jahr um. Bereits im April 2020 hatten laut Schönbohm viele Länder auf nationaler Ebene reagiert und die rechtlichen Voraussetzungen so angepasst, dass der Patentschutz für medizinische Produkte über Zwangslizenzen und Benutzungserlaubnisse eingeschränkt werden könne. „Es gibt also schon bekannte und bewährte Möglichkeiten, um den Patentschutz einzuschränken, wenn das erforderlich ist“, erklärt Schönbohm.

Zu Beginn der Pandemie sei es den Ländern noch nicht vorrangig um Impfstoffe gegangen, sondern um Hilfsmittel wie Ventilatoren oder Medikamente, die für eine andere Indikation zugelassen sind, aber auch gegen Covid-19 für wirksam angesehen wurden. In Israel habe die Regierung im März 2020 eine Zwangslizenz erteilt, um Generika des HIV-Medikaments Kaletra von Abbvie für die Behandlung von Corona-Patienten zu importieren.

Auch in Deutschland wurde im Zuge der Pandemie über das Infektionsschutzgesetz dem Gesundheitsministerium die Möglichkeit gegeben, die Nutzung bestimmter Patente anzuordnen – immer gegen einen angemessenen Ausgleich für den Eingriff in das Patent. „Diese Möglichkeit gab es auch schon vorher unter bestimmten Voraussetzungen, nur war das Gesundheitsministerium dafür nicht zuständig“, sagt Schönbohm.

Umtriebige Generikaanbieter

Die Diskussion über Patentschutz ist intensiv mit Blick auf die Aids-Pandemie geführt worden. Zwangslizenzen wurden für HIV-Therapien erteilt und dem Patentinhaber laut Schönbohm mit 0,4% bis 6% vom Umsatz vergütet. Die Höhe der Zahlung hänge von der Bedeutung eines dringend benötigten Wirkstoffs oder Medikaments ab. Bayer wurde 2012 mit einer Zwangslizenz in Indien konfrontiert, damit das Krebsmedikament Nexavar dort hergestellt werden konnte. Der Dax-Konzern hat als Ausgleich 6% des Erlöses erhalten.

In Indien sei aufgrund der Relevanz der Generikaindustrie die Gefahr, dass eine Zwangslizenz erteilt oder ein Patent widerrufen wird, grundsätzlich höher als in anderen Ländern, sagt Schönbohm. Der Widerruf eines Patents oder dessen Vernichtung sei die andere Möglichkeit, um den Patentschutz zu beseitigen. Davon war 2006 der Schweizer Pharmakonzern Novartis in Indien betroffen. Die Behörden hatten dem Krebsmittel Glivec den Patentschutz mit der Begründung verweigert, dass die neueste Version der Arznei lediglich eine neue Form einer schon bekannten Substanz sei. Novartis hatte daraufhin Indien verklagt: Das Land verletze Vorschriften der Welthandelsorganisation WTO zum internationalen Patentschutz. Die Klage blieb erfolglos. Nach siebenjährigem Rechtsstreit wies der Oberste Gerichtshof in Indien 2013 die Klage zurück.

Importzugeständnisse

In der Doha-Runde der WTO-Mitgliedsstaaten war 2003 im Zuge der Diskussion über den Zugang ärmerer Länder zu Medikamenten gegen Aids oder Malaria klargestellt worden, dass die Aufrechterhaltung der öffentlichen Gesundheit eine Einschränkung des Patentschutzes ermöglicht. Danach konnten Entwicklungsländer ohne eigene Produktion Ausnahmen vom Patentschutz vorsehen, um billige Generika importieren zu dürfen, sofern Krankheiten sich zu einer Seuche ausweiten. Davon haben laut Schönbohm einige afrikanische Staaten Gebrauch gemacht und Generika primär aus Indien bezogen. Staaten müssen den Schutz von national erteilten Patenten auch dann einschränken, wenn sie ein Generikum aus einem anderen Land einführen.