GastbeitragVirtuelle Hauptversammlung

Rehabilitierung eines verunglimpften Formats

Das Format der virtuellen Hauptversammlung bietet viele Vorteile. Allerdings sollten die Aktionäre nicht gezwungen werden, Fragen vorab einzureichen, argumentiert Torsten Fues vom HV-Dienstleister Better Orange im Gastbeitrag.

Rehabilitierung eines verunglimpften Formats

Gastbeitrag

Virtuelle HV: Rehabilitierung eines verunglimpften Formats

Torsten Fues

Virtuelle Hauptversammlungen (HV) wurden in den letzten Wochen oft medial „verprügelt“. Wie alle Dinge, bringt das virtuelle HV-Format neben zahlreichen Vorteilen auch Nachteile. Die selektive Berichterstattung beleuchtete aber ausschließlich einige negative Aspekte. Und dies obgleich die Aktionäre mehrheitlich – zwischen 75 und 95% – „grünes Licht“ für weitere virtuelle Versammlungen erteilten. Zudem weist die Abstimmung mit den Füßen in die gleiche Richtung. Denn Better Orange registrierte in den Präsenzversammlungen rund 30% weniger Aktionäre vor Ort als zu „Vor-Corona-Zeiten.“ Das negative mediale Trommelfeuer auf die virtuellen HVs setzt sich ganz offensichtlich über die Wünsche vieler Aktionäre hinweg.

Berechtigte Kritik

Einige Kritikpunkte an virtuellen HVs sind durchaus berechtigt. Insbesondere IT-Pannen sind mehr als ärgerlich, werden aber in absehbarer Zeit mit zunehmender Übung der Vergangenheit angehören. Schwarze Bildschirme verärgern nicht nur Aktionäre, sondern auch Journalisten. Zudem bieten klassische Präsenzveranstaltungen authentische „live Atmosphäre“. Treffen kritische Fragen den Nerv der Aktionäre, wird dies mit Applaus quittiert. Solche unmittelbaren Reaktionen der Mitaktionäre sind bei virtuellen Versammlungen nicht möglich. 

Mehr noch: Insbesondere in Großunternehmen mit Zehntausenden von Mitarbeitern leben manche Vorstände wie in Blasen. Umgeben von Jasagern können manche Akteure die Bodenhaftung verlieren. Eine physische HV wirkt da manchmal als Korrektiv und bringt einen unmittelbaren Kontakt zu Kritikern an der Unternehmensführung. Soviel zu den Nachteilen. Aber die unbestreitbaren Vorteile virtueller HVs blieben beim Bashing des Formats leider unerwähnt.

Das Online-Format hilft Zufallsmehrheiten zu vermeiden. Falls räuberische Berufskläger während der Versammlung “winkeladvokatische” Zusatzanträge stellen, können sich größere Aktionäre jederzeit zuschalten. Denn viele institutionelle Anleger dürfen keine Blankovollmachten ausstellen und die Weisung ausgeben, alle Ad-hoc-Anträge abzulehnen. Im Online-Format können sich Fondsgesellschaften bei Bedarf schnell in die HV einklinken. Dies ist auch im Interesse der Kleinaktionäre.

Vertreter großer Fondsgesellschaften treten in den HVs prominenter Dax-Gesellschaften auf. Die KAGs müssen wertvolle Managementkapazitäten einsetzen. Reist ein Fondsmanager für eine HV von Frankfurt nach München, kostet das einen kompletten Arbeitstag. Bei virtuellen Formaten kann der gleiche Manager seine Arbeitszeit sinnvoller einsetzen, oder sich bei einer zweiten parallel laufenden HV aktiv einbringen.

Verschwörungstheorien 

Wenn Hunderte von Aktionären deutschlandweit durch die Republik fahren, sind das vermeidbare ökologische Fußabdrücke. Onlineformate bringen weniger CO2-Ausstoß, weniger Reifenabrieb und weniger Stress bei der Anreise – und sind daher gut für die ESG-Bilanz der Unternehmen. Als Faustformel gilt: Bei mehr als 50 bis 100 teilnehmenden Aktionären ist das virtuelle Format günstiger. Denn mit höheren Teilnehmerzahlen wachsen die Kosten für Raummiete oder Catering. Das gilt umso mehr, als nach Corona die Locationkosten einen kräftigen Sprung nach oben gemacht haben.

Wie ist aber das verzerrte Medienecho zu erklären? Zum einen geistern Verschwörungstheorien durch die Medienlandschaft. Finstere Mächte hätten beispielsweise zahlreiche HVs auf wenige Tage konzentriert. Kritische Aktionäre könnten somit ihre Gedanken nur bei wenigen Versammlungen äußern. Selbst wenn dem so wäre, würden sich Präsenzveranstaltungen hierzu angeblich weitaus besser eignen. Aber: Aktionäre können nicht bei mehreren Präsenzveranstaltungen in Hamburg, Frankfurt und München gleichzeitig sprechen. Bei virtuellen HVs ist das aber sehr wohl möglich. Zudem seien Stimmrechtsberater von finsteren Mächten an die Leine genommen worden und hätten das virtuelle Format begünstigt. Auch dieses Gerücht entbehrt jeglicher Logik. Denn Stimmrechtsberater spielen kein „eigenes Spiel“. Die Berater befragen systematisch die von Ihnen vertretenden Großanleger und votieren dann im Interesse ihrer Kunden. Würden sie andere Interessen verfolgen, entzögen sie dem eigenen Geschäftsmodell die Grundlage.

Die häufig geforderte Durchführung der HV in hybrider Form ist als Variante selbstverständlich möglich, damit jeder in dem Format teilnehmen kann, das ihm am ehesten zusagt. Allerdings ist diese Variante sehr aufwendig und daher insbesondere für kleinere Unternehmen keine realistische Option. Zum anderen ist die grundsätzliche Skepsis der virtuellen HV gegenüber historisch erklärbar. Während der Corona-Pandemie hatte der Gesetzgeber „Notstandsgesetze“ erlassen. Dabei wurden temporär Aktionärsrechte beschnitten. Aktionäre mussten beispielsweise ihre Fragen zwingend vorab einreichen. Nachfragemöglichkeiten während der HV gab es bis auf freiwillige Ausnahmen nicht. Doch die „Notstandsgesetze“ sind inzwischen Geschichte.

Ein Fremdkörper

Das virtuelle Format ist jetzt nahezu gleichwertig mit der klassischen Präsenz-HV. Allerdings enthält der aktuelle gesetzliche Rahmen einen Fremdkörper. Unternehmen haben die Möglichkeit, Aktionäre dazu zu zwingen, Fragen vorab einzureichen. Während der HV können Aktionäre dann lediglich Nachfragen zu bereits eingereichten Fragen stellen – außer bei Auftauchen neuer Sachverhalte nach Ende der Frageneinreichungsfrist. Das bereits im Koalitionsvertrag gesetzte Ziel des Gesetzgebers wird damit verfehlt, die virtuelle HV der traditionellen Präsenz-HV vollständig gleichzustellen. Diese Sonderregelung – eine Erblast des Notstandsgesetzes – wird völlig zu Recht kritisiert. Die sowieso nur in selten  genutzte mögliche Erzwingung der Vorabeinrechung von Fragen sollte deshalb umgehend abgeschafft werden.

Torsten Fues ist Vorstand des Hauptversammlungsdienstleisters Better Orange

Torsten Fues

Vorstand des Hauptversammlungsdienstleisters Better Orange