RECHT UND KAPITALMARKT

"Schattenregime" der Stimmrechtsberater

Novellierung des Verhaltenskodex für Proxy Advisors geht nicht weit genug - Stimmrechtsbegrenzung notwendig

"Schattenregime" der Stimmrechtsberater

Von Uwe H. Schneider *)Am 15. Dezember 2017 ist die öffentliche Konsultation über eine Novellierung der “Best Practice Principles for Shareholder Voting Research 2014” beendet worden, also des Verhaltenskodex für Stimmrechtsberater 2014. Der Verhaltenskodex 2014 mag dünne Suppe sein, von eher geringer Gestaltungskraft und zweifelhaftem Ursprung. Seine praktische Bedeutung aber sollte man nicht unterschätzen. Worum geht es?Viele der deutschen kapitalmarktorientierten Unternehmen gehören ausländischen institutionellen Anlegern. Diese Anleger mit weit gefächerten Portfolios nehmen auf den Hauptversammlungen vielfach ihre Stimmrechte nicht wahr, sondern folgen den Empfehlungen von gewerbsmäßigen Stimmrechtsvertretern, den sogenannten Proxy Advisors, und lassen sich bei der Wahrnehmung der Stimmrechte vertreten.Bei diesen Stimmrechtsvertretern handelt es sich um eine kleine Gruppe von Unternehmern, die ein eigenes Geschäftsmodell entwickelt haben. Bei genauer Betrachtung handelt es sich, wie eine Arbeitsgruppe um den Managing Partner der Unternehmensberatung HKP, Michael Kramarsch, kürzlich offengelegt hat, um ein Duopol, nämlich zwei Unternehmen, die zu nahezu 90 % den Markt unter sich aufteilen. Hohe praktische BedeutungDiese Stimmrechtsberater haben in den letzten Jahren ganz erheblich an praktischer Bedeutung gewonnen. Wer deren großen Einfluss leugnet (“Schattenregime”), verkennt die Wirklichkeit. Hier wiederholt sich mutatis mutandis, was für das Depotstimmrecht der Kreditinstitute lange diskutiert wurde und noch diskutiert wird. Zu erinnern ist daran, dass erst jüngst durch die Eidgenössische Volksinitiative “gegen die Abzockerei” vom 13. März 2013 das Depotstimmrecht in der Schweiz untersagt wurde. Aufgestellt werden von den Stimmrechtsberatern Abstimmungsrichtlinien, sogenannte Voting Guidelines, die zu wesentlichen Tagesordnungspunkten in ganz und gar schematischer Weise Abstimmungsvorschläge kodifizieren. Das fängt bei Abstimmungsempfehlungen für die Wahl von Aufsichtsmitgliedern an und geht über Beschlüsse über Kapitalmaßnahmen bis zu Entscheidungen über die Bildung des Systems der Vergütung der Vorstandsmitglieder.Die Folge ist, dass diese Voting Guidelines für die Unternehmen größeres Gewicht haben als der Deutsche Corporate Governance Kodex; denn es gilt nicht nur der Grundsatz “comply or explain”. Vielmehr werden im Gegensatz dazu Beschlüsse, die den Abstimmungsrichtlinien widersprechen, niedergestimmt – oder bei Übernahme, Umwandlung usw. befördert. Nur drei PrinzipienWas ist die Folge? Die Institutionalisierung hat in den Pensionskassen-Korporatismus geführt. In der zweiten Stufe wird die Herrschaft der Stimmrechtsberater erreicht. Da lohnt es sich, auch darüber nachzudenken, wer sich hinter den Stimmrechtsberatern verbirgt. Vielleicht ist es nicht unproblematisch, wenn das Größte dieser Unternehmen zu einem Private-Equity-Unternehmen, nämlich Vestar Capital Partners, gehört. Würde sich da nicht die Einrichtung einer “Hauptversammlungs-Struktur-Kommission” durch die Bundesregierung empfehlen? Zu untersuchen wäre, wer über die Geschäftspolitik, die Strukturmaßnahmen und die Auswahl des Managements bei den Großunternehmen tatsächlich entscheidet.Richtig ist, dass die Europäische Wertpapieraufsichtsbehörde im Februar 2013 in einer Untersuchung zu den Stimmrechtberatern zu dem Ergebnis kam, es gebe keine klaren Anhaltspunkte für Marktversagen. Eine gesetzliche Regelung sei nicht erforderlich. Erarbeitet werden sollte vielmehr ein Verhaltenskodex. Überzeugend ist das nicht.Durch eine Reihe von Vertretern wichtiger Stimmrechtsberater wurde damals eine Best Practice Principles Group gebildet, und es wurden Best Practice Principles for Providers of Shareholder Voting Research 2014 formuliert. Um deren Novellierung geht es in diesen Tagen. Der Kodex besteht aus mageren drei Prinzipien, die jeweils im Blick auf ihre Umsetzung kommentiert werden. Sie lauten vereinfacht: Stimmrechtsberater sollten sich an Weisungen halten, und sie sollten ihre Recherche-Methoden und ihre Abstimmungsrichtlinien offenlegen. Sie sollten ihre Politik zur Bewältigung von Interessenkonflikten der Öffentlichkeit zugänglich machen. Und sie sollten ihre Informationspolitik im Verhältnis zu den Emittenten usw. offenlegen. Das ist alles. Das Ziel der Prinzipien ist es, Verhaltensstandards aufzustellen und dem Markt zu erklären, wie die Stimmrechtsberater mit den anderen Marktteilnehmern zusammenwirken.Einer der Gründe für die Novellierungsüberlegung ist, dass auch die Aktionärsrechte-Richtlinie 2017 das Thema aufgegriffen hat. Zwar schlägt auch die Aktionärsrechte-Richtlinie lediglich die Aufstellung eines Verhaltenskodex für Stimmrechtsberater vor. Nach Art. 3 Abs. 2 müssen die EU-Mitgliedstaaten aber sicherstellen, dass Stimmrechtsberater angemessen über die Richtigkeit und Zuverlässigkeit ihrer Tätigkeit, vor allem zu Methoden und Modellen, Qualitätssicherung, Berücksichtigung nationaler Marktbedingungen und regulatorischer sowie unternehmensspezifischer Bedingungen zu ihrer Stimmrechtspolitik sowie zum Umgang mit Interessenkonflikten informieren. Und nach Art. 3 j Abs. 3 ist sicherzustellen, dass Stimmrechtsberater tatsächliche oder potenzielle Interessenkonflikte im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit identifizieren und ihre Kunden und die betroffenen Unternehmen dazu wie auch über ergriffene Gegenmaßnahmen unverzüglich informieren. Aus dem eigenen KreisWenn man sich dies vor Augen führt, so ist schon bisher ganz und gar unbefriedigend, dass der Verhaltenskodex von den Stimmrechtsberatern selbst aufgestellt wurde. Die betroffenen Unternehmen waren nur in einer Beratergruppe vertreten. Dabei kann man nicht erwarten, dass in einem solchen Verhaltenskodex Themen aufgegriffen werden, die das Geschäftsmodell der Stimmrechtsberater beeinträchtigen.So geht, um dies exemplarisch festzumachen, der erste Standard von der Selbstverständlichkeit aus, dass sich Stimmrechtsvertreter an die Weisungen der Aktionäre halten müssen. Offen bleibt, was zu tun ist, wenn sich die Weisungen widersprechen. Fehlt es aber an einer Weisung, so ist nicht zu verkennen, dass der Stimmrechtsberater nach seinen eigenen Vorstellungen vorgehen kann. Das begründet das “Schattenregime”, das allenfalls dadurch begrenzt werden könnte, dass der Gesetzgeber den Anteil zulässiger Stimmrechtsvertretung der Höhe nach zum Beispiel auf 5 % der Stimmrechte begrenzt. Das sollte vorzusehen sein, wenn eine Weisung fehlt und über Strukturmaßnahmen zu entscheiden ist.Wenn man dies für zu weitgehend hält, so ist an den zweiten Standard zu erinnern, dass Stimmrechtsberater ihre Politik zur Bewältigung von Interessenkonflikten offenlegen sollten. Gedacht ist vor allem daran, dass es nur schwer erträglich ist, wenn Stimmrechtsberater einerseits unmittelbar oder über Tochtergesellschaften über Corporate-Governance-Strukturen oder die Art und Weise der Vergütung der Organmitglieder beraten und dann andererseits in der Hauptversammlung die Stimmrechte bei entsprechenden Beschlüssen wahrnehmen. InformationspflichtNicht minder problematisch ist die gleichzeitige Stimmrechtsvertretung bei Wettbewerbsunternehmen. Warum sollte hier etwas anderes gelten als für Aufsichtsratsmitglieder, die doch nach herrschender Meinung einem Wettbewerbsverbot unterliegen? Und weiter: Schon heute folgt aus den kapitalmarktrechtlichen Offenlegungsregeln, dass Stimmrechtsvertreter die Zahl der Stimmrechte, die der Stimmrechtsberater bündelt, offenzulegen haben. Das wird von interessierter Seite zwar bestritten, ist aber richtig. Nur gemacht wird es nicht.—-*) Prof. Dr. Dr. h.c. Uwe H. Schneider ist Direktor des Instituts für deutsches und internationales Recht des Spar-, Giro- und Kreditwesens an der Universität Mainz und Of Counsel der Kanzlei Schmitz & Partner Rechtsanwälte in Frankfurt.