Dirk Zetzsche

„Sozialpolitik ist nicht Aufgabe des Vorstands“

Die geplante Kodex-Reform zur stärkeren Verankerung von Nachhaltigkeitsfaktoren in der Strategie von Unternehmen ist aus Sicht des Finanzmarktrechtlers Dirk Zetzsche juristisch bedenklich. Rentabilität müsse oberstes Gebot bleiben.

„Sozialpolitik ist nicht Aufgabe des Vorstands“

Herr Prof. Zetzsche, der Deutsche Corporate Governance Kodex will Nachhaltigkeit in der Unternehmenspraxis verankern und die Interessen von Aktionären mit denen anderer Stakeholder zum Ausgleich bringen. Sie sehen das kritisch. Warum?

Die dauerhafte, also langfristige Rentabilität ist nach herrschender juristischer Meinung das oberste Gebot jeglicher Unternehmenstätigkeit. Dieser Grundsatz steht im geltenden Recht jenseits jeder Diskussion. Die Formulierung der Begründung zum Kodexentwurf weckt die Befürchtung, dass der Grundsatz in Vergessenheit geraten ist, wonach unprofitables Handeln nicht nachhaltig ist. Die OECD hat indes relativ deutlich zum Ausdruck gebracht, dass Nachhaltigkeit immer in den Grenzen der Profitabilität stattfinden muss, weil das Unternehmen sonst selbst in Schieflage gerät und die Folgen der Insolvenz auf die Gesellschaft und Umwelt zurückfallen.

Das negiert der Kodex?

Im Kodexentwurf lässt sich nicht erkennen, dass das langfristige finanzielle Wohl der Aktiengesellschaft die Leitmaxime jeder Unternehmensentscheidung sein muss. Das ist keine Wortklauberei, es geht um eine ganz entscheidende Frage: Ist im Ergebnis ein wirtschaftlicher Filter jeglicher Unternehmensentscheidung vorangestellt, oder kann das ökologische oder soziale Ziel gleichwertig neben dem wirtschaftlichen stehen? Eine Aktiengesellschaft ist eine Institution, die dazu dient, das knappe Gut Kapital möglichst effizient einzusetzen. So wie es jetzt im Kodexentwurf zu lesen ist, scheinen ökologische und soziale Ziele auf einer Stufe zu stehen mit dem Gebot der langfristigen Rentabilität. Das entspricht für die Aktiengesellschaft als Rechtsform nicht dem geltenden Recht.

Der Kodex spricht von einem ausgewogenen Verhältnis, er gewichtet ökologische oder soziale Ziele doch nicht höher als wirtschaftliche Ziele?

So wie die Begründung zum Kodexentwurf jetzt formuliert ist, lässt sich dies als Gleichrangigkeit verstehen. Gleichrangigkeit ist etwas anderes, als die Klarstellung, dass die Aktiengesellschaft nachhaltig rentabel sein muss und innerhalb dieser Leitmaxime ökologische und soziale Ziele berücksichtigen soll.

Inwiefern?

Eine Gleichrangigkeit der wirtschaftlichen mit der sozialen und Umweltkomponente halte ich aus drei Gründen für fragwürdig. Erstens geht es um Zuständigkeit für Unternehmensentscheidungen. Wer Gleichrangigkeit postuliert, überlässt tatsächlich der Verwaltung die Priorisierung. Zweitens kann man einen Vorstand nicht in die Verantwortung nehmen für sein Versagen auf wirtschaftlicher Ebene. Es fällt sehr leicht, übermäßige Zuwendungen als Verfolgung eines sozialen Ziels darzustellen. Drittens fördert Gleichrangigkeit die Gefahr von Externalitäten zu Lasten der Nachhaltigkeit: Unprofitable Aktiengesellschaften verfügen über weniger Mittel für nachhaltige Innovation und Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards

Ist das nicht eine extreme Auslegung von Gleichrangigkeit? Man könnte es auch so interpretieren, dass ein Ziel nicht das andere ersetzen darf?

Ich sehe das vor dem Hintergrund des derzeit geltenden Rechts, das klar sagt, dass die dauerhafte Rentabilität oberste Maxime ist und im Rahmen des Rentabilitätszieles wirtschaftliche, ökologische und soziale Ziele in einen Ausgleich zu bringen sind. Das wird in der neuen Kodex-Empfehlung so nicht deutlich.

Selbst im Kapitalmarkt setzt sich die Einschätzung durch, dass anspruchsvolle ESG-Ziele für ein Unternehmen strategisch zwingend sind, um dauerhaft Wert zu steigern. Ein kurzfristiges Ge­winnziel kann doch dazu in Konflikt stehen?

Es geht nicht um kurzfristige Ge­winnmaximierung, sondern die langfristige Ertragsoptimierung. Wenn aber, wie in der Begründung im Kodex unterstellt, ein Ausgleich zwischen den Zielen hergestellt werden muss, öffnen sich Tür und Tor für Interpretationen seitens zahlreicher Stakeholder. So könnte ein Vorstand in einem Jahr Umweltaspekte in den Vordergrund rücken, im anderen Jahr die Dividende. Natürlich geht es auch Investoren darum, dass die anderen Stakeholder-Ziele im Wege der langfristigen Optimierung berücksichtigt werden. Das bedingt aber keinen, gleichsam jeder Entscheidung vorgeschalteten, permanenten Ausgleich der Ziele.

Wie könnte der Nachhaltigkeitsanspruch im Kodex besser verankert werden?

Man könnte mit der Formulierung der dauerhaften Rentabilität sehr gut arbeiten, weil zur Erreichung dieses Ziels die Veränderung von Umwelt- und Sozialfaktoren sachgerecht berücksichtigt werden müssen. Eine kurzfristige Profitmaximierung ist nach diesem Standard pflichtwidrig, weil sie das langfristige Unternehmensinteresse negiert. Das ist auch mit dem europäischen Aktionsplan für nachhaltige Finanzmärkte vereinbar.

Welche Vorgaben aus Brüssel meinen Sie?

Die Rechtsakte im Rahmen des europäischen Aktionsplans nachhaltige Finanzmärkte verlangen Informationen darüber, wie Emittenten Nachhaltigkeitsrisiken berücksichtigen und inwieweit Auswirkungen ihres Geschäfts auf Nachhaltigkeitsfaktoren, also Externalitäten, in die Unternehmensstrategie einbezogen sind. Wenn daraufhin die Investoren der Ansicht sind, dass ESG-Risiken nicht hinreichend berücksichtigt wurden oder die Auswirkungen von ESG-Veränderungen der jetzigen Strategie zuwiderlaufen, kann und wird der Kapitalmarkt reagieren. Denn das Umwelt- und Sozialfaktoren für die langfristige Wertentwicklung mitentscheidend sind, ist unstreitig. Im Übrigen schreibt auch der jüngst veröffentlichte Entwurf für eine CSR-Due-Diligence-Richtlinie lediglich vor, dass – im Einzelnen konkret spezifizierte – Umwelt- und Sozialbelange zu berücksichtigen sind. Von einem Gleichrang oder Ausgleich ist dort nichts zu lesen.

Trauen Sie es Management und Aufsichtsrat nicht zu, die richtigen Entscheidungen zu fällen?

Eine börsennotierte Aktiengesellschaft wird von internen und externen Governance-Mechanismen auf der rechten Spur gehalten. Die Kontrolle des Vorstands durch den Aufsichtsrat wird um Marktkräfte ergänzt. Wenn eine börsennotierte Aktiengesellschaft schlecht arbeitet, wird sie vom Markt abgestraft, so dass sie sich nur zu höheren Kosten refinanzieren kann; stattdessen wird das knappe Gut Kapital dem besseren Wettbewerber zugewandt. Wer den Interessenausgleich allein innerhalb des Unternehmens und damit am Kapitalmarkt vorbei vornimmt, reduziert diese kapitalmarktinduzierte Kontrolle.

Ist Gewinnerzielung generell höher zu gewichten als Umweltschutz?

Eine börsennotierte Aktiengesellschaft ist eine auf dauerhafte (!) Ge­winnerzielung ausgerichtete Institution. Wer das nicht will, muss eine Stiftung gründen.

Muss nicht ein Kodex über das Gesetz hinausgehen, wenn sich die öffentliche Meinung verändert und gesellschaftspolitisch Druck aufgebaut wird?

Die Verwaltung einer Aktiengesellschaft muss im Rahmen von Gesetz und Satzung das Unternehmensinteresse verfolgen. Wenn eine Verwaltung andere Ziele verfolgen will, steht es dem Vorstand frei, die Satzung mit Zustimmung der Aktionäre zu ändern und das Unternehmensinteresse anders zu definieren. Vorstand und Aufsichtsrat dürfen nicht in eigener Machtvollkommenheit den Eignern vorschreiben, welche ökologische oder soziale Couleur die AG haben soll. Das ist eine Frage des Machtverhältnisses innerhalb einer Aktiengesellschaft. Das im Aktiengesetz sorgsam austarierte Gleichgewicht zwischen Verwaltung und Aktionariat darf nicht durch die Hintertür beseitigt werden. Der Kodex hat nicht die Aufgabe, das Gesetz zu ändern, indem er das Unternehmensinteresse durch die Hintertür neu definiert.

Kann sich der Vorstand einer Haftung denn so leicht entziehen?

Die Haftungsvoraussetzungen sind im Aktiengesetz klar geregelt. Wenn das Unternehmensinteresse durch mehrere parallel geltende, gleichsam in Realkonkurrenz stehende Leitmaximen definiert wird, also neben das Rentabilitäts- auch ökologische und soziale Ziele treten, was der Begriff „Ausgleich“ suggeriert, kann die Verwaltung aus jeder einzelnen dieser Maximen ihre Rechtfertigung schöpfen. Die Umsetzung der neuen Kodex-Vorgaben reduzierte die Intensität der Vorstandskontrolle. Das ist weder wirtschaftlich sinnvoll noch nachhaltig.

Werden soziale und ökologische Gruppierungen nicht künftig noch stärker das Verursacherprinzip bemühen und Unternehmen in die Pflicht nehmen?

Die Rechtsverfolgung durch Private und öffentliche Stellen ist im neuen Kommissionsentwurf einer CSR-Due-Diligence-Richtlinie in der Tat vorgesehen, jedoch beschränkt auf konkret benannte Umwelt- und Sozialstandards. Grundsätzlich ist in Bezug auf Nachhaltigkeit zwischen zwei Aspekten zu unterscheiden. Der erste ist das Nachhaltigkeitsrisiko, das sich im Unternehmen zeigen wird. Der klassische Fall: Wir investieren in Immobilien auf den Malediven und wissen, dass der Meeresspiegel steigt. Mit der Konsequenz, dass das Risiko einzupreisen ist – in Form von Mehrkosten für Dämme oder Vollabschreibung für Verluste. Dieses Nachhaltigkeitsrisiko muss in jeder Unternehmensentscheidung berücksichtigt werden.

Was darf in solchen Entscheidungen außen vor bleiben?

Außen vor bleiben müssen Externalitäten ohne irgendeinen Bezug zum Unternehmen, zum Beispiel Menschenrechte in einem Land, in dem die Aktiengesellschaft nicht aktiv ist. Die Förderung von Menschenrechten ist ein wünschenswertes soziales Ziel, aber es ist kein Anliegen einer Aktiengesellschaft, dieses zu fördern, wenn die Gesellschaft keine Geschäftsbeziehungen in jenes Land unterhält. Es gilt das Gleiche wie für Spenden: Der Vorstand der Aktiengesellschaft ist nicht derjenige, der für unternehmensferne Zwecke Aufwand aus der Unternehmenskasse veranlassen soll. Er hat die mit der Verfolgung des Unternehmensinteresses erzielten Überschüsse als Dividende an Aktionäre zu verteilen, die dann über Steuern und Direktzuwendungen unternehmensferne soziale Ziele fördern (können). Sozialpolitik ist nicht Aufgabe des Vorstands.

Welche Formulierung also schlagen Sie für den Kodex vor?

Ich kann mit den Formulierungen im jetzigen Entwurf leben, wenn Folgendes vorangestellt würde: „Die dauerhafte Rentabilität des Unternehmens ist das oberste Gebot jeglichen Vorstandshandelns. Bei der Zielverfolgung sind langfristige Stakeholder-Interessen zu berücksichtigen.“ Das Wort Rentabilität finden sie im Übrigen im gesamten Kodex nicht, auch Profitabilität sucht man leider vergebens. Das ist der Kernpunkt meiner Kritik.

Das Interview führte

Sabine Wadewitz.

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