Metallindustrie

Stahlbranche zerpflückt Klimapaket

Das Klimapaket der EU birgt für die europäische Stahlindustrie reichlich Zündstoff. Insbesondere der Wegfall der Gratis-Verschmutzungsrechte stößt auf Widerstand.

Stahlbranche zerpflückt Klimapaket

Von Annette Becker, Düsseldorf

Als die EU-Kommission am 14. Juli konkrete Vorschläge vorlegte, mit welchen Maßnahmen die Reduktion der CO2-Emissionen bis 2030 um 55 % gelingen soll, gab es für die Stahlindustrie wenig Grund zum Feiern. Zwar war es gelungen, zumindest den sofortigen Wegfall der kostenfreien Emissionszertifikate zu vereiteln. Allerdings sieht sich die Industrie künftig mit deutlich schärferen Vorgaben konfrontiert.

Das Paket der EU-Kommission riskiere, Investitionen in klimafreundliche Technologien zu verhindern, anstatt sie zu fördern, resümierte der europäische Stahlverband Eurofer. „Strengere Klimavorgaben der EU erfordern mehr Schutz vor Carbon Leakage“, verlangt Axel Eggert, Generaldirektor von Eurofer. Die vorgestellten Maßnahmen bewirkten aber genau das Gegenteil. Die europäische Stahlindustrie, die sich mitten in der Transformation befinde, benötige vielmehr einen umfassenden regulatorischen Rahmen, der die Abwanderung der Produktion in Drittstaaten der EU (Carbon Leak­age) wirkungsvoll verhindere, Märkte für grünen Stahl etabliere, Finanzierungshilfen und bezahlbare erneuerbare Energien bereitstelle.

Ins gleiche Horn blies die Wirtschaftsvereinigung Stahl: „Das Paket lässt bisher keine ausreichende industriepolitische Perspektive erkennen.“ Insbesondere werde versäumt, „die richtigen Weichen für eine klimaneutrale Stahlindustrie“ zu stellen.

Die einzelnen Vorgaben und ihre Wechselwirkung sind so komplex, dass sich bis heute kein Stahlhersteller mit einer eigenen Bewertung aus der Deckung wagt. Auch die Wirtschaftsvereinigung räumt ein, dass bis zu einer Bewertung im Detail intern noch einiges an Analysearbeit zu leisten sei. „Wir erwarten, dass die EU-Kommission ein umfassendes Impact Assessment vorlegt“, formuliert es Thyssenkrupp Steel. Insgeheim dürften die Verbände davon ausgehen, die Maßnahmen in den nach der Sommerpause beginnenden Verhandlungen noch weichspülen zu können. Am Ende müssen alle 27 EU-Mitgliedstaaten zustimmen. Kompromisse, die es zu finden gilt, werden auch Aussagen über die politische Macht der einzelnen Branchenverbände zulassen.

Kommunizierende Röhren

Kernpunkte des Maßnahmenpakets für die Stahlproduzenten sind einerseits der Emissionsrechtehandel und andererseits der Grenzausgleichsmechanismus – aus Sicht der Kommission sind das kommunizierende Röhren. Im Emissionshandel wird zunächst einmal das Gesamtziel nachgeschärft: Sollte bislang ausgehend von 2005 bis 2030 der Umfang der Zertifikate um 43 % verringert werden, wird jetzt eine Reduktion um 61 % angepeilt. Damit würden 380 Millionen Zertifikate bis 2030 aus dem Markt genommen. Um dieses Ziel zu erreichen, wird der lineare Reduktionsfaktor – die Menge an Zertifikaten, die jährlich automatisch gelöscht wird –, von bislang 2,2 % auf 4,2 % erhöht.

Weitaus schwieriger ist für die Stahlindustrie jedoch zu verkraften, dass die Zuteilung kostenfreier Verschmutzungsrechte spürbar gekürzt wird. So soll die Zahl der Gratis-Zertifikate für die Branchen, die unter den Grenzausgleich fallen, von 2026 an jährlich um 10 % gekürzt werden, so dass es für Eisen/Stahl, Zement, Aluminium, Düngemittel und Strom ab 2035 keine kostenlosen Verschmutzungsrechte mehr gäbe.

Allein die deutsche Stahlindustrie, die für ein Viertel der Rohstahlproduktion in Europa steht, kalkuliert unter dem bisherigen Handelsregime und zum heutigen Preis von 50 Euro je Tonne CO2 für die bis 2030 laufende Handelsperiode mit Zertifikatekosten von 6 Mrd. Euro. Ausgeglichen wird damit die Unterdeckung von 20 %. Gemäß den neuen Vorgaben beliefe sich die Unterdeckung 2030 allerdings auf bis zu 88 %. Hierfür müssten die Unternehmen Zertifikate am Markt erwerben. Was das an Zusatzkosten bedeutet, lässt sich nicht seriös abschätzen.

Die Sicht der Stahlrecycler

Die Industrie befürchtet, dass damit kein Geld mehr für den milliardenschweren Umbau zur klimaneutralen Stahlproduktion übrig bleibt. Die europäischen Stahlunternehmen arbeiteten an über 100 Projekten zur Minderung der Treibhausgasemissionen. Dafür seien Investitionen von mehr als 50 Mrd. Euro bis 2030 erforderlich, rechnet Eurofer vor. Von daher sei entscheidend, dass die EU die Unternehmen auf diesem Weg unterstütze, anstatt sie mit Zusatzkosten zu belasten und ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit zu beschränken.

Gegenwind gibt es an dieser Stelle allerdings vom Verband der Stahlrecycling- und Entsorgungsunternehmen (BDSV), der gegen die Verlängerung der „CO-Freifahrtscheine“ Sturm läuft. Der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit, auf den sich die Stahlindustrie berufe, sei ein Totschlagargument. Hochwertig recycelter Stahlschrott als Rohstoff sei schon heute eine reale ressourcen- und klimaschonende Alternative für die Stahlindustrie. Statt kostenloser Emissionszertifikate brauche es Anreize zum Einsatz von Sekundärrohstoffen und Investitionen in Zukunftstechnologien der Kreislaufwirtschaft, fordert BDSV-Hauptgeschäftsführer Thomas Junker.

Zum Ausgleich für die Streichung der kostenlosen Verschmutzungsrechte will die EU ein Grenzausgleichssystem für die Branchen Eisen/Stahl, Zement, Aluminium, Düngemittel und Strom aufbauen. Damit soll die Wettbewerbsfähigkeit dieser Industriezweige in Europa trotz hoher Klimaauflagen sichergestellt und das Abwandern der Produktionskapazitäten verhindert werden. Das Grenzausgleichsregime soll im Zeitraum 2023 bis 2025 eingeführt werden. Anschließend müssen Unternehmen aus Nicht-EU-Staaten aus diesen Branchen beim Import ihrer Waren in die EU CO2-Zertifikate erwerben.

Diese Rechnung geht allerdings nur auf, wenn der Klimazoll dafür sorgt, dass Importeure von außerhalb der EU eine Gebühr für die Treibhausgasemissionen zahlen, die bei der Herstellung der Importgüter angefallen ist. Daran gibt es Zweifel. Neben der ganz grundsätzlichen Erwägung, dass das Grenzausgleichsregime womöglich nicht mit den Regeln der Welthandelsorganisation WTO in Einklang zu bringen ist, wird auch befürchtet, dass Anbieter aus Drittstaaten Wege finden, den Klimazoll zu umgehen. „Der Grenzausgleich ist unerprobt und mit erheblichen Risiken verbunden“, warnt die Wirtschaftsvereinigung.

Schutz vor Öko-Dumping

In Frage steht zudem, inwieweit die Exportwirtschaft beeinträchtigt wird. Denn die klimaschutzbedingte Verteuerung des Stahls dürfte an der Wettbewerbsfähigkeit europäischen Stahls im Ausland kratzen. Positive Resonanz gibt es an dieser Stelle von unerwarteter Seite. So begrüßt die IG Metall ausdrücklich die Einführung eines CO2-Grenzausgleichs für Importprodukte. Zusammen mit der freien Zuteilung von Zertifikaten könne die Stahlindustrie vor Carbon Leak­age und Öko-Dumping geschützt werden, heißt es.