Sonderfahrkarten-Aktion

Streit um 9-Euro-Ticket-Nachfolger

Am Mittwoch kann das 9-Euro-Ticket das letzte Mal genutzt werden. Über eine Nachfolgelösung wird heiß debattiert. Der Verkehrsverband befürwortet sie, der Bundesfinanzminister sieht aber keine Möglichkeit zur Finanzierung.

Streit um 9-Euro-Ticket-Nachfolger

md Frankfurt

Bis zu diesem Mittwoch können Kunden noch mit dem 9-Euro-Ticket bundesweit den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) nutzen. Dann ist die drei­monatige Sonderfahrkarten-Aktion beendet. Doch Verkehrsunternehmen, die Bundesländer und das Bundesumweltamt fordern eine Nachfolgeregelung. So spricht das Bundesumweltamt von einem dringend nötigen Türöffner, mit dem die öffentlichen Verkehrsmittel nach und nach als attraktive Alternative zum Auto erkannt würden.

Ziel und Anlass der Aktion war jedoch die finanzielle Entlastung von Pendlern angesichts der hohen Energiepreise. Erst in zweiter Linie sollte mit Hilfe des 9-Euro-Tickets Werbung für den Umstieg auf Busse und Bahnen gemacht werden.

Gemäß einer repräsentativen Umfrage des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) war jeder fünfte Käufer eines 9-Euro-Tickets ein Neukunde, der den ÖPNV zuvor normalerweise nie genutzt habe; rund ein Viertel der Käufer (27%) seien „aktivierte Kunden“ gewesen, die den ÖPNV zuvor seltener als einmal im Monat genutzt hätten. Auch deshalb war die Sonderfahrkarten-Aktion aus Sicht des VDV ein voller Erfolg. Rund 52 Millionen Tickets seien über die gesamte Zeitspanne bundesweit verkauft worden, teilte der Verband am Montag mit. „Hinzu kommen mehr als zehn Millionen Abonnentinnen und Abonnenten, die das vergünstigte Ticket jeweils monatlich über den Aktionszeitraum automatisch erhalten haben“, heißt es. Ein Zehntel der Fahrten mit dem 9-Euro-Ticket habe eine Fahrt ersetzt, die sonst mit dem Pkw unternommen worden wäre. Insgesamt liege der Anteil der aus anderen Verkehrsmitteln verlagerten Fahrten bei 17%.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sieht jedoch keine Mittel für ein neues 9-Euro-Ticket. Der Bund hatte die dreimonatige Aktion mit 2,5 Mrd. Euro zum Ausgleich von Einnahmeausfällen bei Verkehrsunternehmen finanziert.

„Wie ein Jahr Tempolimit“

Der VDV setzt sich dagegen für ein 69-Euro-Ticket als Nachfolgelösung ein und beziffert deren Kosten auf 2 Mrd. Euro pro Jahr. „Wenn wir Verkehrswende und Klimawandel ernst nehmen, dann müssen wir jetzt handeln“, so VDV-Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff. „Drei Monate 9-Euro-Ticket haben etwa so viel CO2 eingespart, wie ein Jahr Tempolimit auf Autobahnen bringen würde.“

Auch die Deutsche Bahn sieht das Experiment als Erfolg an. „In den letzten drei Monaten sind im Schnitt 10% mehr Fahrgäste in unserem Regionalverkehr unterwegs gewesen als vor Corona“, sagte das zuständige Vorstandsmitglied Evelyn Palla.

Tatsächlich sind die Ergebnisse der 6000 Interviews, die der VDV zusammen mit der Bahn und den Marktforschern Forsa und RC Research im Auftrag von Bund und Ländern bundesweit wöchentlich durchgeführt hat, zwiespältig. Fast die Hälfte der Befragten (49%) besaß im Juli ein 9-Euro-Ticket; Mitte August waren es 47%, wobei 4% noch einen Kauf planten. Dieses Niveau dürfte das Maximum bilden, denn billiger wird die Nutzung des ÖPNV auf absehbare Zeit nicht mehr werden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass eine Preisanhebung auf z. B. 69 Euro pro Mo­nat den Anteil der Bürger mit Sonderfahrkarte spürbar sinken lassen wird. Denn Branchenbeobachter vermuten, dass viele Fahrten – etwa Besuche oder Ausflüge – ohne das extrem günstige Ticket nicht gemacht worden wären. Im Umkehrschluss heißt das: Eine Vervielfachung des Preises wird einige vom Kauf abschrecken.

Der Hauptkaufgrund für das 9-Euro-Ticket war laut den Befragungen der günstige Preis (69%). Dieser spiele für Neukunden aber eine deutlich geringere Rolle (56%) als für Bestandskunden (76%). Dahinter nennen Neukunden als Hauptargument für den Kauf den Verzicht auf Autofahrten (43%).

Gegen den Kauf des 9-Euro-Tickets sprechen gemäß der Studie mehrere Gründe, vor allem fehlende Nutzungsanlässe (37%), die Vorliebe fürs Auto (35%) und umständliche Verbindungen (33%). Letzteres führt zu einem Kernproblem: In Metropolregionen und größeren Städten ist die Zufriedenheit mit dem 9-Euro-Ticket deutlich höher als im kleinstädtischen bzw. dörflichen Raum. Dort dominieren als Nichtkaufgründe umständliche Verbindungen, geringe Taktung, lange Fahrtdauer und große Entfernung zur Haltestelle. In ländlichen Gebieten ist die Quote der 9-Euro-Ticket-Besitzer deshalb nur halb so hoch wie in städtischen.

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