Siemens-Jubiläum

Verzicht auf die große Sause

175 Jahre Siemens: Der Konzern spielt eine wichtige Rolle in Deutschland. Dies zeigt die Anwesenheit von Bundeskanzler Olaf Scholz beim Festakt inmitten der geopolitischen Krisenlage.

Verzicht auf die große Sause

Von Michael Flämig, Berlin

Letztlich waren es mehr als dreieinhalb Stunden, die Olaf Scholz am Mittwochabend dem Siemens-Konzern widmete. Keine Selbstverständlichkeit angesichts der Krisen, die die Welt erschüttern. Von den Beratungen des „Bündnisses bezahlbarer Wohnraum“ war der Bundeskanzler in den Westen Berlins geeilt, zwischendurch galt es noch den Streit über die weitere Nutzung der Atomkraft in Deutschland zu moderieren.

Im Siemens-Schaltwerk hatten sich rund 200 Gäste versammelt. Keine große Sause wie 1997 zum 150-Jahre-Jubiläum war geplant, als in das viel größere Berliner Congress Centrum geladen worden war. Die Zeiten sind nicht so, dass bombastische Auftritte möglich wären. Trotzdem sorgte der Konzern für einen angemessen festlichen Auftritt samt Hommage für die eigenen Leistungen (vgl. BZ vom 13. Oktober).

Bahnchef Richard Lutz hatte mit Scholz sowie Berlins Regierender Bürgermeisterin Franziska Giffey am Tisch von Siemens-Aufsichtsratschef Jim Hagemann Snabe und Vorstandschef Roland Busch sowie der Nachfahrin des Unternehmensgründers, Nathalie von Siemens, Platz genommen. Von BDI-Präsident Siegfried Russwurm über SAP-Chef Christian Klein und BASF-Vorstandsvorsitzenden Martin Brudermüller reichte die Liste der Wirtschaftsvertreter. Aber auch Oppositionspolitiker wie Alexander Dobrindt waren gekommen. Die noch lebenden früheren Siemens-Chefs hatten keine Einladung erhalten, der beschränkte Platz scheint eine Auswahl erfordert zu haben. Die Spitzen der Tochtergesellschaften Siemens Healthineers und Siemens Energy waren vor Ort.

Es war eine Veranstaltung, die – dem Anlass angemessen – Siemens in den Mittelpunkt stellte. Mit schlicht gehaltenen, aber eindrucksvoll passenden Multimedia-Einspielungen an allen Wänden rund um die Tische im Veranstaltungsraum untermalte der Konzern seine Geschichte. Die Krisen der Welt drangen dagegen nur in Form der positiven Wendung einer Neuerfindung des Konzerns durch die altehrwürdigen Mauern des Schaltwerks, das wie die umliegenden Gebäude die Basis für die neu konzipierte Siemensstadt bildet – zur Freude von Giffey, die persönlich doch nicht das Wort ergriff. Nathalie von Siemens ließ die Krisenlage in ihrer Rede durchschimmern und beleuchtete mehrfach die Lage; sie skizzierte auch den gesellschaftlichen Einsatz von Siemens.

Während der frühere Bundeskanzler Helmut Kohl zum 150-Jahre-Festakt über die Friedensordnung in Europa gesprochen hatte (vgl. BZ vom 30. September), klang in der Rede von Scholz die Weltlage mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine nur ansatzweise an. Ausdrücklich dankte er Siemens dafür, dass der Konzern die Sanktionen gegen Russland auch durch den Rückzug aus dem dortigen Markt mittrage.

Mit Blick auf die Turbinen, die Siemens Energy für die Gaspipeline Nord Stream 1 repariert hatte und die der russische Betreiber Gazprom nicht mehr entgegennehmen wollte, erklärte Scholz: „Auch die von Russland inszenierte Posse um die Siemens-Turbinen macht sehr deutlich: Auf Russland ist als Geschäftspartner und Energielieferant kein Verlass mehr.“ Umso drängender sei, die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu beenden: „Wir lassen uns von den Bedenkenträgern den Schneid nicht abkaufen.“

Was die Zukunft für Siemens bringen soll? Ein Rentner, dessen Sohn in fünfter Generation für den Konzern arbeitet, brachte seinen Wunsch unter dem zustimmend-wohlwollendem Gelächter der Festgemeinschaft auf diesen Punkt: Siemens solle weiterhin seine Pension zahlen.

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