Timm Armbrust

„Wir investieren in Inventar statt in Marketing“

Der Dresdner Online-Fahrradhändler Bike24 tritt seit dem IPO Ende Juni nicht nur an der Börse kräftig in die Pedale. Finanzchef Timm Armbrust hat keine Sorge, dass er nach der Pandemie zurückschalten muss.

„Wir investieren in Inventar statt in Marketing“

Stefan Paravicini.

Herr Armbrust, die Grünen dürften Teil der nächsten Regierung sein. Muss Bike24 die Prognosen bald an die steigende Nachfrage nach Lastenrädern anpassen?

Nein, Lastenfahrräder sind für uns kein großer Markt. Dieses Segment wird den Umsatz nicht treiben. Wir haben mittlerweile zwar auch ein Lastenfahrrad im Programm. Das ist für uns als reiner Online-Händler aber eine große logistische Herausforderung. Denn der Kunde will nach der Lieferung ja nicht noch zwei Stunden damit beschäftigt sein, das Fahrrad aufzubauen.

Bike24 rechnet mit geringerem Tempo in der zweiten Jahreshälfte. Müssen Sie nach dem Fahrrad-Boom während der Pandemie einen Gang zurückschalten?

Nein, denn wir bieten eine breite Palette an Zubehör, Fahrradteilen und -bekleidung an. Das macht fast 90% unseres Umsatzes aus. Aktuell liegt die Herausforderung aufgrund einer angespannten Liefersituation eher auf der Angebotsseite als auf der Nachfrageseite. In den vergangenen zwei Jahren haben wir – auch durch Corona – viele neue Kunden gewonnen, und es haben sich insgesamt viele Menschen neu für das Fahrrad begeistert. Die Fahrradverkäufe haben sich deutlich erhöht, und viele Leute nutzen das Fahrrad im Zuge des Trends zum E-Bike viel öfter als vorher. Unsere „installed base“ hat sich also vergrößert, und das spüren wir im Zubehörgeschäft deutlich. Im zweiten Quartal haben wir in diesem Jahr mehr Neukunden akquiriert als im Frühjahr 2020, als während des Lockdowns alle Shops dicht waren. Das noch einmal zu steigern war ein sehr großer Erfolg.

Sie profitieren also auch davon, wenn Ihre Wettbewerber Fahrräder verkaufen?

Genau. Wenn wir ein Online-Händler wären, der sich nur auf Kompletträder fokussiert, dann würde ich jetzt wahrscheinlich zwei Gänge zurückschalten müssen. Denn die Verbraucher in Deutschland kaufen nur etwa alle vier oder fünf Jahre ein neues Fahrrad, und viele von ihnen haben diese Investitionen während der Pandemie vorgezogen. Wenn man sich allerdings anschaut, was die Politik in die Fahrradinfrastruktur investieren will, glaube ich schon, dass auch der Fahrradmarkt insgesamt weiter wachsen wird. Das Boomjahr der Pandemie zu schlagen wird aber schwer.

Wird der Trend zum E-Bike nach Corona anhalten?

Der Shift zum E-Bike ist auch für uns zunehmend ein Umsatztreiber. In den vergangenen drei Jahren ist die Zahl der verkauften Fahrräder auf dem deutschen Markt im Schnitt um 6% gewachsen, die Umsätze haben aber jedes Jahr 25% zugelegt. Im sportiven Bereich, auf den wir fokussiert sind, liegt unser durchschnittlicher Verkaufspreis für ein Fahrrad ohne Motor bei 1800 Euro und mit Motor bei 3400 Euro. Das treibt den Markt. Aber viel wichtiger ist das Drumherum, der Trend zu einem sportiven oder gesunden Lebensstil. Das treibt gerade bei uns das Geschäft. Und wenn Deutschland in den nächsten Jahren zunehmend Fahrradland wird, haben wir noch zusätzliches erhebliches Potenzial.

Bike24 ist mit Kunden groß geworden, die viel vom Fahrrad verstehen. Gibt es davon genug?

Eine wichtige Kundengruppe sind für uns die Rennrad- oder Mountainbike-Fahrer, die auch selber an ihrem Rad tüfteln, das stimmt. Wir sehen seit ein paar Jahren aber auch andere Kundengruppen auf unserer Plattform. Viele von ihnen entdecken das Fahrradfahren neu, manche kaufen sich ein E-Bike und nutzen es vor allem während der Sommermonate für Ausflüge am Wochenende. Das sind Kunden, die wieder Spaß am Fahrradfahren haben, weil sie so auch weite Strecken zurücklegen können. Sie geben viel Geld für Zubehör aus. Denn wer ein teures E-Bike kauft, schaut auch beim Zubehör auf Qualität. Das Gleiche gilt für Kunden, die ihr Fahrrad für den täglichen Weg zur Arbeit bei uns kaufen. Und auch hier steigt der Anteil kontinuierlich.

Heißt das auch, dass der Verkauf von Kompletträdern künftig eine größere Rolle spielen wird?

Bike24 hat vor knapp zwanzig Jahren mit Zubehör und Bekleidung angefangen. Damals war Online-Shopping noch nicht so populär, und mit Zubehör konnte man schnell eine Kundenbindung aufbauen. Unsere bestehenden Kunden bestellen im Durchschnitt dreimal pro Jahr und kommen regelmäßig mit der Marke in Kontakt. Irgendwann waren die Hersteller dann bereit, Fahrräder online zu verkaufen, und Bike24 macht das schon seit einigen Jahren. Seit 2017 liegt ein strategischer Fokus auf dem Verkauf von Kompletträdern. Damals machten sie 3% des Umsatzes aus, im vergangenen Jahr waren es bereits 10%. Für die Zukunft ist das ein zunehmend wichtiges Produktsegment, denn mittlerweile sind es die Menschen gewohnt, auch technische Produkte online zu kaufen. Diesen Trend hat die Pandemie noch beschleunigt. Wir haben mittlerweile rund 2500 unterschiedliche Fahrradmodelle vorrätig.

Welchen Umsatzanteil trauen Sie Kompletträdern mittelfristig zu?

Mittel- bis langfristig peilen wir ungefähr 25% an.

Wie sieht die Marge im Vergleich zum Zubehör aus?

Die Margen sind vergleichbar. Im Moment liegen sie bei Kompletträdern ein bisschen höher, das liegt aber an der Knappheit im Markt. Wichtiger ist für uns, dass die Nachfrage da ist, auch im sportiven Bereich. E-Mountainbikes, E-Gravel Bikes und E-Rennräder – unsere Kernkunden fragen diese Räder zunehmend nach.

Die Erlöse aus dem Börsengang dienen der Finanzierung der Expansion ins Ausland. Wie sind Sie da vorangekommen?

Wir haben die erste Phase unserer Expansion schon vor einem Jahr in Spanien gestartet. Wir haben unseren Webshop übersetzt und einen lokalen Kundenservice in lokaler Sprache angeboten. Als Nächstes kommt eine Anlaufstelle für Retouren dazu, und im ersten Quartal 2022 wollen wir das auch für Frankreich und Italien anbieten. Was uns noch fehlt, ist die Logistik vor Ort, dafür sind die Erlöse des IPO da. Denn unsere Kunden wollen die Produkte schnell bekommen. Unser Ziel ist, jeden Kunden in unseren Kernmärkten in Europa innerhalb von 24 bis 48 Stunden beliefern zu können.

Welcher Markt außerhalb der DACH-Region macht den Anfang?

Wir sind kurz vor Unterzeichnung eines Mietvertrags für ein Fulfillment-Center in Spanien, in der Nähe von Barcelona. Damit wollen wir Spanien, Portugal und den Süden von Frankreich abdecken. Das soll in zwölf bis 14 Monaten betriebsbereit sein. Im Moment sieht es mit dem Zeitplan sehr gut aus. Danach ist geplant, weitere Lager in Benelux, Italien und in Skandinavien zu eröffnen. Das Netzwerk soll in vier Jahren ganz Europa abdecken.

Wie hoch ist der Finanzierungsbedarf für die neuen Lager?

Wir mieten die Gebäude, investieren aber in unser Lagersystem. In Dresden haben wir 2017 rund 10 Mill. Euro in ein Autostore-System investiert. Das werden wir so auch in Spanien machen, wobei wir hier etwa mit 8 Mill. Euro rechnen.

Sie haben mit dem IPO 100 Mill. Euro eingespielt. Das reicht für die ersten Expansionsschritte?

Ja, wir sehen mittelfristig keinen Kapitalbedarf. Wir sind ja auch profitabel und erwirtschaften jedes Jahr positive Cash-flows.

Wie sieht der Finanzierungsbedarf im Tagesgeschäft aus?

Wir sind ziemlich Working-Capital-intensiv und haben mittlerweile ein Inventar von 60 Mill. Euro. Das ist auch ein bisschen der Pandemie geschuldet, weil wir sehr viel eingekauft haben, da die Lieferketten gestört sind und die Nachfrage so groß ist. Grundsätzlich ist es aber natürlich so, dass mit dem weiteren Wachstum auch das Working Capital weiter zunehmen wird, denn die Verfügbarkeit ist einer unserer Erfolgsfaktoren. Wenn in unserem Online-Shop ein Artikel als verfügbar gelistet ist, liegt er auch wirklich in unserem Lager und macht sich noch am gleichen Tag auf den Weg, wenn die Bestellung vor 15 Uhr eingeht.

Und so ein kapitalintensives Kundenversprechen zahlt sich aus?

Ja, denn auf der anderen Seite haben wir sehr geringe Marketingkosten, weil wir unsere Kunden eben mit unserem Sortiment akquirieren. Für 97% des Traffic auf unserem Online-Shop haben wir nicht bezahlt, er wird also nicht über Werbebanner oder andere Marketingausgaben angelockt. Das ist auch innerhalb der Fahrradbranche außergewöhnlich und im E-Commerce fast einmalig. Wenn Sie ein neues Vorderrad benötigen und die Modellbezeichnung bei Google eingeben, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Sie Bike24 in der Suche auf einer Top-Position finden. Das ist nur möglich, weil wir das Produkt online haben, das Teil verfügbar ist und die Kunden unserem Shop hohe Relevanz zusprechen. Deswegen investieren wir lieber in unser Inventar als in Marketing.

Welche Fremdkapitalinstrumente haben Sie auf dem Gepäckträger?

Momentan haben wir eine sehr komfortable Finanzierungsstruktur und keinen zusätzlichen Fremdkapitalbedarf, weil die Mittel aus dem IPO ja noch nicht in die Lagerinfrastruktur investiert sind. Wir verfügen über eine Kreditlinie über 50 Mill. Euro und werden bis zum Jahresende voraussichtlich etwa 40 Mill. Euro davon ziehen. 10 Mill. Euro sind die Revolverkreditlinie. In normalen Jahren finanzieren wir das Wachstum des Working Capital aus dem operativen Cash-flow.

Zurück zu den Expansionsplänen. Warum glauben Sie, dass Bike24 in Fahrradnationen wie Spanien erfolgreich sein kann?

Wir glauben, dass wir in diesen Märkten sehr erfolgreich sein werden, weil wir fast alle Bike-Marken im Vollsortiment auf unserer Plattform abgebildet haben mit mehr als 80000 Produkten. Wenn man sich die Konkurrenten in diesen Ländern anschaut, gibt es da keinen wie Bike24. Wir sind deshalb sicher, dass wir eine starke Marktposition erreichen, die nicht schon von drei oder vier Konkurrenten besetzt ist. Die Fahrradnationen Spanien, Italien und Frankreich sind dabei absolut jeweils kleiner als Deutschland, der Kunde in diesen Märkten ist aber viel affiner für das Angebot von Bike24.

Wie hoch ist der Anteil des Auslandsgeschäfts heute?

Das macht schon knapp die Hälfte aus, wir haben ja schon einen treuen Kundenstamm in diesen Ländern. In Skandinavien und in den Benelux-Ländern haben wir den größten Marktanteil außerhalb der DACH-Region, weil Angebote in lokaler Sprache hier nicht von großer Bedeutung sind.

Bleibt Bike24 ein reiner Online-Händler, oder könnten eigene Stores eine Rolle spielen?

Wir werden das ab nächsten Sommer mit einem Flagship-Store in Berlin testen und Services, die wir online nicht anbieten, starten. Wir wollen aber kein Omnichannel-Anbieter werden, sondern eine unabhängige Beratung mit unserem breiten und tiefen Sortiment schnell verfügbar anbieten. Es geht vor allem um das Angebot von Probefahrten. Ein E-Bike kostet bis zu 13000 Euro. Ich kann jeden Kunden verstehen, der das erst einmal ausprobieren will. Dazu gehört auch ein entsprechendes Werkstattangebot, denn so ein teures Fahrrad gibt man nicht jedem Fahrradladen um die Ecke.

Was passiert nach der Testphase mit dem Store-Konzept?

Wenn das funktioniert, werden wir das auch in anderen größeren Städten machen. Das könnte auch für Standorte im Ausland wie in Barcelona ein naheliegender Schritt sein.

Im Herbst wird der Online-Store neu gelauncht. Was ändert sich?

Kundenverhalten und der Einkaufsprozess haben sich in den letzten Jahren verändert. Unser Ziel ist es immer, unseren Kunden das beste Einkaufserlebnis zu bieten. Das reicht von Such- und Filtermöglichkeiten bis zum Check-out-Prozess. Außerdem ist unser Shop heute sehr technisch, an einem sehr fahrradkundigen Käufer orientiert. Mit dem neuen Design wollen wir diesen Anspruch weiterhin aufrechterhalten, uns aber gleichzeitig für neue Kundengruppen öffnen.

E-Commerce ist ein datengetriebenes Geschäft – auch für Bike24?

Ja, wir fokussieren seit einiger Zeit viel stärker auf die Daten, die unsere Kunden auf unserem Online-Shop generieren, etwa für die Anzeige von Produkten. Wir bauen zudem auch sehr intensiv eine eigene Kundendatenplattform auf, die noch besser aufbereitete Daten für unser Marketing und den Webshop zur Verfügung stellt.

Sie wollen führender Online-Fahrradhändler in Europa werden. Wer sind die größten Wettbewerber?

Signa Sports United ist nach der Spac-Transaktion mit Wiggle Chain Reactions einer der größten Anbieter. Die Internetstores-Gruppe, ebenfalls Teil von Signa Sports United, ist mit Marken wie Fahrrad.de auch sehr groß, hat aber auch eine etwas andere Positionierung. Mit Probike­shop haben sie zwar einen Ableger in Frankreich, der ähnlich wie wir positioniert ist. Aber gerade Fahrrad.de ist stark auf das günstigere Segment fokussiert. Wiggle Chain Reaction ist ein bisschen höherwertiger positioniert, bedient aber eher Großbritannien und konzentriert sich stark auf Schnelldreher. Auch da gibt es also deutliche Unterschiede.

Wird Bike24 ebenfalls in das mittlere Marktsegment einsteigen?

Wir müssen uns ein bisschen breiter aufstellen. Ich glaube aber, dass der Kunde aus dem mittleren Marktsegment für uns deutlich leichter zu erreichen sein wird als der Rennradfahrer, der heute bei Bike24 einkauft, für unsere Konkurrenten.

In den vergangenen Tagen hat Bike24 für gut 400000 Euro Aktien zurückgekauft. Wofür?

Insgesamt haben wir im Rahmen des Aktienrückkaufprogramms 17000 Aktien am Markt erworben, um diese als einmaligen Bonus für den erfolgreichen Börsengang an unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auszugeben und den unternehmerischen Gedanken zu befördern. Als Anteilseigner sind sie gleichzeitig auch direkte Teilhaber am wirtschaftlichen Erfolg von Bike24.

Das IPO erfolgte am unteren Ende der Spanne, drei Monate später liegt die Aktie 50% im Plus. Haben Sie dem einen oder anderen IPO-Berater eine längere Ausfahrt auf dem Rad vorgeschlagen?

Wir haben unser Ziel mit dem IPO erreicht und 100 Mill. Euro eingesammelt. Viele Investoren, die zum Börsengang an uns geglaubt haben, sind sehr glücklich, und das hilft uns für die Zukunft. Momentan gibt es da keine unglücklichen Gesichter, und das ist uns allen sehr recht.

Das Interview führte

BZ+
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