Jochen Eichmann

„Wir wollen den Markt entwickeln“

Venture Debt steckt in Deutschland noch in den Anfängen, ist aber ein interessantes Finanzierungsinstrument für reifere Start-ups, um insbesondere die Anteile der Gründer nicht zu sehr zu verwässern. Die KfW plant einen neuen Fördertopf über 1 Mrd. Euro.

„Wir wollen den Markt entwickeln“

Von Heidi Rohde, Frankfurt

Das Rekordjahr 2021, in dem üppige Mittelzuflüsse in großvolumigen Eigenkapitalrunden auch in Deutschlands Start-up-Szene zahlreiche Unicorns hervorgebracht haben, hat für einige auch das Tor zu Fremdkapital weiter geöffnet. Zu ihnen zählen auch solche, denen eine baldige Börsenreife attestiert wird, darunter das unter Flixbus bekannte Münchner Start-up, das im Frühjahr in eine Europäische Aktiengesellschaft als Flix SE umfirmierte; außerdem das Berliner Unternehmen Enpal, das Fotovoltaikanlagen vermietet, sowie die Touristikfirma Getyourguide.

Venture Debt, das in Deutschland bisher kaum eine Rolle spielte, gewinnt an Bedeutung, wie Jochen Eichmann, KfW-Abteilungsdirektor und Head of Venture Tech Growth Financing (VTGF), im Gespräch mit der Börsen-Zeitung sagt. Die bundeseigene Förderbank hatte 2019 einen fünfjährigen „Piloten“ als VTGF aufgelegt, mit einem jährlichen Volumen von 50 Mill. Euro, aus dem dann in Kooperation mit privaten Banken insgesamt das Doppelte an Venture Debt fließen konnte. „Die Resonanz war so groß, dass man im Rahmen des Zukunftsfonds des Bundes einen substanziellen Ausbau von VTGF plant, um das Venture-Debt-Ökosystem weiter zu stärken“, so Eichmann. Der Startschuss soll in Kürze erfolgen. Dem Vernehmen nach geht es um ein Volumen von 1 Mrd. Euro über zehn Jahre.

Geringer Anteil

„Wir wollen den Markt entwickeln“, betont der Manager, der hierzulande auch in diesem Bereich im Vergleich etwa zu den USA eine große Lücke ausmacht. Gemessen am Gesamtbetrag, der in Deutschland jährlich an Wagniskapital fließt, mache Venture Debt erst 5% aus. In den USA liegt die Summe bei einem Viertel. Als Assetklasse hat Venture Debt im vergangenen Jahrzehnt einen globalen Aufschwung verzeichnet. Das Kreditvolumen stieg von 4,2 Mrd. Dollar im Jahr 2011 auf 33,4 Mrd. Dollar 2020. Dabei flossen drei Viertel der Mittel an Tech Companies. Wenig überraschend sitzen die entsprechenden Anbieter häufig im Westen der USA, allen voran die Silicon Valley Bank, Square One Bank oder SaaS Capital. Letztere sind spezialisiert auf die wachsende Kategorie von jungen Tech-Unternehmen, die ihr Geschäftsmodell auf Plattform-Services aufbauen und dabei in der Regel wiederkehrende Einnahmen im Abo-Modell erzielen.

Deutsche Kreditinstitute sind bei Ausleihungen an junge Unternehmen, die noch nicht die operative Reife für ein klassisches Bankdarlehen haben, bisher sehr zurückhaltend. Allerdings registriert Eichmann eine „gewisse Aufbruchbereitschaft“ bei einigen, darunter allen voran die deutsche Unicredit, aber auch Commerzbank und Deutsche Bank sowie eine Reihe von Sparkassen und Volksbanken.

Die KfW will bei VTGF künftig sowohl mit „mehr Banken als auch mit Venture-Debt-Fonds zusammenarbeiten“. Um das Risiko solcher Darlehen einzugrenzen, liegen die Laufzeiten bei Venture Debt in der Regel zwischen ein bis drei Jahren, manchmal bei bis zu fünf Jahren. „Vielfach geht es gerade für börsenreife Unternehmen, die ein IPO in einem volatilen Umfeld nochmals verschieben wollen, um eine Brücke von einem Jahr“, so Eichmann. Dies deckt sich mit den Erfahrungen von Till Karrer, Partner Advisory bei KPMG, der selbst auch im Start-up-Umfeld berät und die Anforderungen der Venture-Debt-Investoren kennt. „Für Unternehmen, die bereits mehrere Eigenkapitalrunden hinter sich haben und einen gewissen Reifegrad haben, werden solche Kredite interessant“, sagt der Experte der Börsen-Zeitung. Allerdings: „Unternehmen, die einen Unicorn-Status erreicht haben, eignen sich nicht automatisch für Venture Debt“, so Karrer. Die Kreditgeber schauen nach seiner Kenntnis durchaus auch auf „klassische Kennzahlen“ – soweit das bereits möglich ist, zum Beispiel auf das Verhältnis von operativem Ergebnis zu Nettoschulden oder eben auf den verfügbaren Cashflow. Vielfach fehlt es daran aber noch. Die Unternehmen sind weit überwiegend in einer Phase, wo noch Geld verbrannt wird und keine Gewinne anfallen. Häufig, so auch Karrer, geht es daher um die „Einzelfallbetrachtung“, die Frage: „Wie ist das Unternehmen gerade auch im gegenwärtigen Marktumfeld aufgestellt?“ Dabei registriert der Manager „in allen Transaktionen“ nicht nur den steigenden Marktzins, sondern auch „wachsende Spreads“ für die einzelnen Unternehmen.

Keine Verwässerung

Venture Debt ist dennoch für Nachwuchsfirmen mit einem bereits robusten Geschäftsmodell bestechend „und sehr wichtig“, findet Eichmann. „Der Vorteil für die Gründer und Investoren liegt vor allem darin, weiteres Wachstum finanzieren zu können, ohne dass insbesondere die Anteile der Gründer weiter verwässert werden“, betont er. Denn der Unternehmenserfolg hänge doch vielfach von einer starken Position innovativer Gründer ab. In der jüngsten Vergangenheit hätten die übervollen Kassen zahlreicher Wagniskapitalgeber und Private Equity Growth Funds den reiferen Start-ups Eigenkapital geradezu aufgedrängt. Dies trug überdies zur Eskalation der Bewertungen bei, wo nun vielfach Luft entweicht.

Volumina noch niedrig

Venture-Debt-Geber zielen auf ei­ne Bruttorendite von 10 bis 15%. Aus Eichmanns Erfahrung bewegen sich die Zinssätze in einer breiten Spanne zwischen 6 und 15%, je nachdem, ob es Besicherungsmöglichkeiten gibt oder einen „Equity Kick“. Eine solche Komponente wird bei Venture Debt häufig integriert, wie auch Karrer beobachtet, um für die Kreditgeber „Upside-Potenzial“ zu schaffen, das normalerweise nur die Eigenkapitalinvestoren haben. Die Volumina von Venture Debt sind hierzulande insgesamt noch niedrig. „Es gibt Finanzierungen von 1 bis 2 Mill. Euro, aber auch große Runden über 100 Mill. Euro, bei denen in der Regel mehrere Banken teilnehmen müssen“, so Eichmann. Insgesamt besteht aus seiner Sicht bei Venture Debt in Deutschland ebenso Bedarf, „bei sehr kleinen wie bei ganz großen Finanzierungen“. Angesichts eines derzeitigen Marktpotenzials von 700 Mill. bis 1 Mrd. Euro beziffert er die Lücke „auf 300 Mill. bis 500 Mill. Euro“.

Allerdings ist der Manager aus der Erfahrung mit der Erstauflage des VTGF auch positiv gestimmt: „Viele solcher Kredite werden vorzeitig abgelöst, und dann folgt eine neue, größere Mittelaufnahme. Der Markt zieht an, aber es ist noch ein gutes Stück Weg zu gehen.“

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