Jonas Weickenmeier, People Lead Börsen-Zeitung

„Entscheidend für das Gelingen einer Trans­formation ist der Mensch“

Ein Blick hinter die Kulissen der Börsen-Zeitung: Jonas Weickenmeier unterstützt als People Lead die Mitarbeitenden in Redaktion und Verlag in der digitalen Transformation. Im Interview erklärt er, was nötig ist, damit ein Veränderungsprozess erfolgreich sein kann – und wie ihm seine Erfahrung als Schiedsrichter-Assistent in der Bundesliga dabei hilft.

„Entscheidend für das Gelingen einer Trans­formation ist der Mensch“

Jonas, du bist seit einigen Wochen als People Lead bei der Börsen-Zeitung an Bord. Was ist aus deiner Perspektive die größte Herausforderung, vor der das Team momentan steht?

Die größte Herausforderung im Hier und Jetzt ist das Spannungsfeld zwischen der Transformation auf der einen Seite, die viel Zeit, viel Mühe, viel Engagement verlangen wird, und dem Aufrechterhalten und Optimieren des Tagesgeschäfts auf der anderen Seite. Nach wie vor erscheint ja jeden Tag eine Zeitung, sind Fristen einzuhalten. Da besteht wenig Spielraum zu priorisieren, Dinge zeitlich zu verschieben. Aber eine Transformation kostet eben Zeit.

Warum muss die Börsen-Zeitung denn eigentlich eine so grundlegende und schnelle Transformation vollziehen?

Weil sich die Welt verändert hat – und sich weiter verändern wird. Die Digitalisierung ermöglicht ganz neue Wege der Kommunikation, der Informationsbeschaffung, der Transparenz, der Vergleichbarkeit. Das verändert auch das Verhalten unserer Leserinnen und Leser grundlegend. Wir müssen transformieren, um das, was die Börsen-Zeitung auszeichnet, ihren Qualitätsjournalismus, ihre unaufgeregte, nüchterne und faktenorientierte Berichterstattung, auch in Zukunft überall dort anbieten zu können, wo unsere Leserinnen und Leser es nutzen möchten.

Was ist als People Lead deine konkrete Rolle in diesem Prozess?

Der Fokus meiner Arbeit liegt auf den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die Rolle wurde ja neu geschaffen, mit Blick auf die Transformation. Ein schönes Signal des Unternehmens, dass man in die Unterstützung und Entwicklung der eigenen Leute investiert. Und dass die Transformation eben nicht von jetzt auf gleich funktionieren wird, als müsste man nur einen Schalter umlegen. Meine Aufgabe ist es, die digitale Transformation voranzutreiben und zu begleiten – den Menschen als wichtigsten Bestandteil immer im Blickpunkt. In meinen ersten Wochen habe ich deshalb vor allem ganz viele Fragen gestellt, zugehört – und versucht zu verstehen, wo diese Organisation steht, wie sie tickt. Und was die Kolleginnen und Kollegen brauchen, um die Transformation erfolgreich bewältigen zu können.

Wo steht die Organisation denn gerade?

Ich nehme ein sehr heterogenes Bild wahr. Jedem ist kognitiv und rational bewusst, dass sich etwas verändern muss. Auf der emotionalen Ebene, welche Veränderungen das genau bedeutet und welche Routinen jeder Einzelne aufgeben muss, ist das Verständnis unterschiedlich ausgeprägt. Deswegen ist es wichtig, weiter kontinuierlich die Dringlichkeit der Veränderungen zu unterstreichen – und zu erklären, wohin die Reise geht.

Das heißt also, ein klares Zielbild zu zeichnen, wie die Börsen-Zeitung in Zukunft als Geschäftsmodell, aber auch in ihren Produkten, Rollen und Arbeitsabläufen funktionieren wird.

Das ist elementar wichtig. Dabei geht es aber nicht darum, bis ins letzte konkrete Detail zu beschreiben, wie die zukünftige Welt aussehen wird. Das ist zu einem frühen Zeitpunkt in einer Transformation gar nicht möglich. Sondern es geht darum, Orientierung zu vermitteln.

Was hilft denn den Mitarbeitenden, die damit verbundene Unsicherheit auszuhalten?

Ein erster und ganz wichtiger Schritt ist es, anzuerkennen, dass es diese Unsicherheiten gibt, dass es Widerstände geben wird. Das liegt in der Natur der Sache und in der Natur des Menschen. Wir müssen den Unsicherheiten, den Widerständen, den Emotionen, die auftreten, in der Organisation Raum geben und sie besprechbar machen.

Das bedeutet vor allem: Kommunikation.

Viel Kommunikation. Aber nicht im Sinne einer Einbahnstraße, sondern eines echten, gemeinsamen Dialogs. Wenn wir von Transformationen sprechen, drehen sich die ersten Gedanken und Diskussionen häufig um Tools, Hardware, Software bis hin zu künstlicher Intelligenz. So wichtig es ist, auch darüber zu sprechen: Wirklich kritisch für das Gelingen einer Transformation ist der Faktor Mensch. Was bedeuten die Veränderungen in Geschäftsmodellen, aber auch in den Rollen und Arbeitsabläufen für die Leute? Was können wir tun, um sie auf dem Weg nicht alleine zu lassen? Das ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Technik kann noch so cool sein und selbsterklärend und sinnvoll. Wenn die Menschen sie nicht nutzen, weil sie es nicht wollen oder können, dann ist die beste Technik umsonst.

Bevor du zur Börsen-Zeitung gekommen bist, warst du bei der Deutschen Bahn. Welche Unterscheide zwischen den beiden Häusern nimmst du in der Transformation wahr?

Mit Blick auf die einzelnen Menschen ist da erst mal nicht viel anders. Der Mensch ist der Mensch. Mit Blick auf die konkreten Veränderungsaufgaben sehe ich aber sehr wohl einen Unterschied. Die Deutsche Bahn ist ein riesiger Konzern mit vielen Prozessen und komplexen Strukturen. Die Struktur der Börsen-Zeitung steht für ein anderes Unternehmenskonzept: kleiner, schneller, weniger formalisiert und prozessual getrieben.

Aber es gibt ja Menschen, die sich nach Formalisierung sehnen, die sagen: „Wir brauchen Prozesse, wir brauchen eine Struktur.“

Die Mischung macht es aus: Ein überformalisiertes Handeln, eine ausschließliche Orientierung an Prozessen ist mit Sicherheit nicht die Lösung. Immer nur im Ad-hoc-Modus zu handeln, nur zu reagieren, ohne den Weg zu planen, ist genauso wenig zielführend. Deshalb versuche ich, das Beste aus beiden Welten zu vereinen: Wo sollten wir uns an Prozessen orientieren, wo ist es richtig, schnell und pragmatisch zu agieren?

Freitags und am Wochenende beschäftigst du dich mit einem Nebenjob, der ja eigentlich fast ausschließlich aus Ad-hoc-Entscheidungen und spontanen Reaktionen auf Ereignisse besteht. Oder ist diese Wahrnehmung falsch?

Ich bin nebenher als Fußball-Schiedsrichter aktiv, mittlerweile als spezialisierter Schiedsrichter-Assistent bis rauf in die Bundesliga. Natürlich muss ich auf dem Platz Entscheidungen in der Sekunde treffen. Wenn es einen Zweikampf gibt und ein Spieler kommt zu Fall, hast du diesen einen Moment, zu entscheiden: Pfeife ich, entscheide ich auf Foulspiel, oder lasse ich das Spiel weiterlaufen? Gleichzeitig gibt es aber ganz, ganz viel, was ich in der Rolle vorausdenken kann. Zur Rolle des Schiedsrichters gehört eine intensive Vorbereitung: Es braucht eine gewisse körperliche Fitness, um dich im Spiel in eine Position zu bringen, die Entscheidungen treffen zu können. Ich muss aber auch mental vorbereitet sein, also Spielweisen von Mannschaften kennen und meine eigenen Erfahrungswerte abrufen können.

In einem Transformationsprozess wie bei der Börsen-Zeitung: Wie viel Schiedsrichter ist da nötig und wie viel Coach?

Auch ein Schiedsrichter hat Anteile der Rolle eines Coaches: Er hat mit 22 Akteuren auf dem Platz zu tun. Mindestens. Plus Funktionäre, die sich am Spielfeldrand bewegen. Und seine Aufgabe ist es, mit diesen 22 Akteuren und immer unterschiedlichen Charakteren einen Weg der Zusammenarbeit zu finden. Da habe in der Rolle des Schiedsrichters sehr viel gelernt. Und das ist sicherlich eine Eigenschaft, die in einer Transformationsbegleitung wichtig ist.

Wie schwer fällt es dir als Schiedsrichter eigentlich, tatsächlich Neutralität zu bewahren? Du hast ja sicher auch Sympathien für den einen oder anderen Verein, für den einen oder anderen Spieler…

Das ist, ganz ehrlich, überhaupt kein Problem, weil es die Rolle und die Aufgabe mit sich bringen. Wenn ich auf dem Platz stehe, dann spielt nicht Borussia Dortmund gegen die TSG Hoffenheim, sondern dann spielt Gelb gegen Blau. Ich fokussiere komplett auf die Aufgabe. Und die ist es, ein Spiel unparteiisch über die Bühne zu bringen.

Kannst du denn überhaupt noch entspannt ein Fußballspiel im Fernsehen schauen? Oder ist das so nah am Job, dass du dich über Entscheidungen aufregst, die du anders getroffen hättest?

Also mir gelingt es schon, ein Fußballspiel entspannt zu schauen. Aber klar schaue ich sie immer auch aus der Perspektive der Schiedsrichter. Wie leiten meine Kollegen dieses Spiel, welche Entscheidungen treffen sie, wie hätte ich in der Situation entschieden? Aber trotzdem fühlt sich das, wenn ich wirklich zu Hause, mit Freunden oder in der Sportsbar Fußball schaue, nicht nach Arbeit an, sondern ist Teil meiner Freizeit.