Befragung unter 300 Führungskräften

Automanager erträumen fabriklose Zukunft

Die Autobranche steht vor enormen Herausforderungen. Um effizienter zu werden, könnten langfristig selbst Tabus fallen. Das hat eine Befragung der Unternehmensberatung Bain ergeben.

Automanager erträumen fabriklose Zukunft

Automanager erträumen fabriklose Zukunft

Befragung der Unternehmensberatung Bain zeigt Offenheit der Führungskräfte für radikale Lösungen

Die Autobranche steht vor enormen Herausforderungen. Um effizienter zu werden, könnten langfristig selbst Tabus fallen. Die Ideen reichen vom verstärkten Einsatz von KI in der Verwaltung bis hin zur autonomen Fertigung – oder gar dem gänzlichen Verzicht auf eigene Fabriken.

Von Daniel Schnettler, Frankfurt

Apple hat es vorgemacht: Es braucht keine eigenen Fabriken, um erfolgreich Produkte auf den Markt zu bringen. Wäre dieses Modell aus der Elektronikbranche auch auf die vielfach gebeutelten Autohersteller übertragbar? Darüber wird in den Konzernen zumindest nachgedacht, wie eine Befragung der Unternehmensberatung Bain unter 300 Führungskräften aus Europa und Nordamerika ergeben hat.

„Es gibt heute eine deutlich höhere Bereitschaft, neue Ansätze zu durchdenken“, sagt Bain-Partner und Branchenkenner Björn Noack im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. „Früher wurde die Produktion als Kernkompetenz angesehen nach dem Motto ‚Nur wir kriegen die besten Spaltmaße hin‘.“ Diese Zeiten seien vorbei. „Zum einen ist es heute einfacher, ein Auto zu bauen, weil viel mehr Teile von Zulieferern kommen und ein Elektroauto generell weniger komplex in der Produktion ist. Zum anderen achten die Endkunden heute eher auf andere Dinge, etwa auf Konnektivität und Infotainment.“

Europas Manager machen sich besonders viele Gedanken

Satte 84% der von Bain & Company befragten Manager spielen eine fabriklose Zukunft gedanklich durch. Die europäischen Führungskräfte beschäftigen sich sogar noch intensiver mit dem Thema als ihre nordamerikanischen Kollegen.

„Wir haben deutliche Überkapazitäten in europäischen Fabriken bei gleichzeitig sinkender Nachfrage und einem rückläufigen Export“, erläutert Bain-Partner Eric Zayer, der die Analyse federführend erarbeitet hat. Autohersteller könnten deshalb in Zukunft als Lohnfertiger auftreten, um ihre Werke besser auszulasten. „Aktuell passiert das aber nur im Rahmen von bestehenden Kooperationen.“

Alternativ versuchten manche Hersteller, überflüssige Werke zu verkaufen. „Das ist aber sehr schwierig“, sagt Zayer. „Die Lohnfertigung für andere Autohersteller wäre da ein alternativer Ansatz.“ Auch die florierende Rüstungsindustrie könnte ungenutzte Produktionskapazitäten in den Werken der europäischen Autohersteller nutzen. „Das ist eine große Hoffnung in der Branche.“

„Perfekter Sturm“ in der Autobranche

Bain-Experte Zayer beschreibt die Lage der Autobranche als „perfekten Sturm“: Durch die zunehmende Abschottung von Märkten schwänden die Skaleneffekte in der Produktion. Gleichzeitig werde der Übergang hin zum Elektroauto teurer, weil parallel weiter Verbrenner und Übergangstechnologien entwickelt würden. Software und autonomes Fahren kosteten viel Geld. Überdies kämen neue Spieler auf den Markt, besonders aus China.

Gerade die wachsende Abschottung in vielen Märkten könnte die Lohnfertigung in der Autobranche beflügeln, sagen die Bain-Experten. Autohersteller seien zwar vielfach gezwungen, vor Ort zu produzieren – der Aufbau einer eigenen Fertigung lohne sich jedoch nicht in jeder Region.

KI und digitale Produktion auf kurze Sicht wichtiger

Um aus diesem Dilemma herauszukommen, setzen Hersteller einstweilen allerdings eher auf Kooperationen und andere Maßnahmen. „Der Wandel hin zu Fabless ist insgesamt eher ein langfristiges Thema“, sagt Zayer. „Auf kurze und mittlere Sicht wird das Thema KI und die digitale Produktion die Branche viel mehr durcheinanderwirbeln.“

„Die Investitionen in diesem Bereich sind vielfach geringer als man denkt“, führt Zayer aus. Ein Beispiel sei die Software-Dokumentation, in der noch viele manuelle Tätigkeiten anfielen. „Die Aufgabe könnten KI-Systeme übernehmen, die schon heute am Markt verfügbar sind, was rasch Einsparpotenziale schafft und Raum für weitere Automatisierungen eröffnet.“

Hier wiederum sind laut der Befragung die Automanager in Übersee mutiger als ihre europäischen Kollegen. „Die US-Amerikaner denken schon sehr genau darüber nach, wo sie Einsparungen realisieren können“, sagt Zayer. „Die Europäer sind zwei Schritte dahinter und fragen sich derzeit noch: Kann ich eigentlich dieser Technologie vertrauen?“ Sie müssten aufpassen, Chancen nicht zu vertrödeln.