Elektromobilität

Chinas Tesla-Rivalen wollen Europa anzapfen

China ist als weltgrößter Pkw-Absatzmarkt auch das Epizentrum für den Aufbruch in die Elektromobilität. Der Trend zum vom Grund auf neu konzipierten vollelektrischen „Smart Car“ bringt chinesische Start-ups auf die Erfolgsspur. Nun wächst die Hoffnung, E-Autos „made in China“ nach Europa bringen zu können.

Chinas Tesla-Rivalen wollen Europa anzapfen

Von Norbert Hellmann, Schanghai

Chinas größte und modernste Metropole Schanghai ist ein Trendsetter für das Verbraucherverhalten im Reich der Mitte und damit auch ein kleines Eldorado für Konsumforscher im Automobilbereich. Es lohnt sich einmal, hinzuschauen, welche Marken und Modelle mit welchen Antriebssträngen auf Hauptverkehrsstraßen an einem so vorbeiziehen. Man sieht rasch, was sich wer in Chinas aufstrebender urbaner Mittel- und Obersicht so zu leisten vermag und als für Mobilitätszwecke geeignetes Blechkleid nach außen trägt.

Auf den ersten Blick zumindest müssen sich etablierten globalen Autobauer keine Sorgen machen. Das wählerische Stadtpublikum scheint nach wie vor den Produkten der Marktanteilschampions in China, nämlich Volkswagen, General Motors und Toyota das Vertrauen zu schenken und sich um führende chinesische Marken wie Geely, BAIC oder Dongfeng wenig zu scheren. Im Oberklassesegment wiederum haben die üblichen deutschen Verdächtigen, Audi, BMW, Mercedes und Porsche das Sagen.

Man sieht an den besonderen grünen Nummernschildern, wer in Schanghai vollelektrisch unterwegs ist, und kann feststellen dass sich das Markengefüge hier völlig anders darstellt. Nun sind es nämlich die Modelle von BYD, SAIC oder BJEV, die den Ton angeben und im Premiumsegment von Tesla und den „neuen Wilden“ aus Chinas Start-up-Szene wie Nio, Xpeng und Li Auto flankiert werden. Zum Kummer von VW, GM und Toyota ist man gegenwärtig nicht in der Lage mit neu lancierten vollelektrischen Massenmodellen sonderlich viel Kundeninteresse zu wecken.

Auch wenn die Prognosen darauf hinauslaufen, dass es den etablierten Herstellern künftig gelingen kann, die alten Marktmachtverhältnisse auch in der Elektromobilität wieder herzustellen, darf man zumindest feststellen, dass chinesische Autobauer die Zeichen der Zeit und wandelnde Kundenbedürfnisse rascher erkannt haben, als die Platzhirsche. Das wiederum wirft zwangsläufig auch die Frage auf, ob es den chinesischen Autobauern gelingen kann, auf der neuen vollelektrischen Spielwiese das seit Jahren angestrebte Heilige Gral, nämlich die schleichende Eroberung des europäischen Fahrzeugmarktes in Angriff zu nehmen.

Chinesischen Markenherstellern ist es allein schon wegen eines dürftigen Markenimages und zumindest kundenseitig vermuteten Qualitätsrückständen nicht einmal ansatzweise gelungen, das Thema Markteintritt in Industrieländern ernsthaft anzugehen. Damit beschränkt sich das Exportgeschäft bislang weitgehend auf wenig lukrative Entwicklungs- und Schwellenländermärkte mit Schwerpunkt in Zentralasien.

Tatsache ist allerdings, dass sich Vorbehalte gegen „Made in China“ bei gehobenen elektronischen Konsumgütern vom Smartphone über Laptops bis zum Digitalfernseher deutlich gelegt haben und Hersteller wie Xiaomi, Lenovo oder Hisense auch in westlichen Märkten zu punkten wissen. Hier weiß eine neue Garde von technologisch weitgereiften und auch unter Designaspekten überzeugenden Herstellern insbesondere bei einer jüngeren Kundenschicht Lifestyle-Bedürfnisse zu einem günstigen Preis-Leistungs-Verhältnis abzudecken.

Der von Tesla angestoßene Trend zum von Tech-Welten geprägten und überformten Mobilitätskonzept ist in China auf besonders fruchtbaren Boden gestoßen und hat eine neue Welle von heimischen Start-up-Firmen in den Markt gespült, die sich nun als Tesla-Jäger im chinesischen Markt profilieren. Gleichzeitig sind sie überzeugt, dass sich ihre Kundenkonzepte in China langsam, aber sicher auch auf ausländische, und dabei vor allem europäische, Märkte übertragen lassen.

Der Trend zum vernetzten und schrittweise autonomen Fahren lässt das elektrische Vehikel der Zukunft zu einem rollenden Kommunikationsgerät beziehungsweise mobilen Social-Media-Lounge mutieren. Das spielt Herstellern wie Nio und Xpeng in die Hand und lockt bezeichnenderweise auch Technologiekonzerne aus dem Konsumelektronikbereich ins Autogeschäft. Zuletzt haben Huawei und Xiaomi angekündigt, massive Investitionen in die Hand zu nehmen, um ihr Glück im sogenannten Smart-Car-Geschäft zu versuchen. Dabei ist ihnen gemeinsam, dass sie sich nicht als chinesische Billighersteller verdingen wollen, sondern als Anbieter, die bei einem technologieaffinen und auf moderne Kundenansprache geeichten Publikum einen Nerv treffen und damit eine ernste Alternative zu Tesla abgeben.

Der Weg zum Smart Car, das diesen Namen auch wirklich verdient, mag noch weit sein, aber das Thema findet bei jüngeren Käuferschichten, die in China selbst in der Premium-Klasse das wachstumsträchtigste und am heißesten umworbene Kundensegment abgeben, zweifelsohne Resonanz. In jedem Fall wird der Autokauf als bisherige Männerdomäne zumindest in Chinas Großstädten ähnlich wie bei Wohnungseinrichtungen, Haushaltsgeräten und gehobener Konsumelektronik als urbane Lifestyle-Entscheidung angesehen, bei der Frauen wesentlichen Einfluss ausüben. Chinesische Kunden, deren Entscheidungskriterien bei der Pkw-Anschaffung näher in den Bereich von elektronischen Konsumgütern fallen, sehen sich bei Anbietern aus der Tech-Sphäre besonders gut aufgehoben.

Die vollelektrischen Modelle von europäischen und japanischen Herstellern haben schließlich noch immer den Charakter eines umfunktionierten Benzinfahrzeuges – ein markanter Kontrast zu den von Grund auf neu konzipierten und designten E-Autos, wie sie Tesla und die chinesischen Rivalen aufbieten. Das gibt nicht nur den etablierten Autobauern einiges zu denken, sondern findet auch an den Börsen Resonanz, wo die in New York notierten Nio und Xpeng bei der Performance sogar Tesla abhängen – von VW und Toyota ganz zu schweigen (siehe Chart).

Ob sich daraus auch Hoffnungswerte für künftige chinesische Markterfolge in Europa und nicht zuletzt auch Japan und Korea ableiten lassen, wird in chinesischen Expertenkreisen eifrig debattiert und mit einigem Optimismus unterlegt. Aber natürlich, aller Anfang ist schwer. Am leichtesten fällt er gegenwärtig in Norwegen, als bislang weltweit einzigem Ländermarkt in dem der Anteil der vollelektrischen Fahrzeuge an den gesamten Pkw-Neuzulassungen zuverlässig über 50% liegt und im ersten Quartal 2021 gar 80% erreicht hat.

Kein Wunder also, dass sich die derzeit am weitesten vorangeschritten chinesischen E-Auto-Start-ups, Nio, Xpeng und Li Auto, aber auch der BYD-Konzern allesamt dazu entschieden haben, Norwegen als Teststrecke zur Abschätzung künftiger Absatzpotenziale in Europa ansteuern und sich mit ersten Showrooms und Verkaufsnetzen in Oslo etablieren. Von da aus ist es freilich noch ein weiter Weg ins Herz des deutschen, französischen oder britischen Pkw-Kunden. Aber dennoch wirkt der Traum vom chinesischen Eintritt in westliche Marktgefilde beim Abgleich mit urbanen Mobilitätsbedürfnissen in Wohlstandsgesellschaften mehr als nur die Zukunft einer Illusion.

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