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Der Twitter-Deal: Fake oder cooler M&A-Poker?

Unabhängig davon, wie der sich jetzt bereits abzeichnende Rechtsstreit mit zahlreichen Facetten und Beteiligten sich entwickeln wird, bei künftigen Übernahmeangeboten werden Verlauf und Ausgang zu beachten sein.

Der Twitter-Deal: Fake oder cooler M&A-Poker?

Elon Musk ist eine Persönlichkeit, die polarisiert und dies auch gerne in die Öffentlichkeit trägt. Nachdem er letzten Freitag die von ihm im April dieses Jahres vereinbarte Twitter-Übernahme über seine Anwälte „abgesagt“ hat, ist eines sicher: Er wird damit M&A-Geschichte schreiben.

Unabhängig davon, wie der sich jetzt bereits abzeichnende Rechtsstreit mit zahlreichen Facetten und Beteiligten sich entwickeln wird, bei künftigen Übernahmeangeboten werden Verlauf und Ausgang zu beachten sein. Selbst wenn es am Schluss zu einem „Deal“ kommt, etwa einer Reduktion des vereinbarten Kaufpreises, wird dies die Formulierung von Rücktrittsklauseln und die Definition eines „Material Adverse Effects (MAE)“ vermutlich über Jahre bestimmen.

Deshalb ergibt es Sinn, sich die bis jetzt bekannten juristischen Feinheiten etwas genauer anzusehen. Elon Musk wollte Twitter erwerben und hat mit dem Unternehmen eine rechtlich bindende Übernahmevereinbarung im April 2022 abgeschlossen, das heißt Wochen nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine. Von dieser Vereinbarung will er sich jetzt lösen.

Doch dies ist keine einfache Absage eines Deals. Elon Musk hat sich verpflichtet, zu einem – unter heutigen Gesichtspunkten – viel zu hohen Preis, das gelistete Unternehmen Twitter zu übernehmen und die Aktionäre auszuzahlen.

Zu viele Spam-Konten

Seine Anwälte tragen nunmehr vor, dass diese Verpflichtung entfallen sei, weil die Zahl der Spam- und Fake-Konten viel höher sei als von Twitter seit Jahren berichtet. Wenn das stimmt – das sollte man nicht außer Acht lassen –, ist Twitter so etwas wie das amerikanische Wirecard. Doch derzeit spricht einiges dafür, dass dies nur „Legal Lan­guage“ ist. Auch die weiteren Argumente, mangelnde Kooperation und Trennung von zwei leitenden Angestellten, klingen eher kleinmütig. Dies gilt umso mehr, als bisher in den USA erst in einem relevanten Präzedenzfall, der Übernahme des Generikaproduzenten Akorn durch die deutsche Fresenius-Gruppe, ein solches Rücktrittsrecht durch das zuständige Gericht in Delaware anerkannt wurde. Insoweit ist es sicher hilfreich, einen Blick auf diese Transaktion zu werfen.

Nachdem Fresenius die Übernahmevereinbarung mit Akorn – ebenfalls börsennotiert – geschlossen hatte, kam es zu einem dramatischen Umsatz- und Ertragseinbruch bei dem Zielunternehmen. Hinzu kam dann noch, dass über Whistleblower-Hotlines bisher nicht bekannte Informationen über Compliance-Verstöße bekannt wurden.

Diese nachweisbaren Fehlinformationen sowie die dramatische Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation von Akorn führten zu der gerichtlichen Entscheidung, dass Fresenius die Transaktion absagen konnte. Das war gut für Fresenius, Akorn ist heute ein Penny Stock. Dabei muss man aber auch bedenken, dass diese Entscheidung völlig unabhängig von Ereignissen, wie etwa der Corona-Pandemie oder dem Ukraine-Krieg, gefällt wurde. Zwar ist der Kurs von Twitter genauso wie der Kurs von Tesla gefallen, doch die Ursachen liegen im veränderten geopolitischen Umfeld und eine solche Argumentation ist daher regelmäßig in MAE-Klauseln ausgeschlossen.

Präzedenzfall Tiffany

Ein weiterer interessanter Präzedenzfall ist die Tiffany-Übernahme, die kurz vor Beginn der Pandemie unterschrieben wurde. Tiffany war dann zumindest in den Anfangsmonaten ein Verlierer von Covid, Flughäfen waren geschlossen, und wer kauft einen Einkaräter im Internet? Nichtsdestotrotz wurde die Transaktion dann mit einem letztendlich geringen Abschlag noch abgeschlossen. Man kann davon ausgehen, dass LVMH und Bernard Arnault, auch ein leuchtender Stern des Übernahmemarktes, darüber heute eher froh sind. Elon Musk würde ein solch geringer Abschlag bei Twitter jedoch eher nicht reichen.

Was will also Elon Musk, und was ist seine Taktik? Ist es wirklich denkbar, dass seine Berater darauf pokern, der reichste Mensch der Welt steht über dem Gesetz, die Richter in Delaware werden sich nicht „trauen“, seine Argumente zurückzuweisen? Elon Musk ist ja schon einmal relativ „billig davongekommen“, als er den Börsenrückzug von Tesla angekündigt hat. Damals gab es eine (milde) 20- Mill.-Dollar-Strafe und den unfreiwilligen Rückzug aus dem Board. Geht es ihm nur darum, die Break-up Fee in Höhe von immerhin 1 Mrd. Dollar zu vermeiden, oder aber besteht tatsächlich die Gefahr, dass die Erfüllung der Transaktion ge­richtlich angeordnet wird, wie von Twitter verlangt? Es wäre nicht das erste Mal in den USA. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass vor Vertragsunterschrift/Signing auf eine Due Diligence, eine vertiefte Un­ternehmensprüfung von Musk, verzichtet wurde. Hat dies Auswirkungen auf die gerichtliche Bewertung?

Eines macht die Twitter-Übernahme deutlich: Bei Transaktionen ist der genaue Wortlaut von Gewährleistungen und Rücktrittsrechten entscheidend. Das ist kein „Anwalts-Klein-Klein“, sondern absolut essenziell. Gerade bei der Definition der Rücktrittsvoraussetzungen, MAE, ist größte Präzision gefragt. Und die Richter in Delaware haben jetzt die Aufgabe, zu entscheiden, ob ein Wort ein Wort ist und ob das Urprinzip unseres Vertrags- und auch Übernahmerechts weiter gilt: „pacta sunt servanda“ beziehungsweise angepasst werden muss: Grundsätzlich sind Verträge einzuhalten, aber manchmal eben auch nicht.

Streit schadet Elon Musk

Ganz sicher aber ist, dass ein jahrelanger juristischer Streit sowohl Elon Musk als auch Twitter schädigen wird. Auch das wird die Taktik beider Parteien beeinflussen, genauso wie die Gefahr, dass tausende von Aktionären und sicher auch der ein oder andere Hedgefonds bereits Klagen gegen Musk und/oder Twitter vorbereiten. Vielleicht war das Ziel genau das?