Start-ups

„Die Geburtenrate von Einhörnern steigt rasant“

Private Equity pumpt immer mehr Geld in reife Start-ups. Auch die Industrie sucht Innovation mit Beteiligungskapital. Beides treibt die Bewertungen.

„Die Geburtenrate von Einhörnern steigt rasant“

Von Heidi Rohde, Frankfurt

Wer einen Blick auf den deutschen Wagniskapitalmarkt im Jahr 2 nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie wirft, sieht von Krise keine Spur. Im Gegenteil: Das rasant angeschwollene Finanzierungsvolumen erweckt geradezu den Eindruck, die Investoren hätten Angst etwas zu verpassen. Nicht nur, dass sich die Mittelzusagen im zweiten Quartal gegenüber dem Vorquartal auf rund 6 Mrd. Dollar mehr als verdoppelt haben. Sie machten auch bereits 80% der Gesamtsumme von 2020 aus. Eine Abkühlung des heißlaufenden Marktes ist nicht in Sicht.

Ashkan Kalantary, Partner bei KPMG, spricht von einer geradezu „unfassbaren Pipeline“, die nicht nur das gesamte Venture Capital zu neuen Rekorden treibt, sondern auch das Transaktionsvolumen in einzelnen Finanzierungsrunden und vor allem die Zahl milliardenschwerer Start-ups. „Die Geburtenrate von Einhörnern steigt rasant; das lässt sich vor allem in den vergangenen zwölf Monaten beobachten“, erklärt der Manager, der bei KPMG im Bereich M&A auch Transaktionen im Risikokapitalmarkt betreut, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Die New Yorker Analyseplattform CB Insights hat hierzulande derzeit 19 Einhörner gezählt. Weltweit sind es über 800, davon die Hälfte in den USA, aber: In Deutschland tut sich was.

Erstmals dominiert Deutschland im zweiten Quartal dieses Jahres den europäischen Venture-Capital-Markt mit vier der Top-10-Deals der gesamten Region – an der Spitze der Münchner Softwareanbieter Celonis, der in der jüngsten Finanzierungsrunde 1 Mrd. Dollar einsammelte und damit das erste Decacorn hierzulande darstellt mit einer Bewertung von mehr als 10 Mrd. Dollar. Dass die Zahl sogenannter Unicorns, also Einhörner, Unternehmen, die auf rund 1 Mrd. Dollar und mehr taxiert werden, plötzlich so stark anschwillt, hat nach Einschätzung von Kalantary auch mit der Pandemie zu tun. „Die wirkte wie ein Katalysator für Spätphasen-Investments.“ In der Krise konzentrierten sich die Geldgeber demnach hauptsächlich auf bestehende Portfoliounternehmen mit einem fortgeschrittenen Reifegrad, um diesen möglichst gut durch die Pandemiewirren zu helfen und damit bereits investiertes Kapital zu schützen.

Im Seed-Bereich, also bei Gründungsfinanzierungen, hielten sich die Geldgeber dagegen zu­rück. „Damit besteht natürlich auch die Gefahr, dass die Pipeline mittel- und längerfristig wieder austrocknet“, warnt der Experte. Auch Gesa Miczaika, Vorstand im Bundesverband Deutsche Start-ups, wies kürzlich auf den noch immer bestehenden Nachholbedarf in Deutschland hin: nur 2,1% aller Unicorns weltweit sitzen in der Bundesrepublik.

Geld für Wachstum

Das hohe Aufkommen an Risikokapital hat hierzulande – ähnlich wie global – auch mit einer veränderten Investorenlandschaft zu tun. Zum einen stoßen immer mehr große Private-Equity-Gesellschaften in das angestammte Terrain der Risikokapitalgeber vor. Zahlreiche namhafte Finanzinvestoren wie EQT, KKR oder Permira und andere haben entsprechende „Growth Capital“-Fonds aufgelegt, Permira gerade den zweiten, dessen angestrebtes Volumen mit 2,5 Mrd. Dollar um die Hälfte größer sein soll als der Vorgänger. Hatten die klassischen Private-Equity-Investoren zuvor die Maxime „Investieren in Ebit“, so investieren sie jetzt in zunehmend in Wachstum, wenn auch nicht bloß in Hoffnung.

So treiben vor allem die großen Fonds mit ihrem Anlagehunger auch die Bewertungen in die Höhe und tragen damit entscheidend zur Bildung von Einhörnern bei. General Atlantic, die als Pionier der Branche frühzeitig das attraktive Risiko-Rendite-Profil von reifen Start-ups erkannte und gezielt in junge Firmen mit vielversprechendem Wachstum investiert, zählt hierzulande mit Flixbus, bei dem auch Permira eingestiegen ist, eines der schwersten Unicorns – mit einer Bewertung von mehr als 3 Mrd. Dollar – zu ihrem Portfolio. In ihrem jüngsten Coup hierzulande hat der US-Finanzinvestor dem Kommunikations-Software-Anbieter Staffbase zu einem Bewertungssprung in Richtung Unicorn verholfen. Die Bewertung von Staffbase erreichte in der jüngsten Finanzierungsrunde 700 Mill. Euro..

Neben den Private-Equity-Gesellschaften hat sich für junge Unternehmen eine weitere direkte Kapitalquelle aufgetan, in Gestalt von Corporate Venture Fonds. Diese Kategorie ist zwar an sich nicht neu, aber die Investoren agieren inzwischen deutlich entschlossener, und „sie investieren nicht mehr über VC-Fonds­, sondern gehen direkt über eigene Corporate Venture Capital Fonds rein“, so Kalantary. „Hier hat es einen regelrechten Schub gegeben.“ Corporate Venture Fonds haben im zweiten Quartal in ganz Europa 16,5 Mrd. Dollar Risikokapital bereitgestellt, dreimal so viel wie im Vorjahresquartal und etwa die Hälfte mehr als von Januar bis März.

Triebfeder der wachsenden Risikobereitschaft großer Konzerne ist der Innovationsdruck in der Industrie. So wird die Automobilbranche im Transformationsprozess zur E-Mobilität im Softwarebereich von Tesla bzw. den US-Technologieriesen unter Druck gesetzt und bei Geschäftsmodellen auch von Aufsteigern aus China wie Nio. Da liegt der Schulterschluss mit jungen innovativen Unternehmen besonders nahe. Ohnehin konzentriert sich die Start-up-Szene, in der sich auch die meisten Einhörner tummeln, hierzulande in hohem Maße auf „die Themen Mobilität, Logistik und Transport sowie Internet-Plattformen“, wie der Experte befindet.

Darüber hinaus sind reife Start-ups in der Wachstumsfinanzierung nicht länger auf Eigenkapital angewiesen. „Venture Debt ist ein Bereich, der auch in Deutschland immer mehr Bedeutung bekommt, mit Fonds von Rocket Internet oder Softbank zum Beispiel“, betont der Manager.

Mit der steigenden Zahl der Unicorns wächst indes auch der Exit-Druck. Hier hat sich durch den Spac-Boom ein weiterer Kanal aufgetan. Auch wenn diese leeren Börsen­mäntel global die aktuelle Boom­phase überschritten und teilweise auch die Aufsichtsbehörden auf den Plan gerufen haben, „werden sie als Trendthema bleiben“, glaubt Kalantary. Denn diese Vehikel haben Anlagedruck und aus regulatorischen Gründen eine be­grenzte Zeit für eine Übernahme. Blickfang war an dieser Stelle die Akquisition von Home2go durch Deutschlands ersten Spac unter Führung des Investors Klaus Hommels im Juli. Auch das Lufttaxi-Unternehmen Lilium ist bei einem Spac untergeschlüpft, allerdings in den USA.

Letzteres beleuchtet einmal mehr eine Schwäche des deutschen IPO-Marktes. „Immer wenn es komplex oder exotisch wird, verlässt die Anleger hierzulande schnell der Mut“, ist der Eindruck bei KPMG. Skalierbare Plattformlösungen bei E-Commerce-Firmen, Logistikdienstleistern oder Lieferdiensten „werden auch bei uns immer börsenfähig sein“. Das haben unter anderem Zalando und Delivery Hero, mittlerweile beide im Dax, schon eindrucksvoll gezeigt. „Biotech-Investments werden dagegen auch nach dem Hype der Pandemie noch einen schweren Stand haben“, so Kalantary. Nicht ohne Grund sind sowohl Biontech als auch Curevac an die Nasdaq gegangen. Haupt-Exitkanal dürfte auch in Zukunft der Verkauf einen anderen Finanzinvestor oder auch an einen Strategen bleiben.

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