IM INTERVIEW: CHRISTIAN STEINLE, GLEISS LUTZ

"Dieselbe Tat wird höher bestraft"

Großkonzernen drohen bei Kartellsünden künftig höhere Strafen - Vergleichsbereitschaft dürfte zunehmen

"Dieselbe Tat wird höher bestraft"

Großkonzernen drohen künftig höhere Strafen vom Bundeskartellamt. Mit den neuen Leitlinien für die Bußgeldzumessung in Kartellordnungswidrigkeitenverfahren, die das Bundeskartellamt am Dienstag veröffentlicht hat, ändert sich die Berechnungsmethode für Kartellstrafen. Bei großen Konzernen könne das Bußgeld künftig höher ausfallen, hatte Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts, gesagt. Christian Steinle, Partner der Rechtsanwaltskanzlei Gleiss Lutz, erläutert im Interview der Börsen-Zeitung die Folgen der neuen Richtlinie.- Herr Steinle, das Bundeskartellamt hat neue Leitlinien für die Berechnung von Bußgeldern bei Kartellverfahren festgelegt. Drohen Großkonzernen jetzt tatsächlich höhere Strafen bei Wettbewerbsabsprachen?Ja, Großkonzernen drohen tendenziell höhere Geldbußen bei Kartellabsprachen als bisher, da die Größe des Gesamtkonzerns künftig stärker gewichtet wird. Letzteres ist eine Folge der jüngst ergangenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Fall Grauzement, die das Bundeskartellamt mit den neuen Leitlinien umzusetzen versucht.- Kartellamtspräsident Andreas Mundt sagt, insgesamt werde sich das Bußgeldniveau nicht wesentlich ändern. Sehen Sie das anders?Als Verteidiger begegne ich solchen Aussagen mit Skepsis und rate dazu, die künftige Bußgeldpraxis erst einmal abzuwarten. Für ein Unternehmen, das nach den neuen Leitlinien mit einer höheren Geldbuße rechnen muss, ist es kein Trost, wenn sich das Bußgeldniveau insgesamt nicht wesentlich verschärft.- Für die Höhe der Strafe werden künftig die Größe des Unternehmens sowie die Schwere und die Dauer der Tat herangezogen. War das bisher auch so? Oder was ist künftig anders?Schwere und Dauer der Tat waren bislang bereits die beiden maßgeblichen gesetzlichen Bemessungsfaktoren. Neu ist die stärkere Berücksichtigung der Unternehmensgröße, wobei hierfür der weltweite Umsatz des Gesamtkonzerns maßgeblich ist.- Das heißt?Der im Einzelfall anzuwendende Bemessungsrahmen errechnet sich wie folgt: Zunächst wird das sogenannte Gewinn- und Schadenpotenzial der Tat berechnet. Es beträgt ein Zehntel des tatbezogenen Umsatzes, also des Umsatzes mit den kartellbetroffenen Produkten beziehungsweise Dienstleistungen. Auf diesen Betrag wird ein von der Unternehmensgröße abhängiger Multiplikationsfaktor in Höhe von mindestens 2 angewendet. Der sich daraus ergebende Wert bildet in der Regel den Rahmen für die Festsetzung der Geldbuße anhand der tat- und täterbezogenen Kriterien des Einzelfalles.- Gilt künftig also: Je größer das Unternehmen, desto höher kann auch die Buße sein?Ja, in der Tat führt allein die Zugehörigkeit zu einem größeren Konzern dazu, dass ein Unternehmen künftig für dieselbe Tat noch höher bestraft wird als ein nicht konzernverbundenes Unternehmen mit vergleichbaren Umsätzen beim kartellbetroffenen Produkt. Der übrige Konzernumsatz wird noch stärkeren Einfluss auf die Bußgeldhöhe haben, obwohl er in keinem Zusammenhang zur Tat steht. Mittelbar wird daher der Gesamtkonzern für das Fehlverhalten einer einzelnen Tochtergesellschaft bestraft, selbst wenn ihm selbst nichts vorzuwerfen ist.- Drohen dann auch bei leichten Verstößen schon hohe Sanktionen?Die Leitlinien enthalten zu leichten Verstößen keine konkrete Regelung, sondern belassen es bei dem pauschalen Hinweis, dass bei der Bußgeldzumessung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten ist. Geringfügige Verstöße dürfen demnach allenfalls zu Geldbußen im unteren Bereich des Bußgeldrahmens führen, wobei die praktische Handhabung abgewartet werden muss.- Was wird für die Unternehmen künftig weniger schmerzhaft sein: wenn Brüssel einen Kartellverstoß ahndet oder wenn Bonn das tut?Das lässt sich nicht pauschal beantworten. Da die EU-Kommission in der Regel die grenzüberschreitenden Fälle verfolgt, werden in Brüssel tendenziell höhere Geldbußen verhängt. Ahndet die EU-Kommission hingegen ein nationales Kartell, was gelegentlich vorkommt, so kann die Geldbuße zumindest für Großunternehmen in Brüssel niedriger ausfallen als in Bonn.- Kollidieren die neuen deutschen Leitlinien mit der europäischen Rechtsprechung?Die Leitlinien versuchen den Spagat zwischen der europäischen Rechtsprechung und der Grauzement-Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Karlsruhe hat sich in Widerspruch zur Luxemburger Auslegung der europäischen Parallelvorschrift gesetzt. Das Kartellamt versucht nun, die Vorgaben des Bundesgerichtshofs umzusetzen, ohne sich zu sehr vom europäischen Vorbild zu entfernen. Ob dies auf Dauer gutgehen wird, wage ich zu bezweifeln. Entscheidend dürfte sein, ob die deutschen Gerichte bei der Bußgeldbemessung künftig ähnlich vorgehen werden wie das Bundeskartellamt.- Das Bundeskartellamt hat bislang viele Verfahren im Wege der sogenannten Settlements abgeschlossen. Wird es künftig eher mehr oder weniger solcher Vergleiche zwischen Wettbewerbshütern und Unternehmen geben?Solange die Ungewissheit über die künftige Bußgeldpraxis der deutschen Gerichte derart groß ist wie derzeit, dürften viele Unternehmen zu einem Settlement bereit sein. Denn sie ersparen sich ein langwieriges Verfahren mit ungewissem Ausgang und Verböserungsrisiko vor Gericht …- … also das Risiko, dass man Einspruch einlegt und danach noch eine höhere Strafe bekommt als vorher …Hinzu kommt, dass kleine Einproduktunternehmen mit den neuen Leitlinien besser fahren als mit den alten und daher künftig stärker vergleichsbereit sein dürften. Die alten Leitlinien waren teilweise mittelstandsfeindlich. Zumindest kurzfristig erwarte ich daher eher mehr Settlements.- Zum Schluss noch ein Beispiel: Ein Großkonzern, der 10 Mrd. Euro umsetzt und mit den vom Kartell betroffenen Produkten 100 Mill. Euro umsetzt, muss nach der neuen Berechnungsmethode künftig mit einem Bußgeld von bis zu 50 Mill. Euro rechnen, ein Mittelständler mit 100 Mill. Euro Umsatz in einem vergleichbaren Fall jedoch nur mit bis zu 10 Mill. Euro. Wie sähen die Höchststrafen denn nach der alten Berechnungsmethode aus?Nach den alten Leitlinien wären gegen den Großkonzern maximal 24 Mill. Euro zulässig gewesen und gegen den Mittelständler 10 Mill. Euro. Durch die neuen Leitlinien wird der Abstand zwischen den Geldbußen für Großkonzerne einerseits und Mittelständler andererseits spürbar größer.—-Das Interview führte Daniel Schauber.