Nils Chrestin

Getyourguide-CFO Nils Chrestin über den Weg zur Profitabilität

Nach langer Durststrecke hatte die Reisebranche zuletzt Aufwind. Doch was passiert, wenn die Konsumfreude nachlässt? CFO Nils Chrestin ist überzeugt, dass der Tourenvermittler Getyourguide trotz volatilen Umfelds in diesem Jahr in den ersten Ländern profitabel wird.

Getyourguide-CFO Nils Chrestin über den Weg zur Profitabilität

Sabine Reifenberger.

Herr Chrestin, die Pandemie hatte die Reisebranche zwischenzeitlich komplett zum Stillstand gebracht. Der Neustart war holprig, wie das Chaos an den Flughäfen im Sommer gezeigt hat. Auch Getyourguide hat in der Krise Personal abgebaut. Wie lief das Wiederanfahren bei Ihnen?

Wir haben unsere Expertise in den zwei Jahren Pandemie sehr gut genutzt, um uns auf die Zeit danach vorzubereiten, und haben uns nun schneller erholt als der Markt. Wir haben immer an unserer Überzeugung festgehalten, dass das Bedürfnis der Menschen nach Reisen nach der Pandemie größer sein wird als jemals zuvor und dass unser Markt entsprechend wieder hochfahren wird. Dieser Sommer hat unsere Überzeugung bestätigt.

Woran machen Sie das fest? 

Wir haben im zweiten Quartal dieses Jahres mehr als doppelt so viele Buchungen verzeichnet wie im zweiten Quartal 2019, dem letzten Vergleichszeitraum vor der Pandemie. Dieses Wachstum zieht sich durch alle Märkte, besonders stark ist es in den USA. Und dabei liegen die globalen Flugkapazitäten und das Flugvolumen zum Teil noch unter dem Niveau des Jahres 2019 – wenn dieser Bereich wieder komplett hochfährt, wird das auch für unser Wachstum noch einmal ­spannend.

Behindert es Ihr Geschäft derzeit, wenn Flüge ausfallen oder verschoben werden?

Nein. Wir sehen keine nennenswerten Auswirkungen in unseren Geschäftszahlen durch die Probleme an einigen Flughäfen. In Einzelfällen gibt es natürlich Stornierungen, wenn Kunden nicht zur gewünschten Zeit am Reiseziel ankommen. Wir haben bereits in der Pandemie stark daran gearbeitet, die Flexibilität bei Buchungen zu erhöhen, etwa indem wir Kunden bis zum Vortag eine kostenlose Stornierungsoption anbieten. Ich fühle bei Verzögerungen in erster Linie mit den Reisenden. Ich hing im Sommer selbst ungeplant am Flughafen fest.

Auch Ihre Kooperationspartner mussten die Angebote in der Pandemie weit zurückfahren. Wie haben Sie vorgesorgt, damit das Angebot rechtzeitig bereitsteht, wenn es wieder losgeht?

Wir haben einen großen Datenbestand, der verlässliche Prognosen ermöglicht. Auf Basis des Volumens an Besuchern auf der Plattform können wir beispielsweise Indikatoren dafür ableiten, wie viele Buchungen wir an welcher Stelle zu erwarten haben. Diese Buchungsprognosen teilen wir mit den Anbietern, so dass diese rechtzeitig planen können.

Sie haben also nicht mehr schlechte Bewertungen als vorher?

Wir haben über die Pandemie hinweg viel in Dashboards und Analysen investiert, Qualitätssicherung ist ein Schlüsselbestandteil unseres Ge­schäfts. Wir schauen jeden Tag auf die Bewertungen und haben eigene Teams, die die Feedbacks durchgehen. Kleinere Probleme oder Beanstandungen gibt es immer mal, aber wir sehen keine signifikante Veränderung.

Im ersten Coronajahr 2020 lagen die Umsätze von Getyourguide Deutschland bei knapp 46 Mill. Euro, ein Rückgang von 72% gegenüber dem Vorjahr. Die Tochter Tours & Tickets meldete 18,5 Mill. Euro Umsatz, ein Minus von 75%. Sie wollten die Pandemie ursprünglich 2021 hinter sich lassen, dann kamen die Delta- und die Omikron-Wellen mit weiteren Einschränkungen. Wie haben Sie 2021 erlebt?

Insgesamt war 2021 deutlich besser als 2020, aber die Benchmark war auch denkbar niedrig. 2020 hatten wir phasenweise überhaupt keinen Umsatz. Es gab aber in der Pandemiephase auch eine sehr positive Entwicklung: Sobald es erlaubt war, das Haus zu verlassen, haben Menschen Aktivitäten gebucht, das hat sich 2021 weiter bestätigt. Die Kunden verlagern ihre Erlebnisse einfach in die nähere Umgebung. Dieses Geschäft war also nie ganz weg.

Im Geschäftsjahr 2020 haben Sie 13% des Umsatzes mit Angeboten im Inland erzielt, etwa 40% entfielen auf Angebote in Europa und fast die Hälfte des Umsatzes auf Drittländer. Wie entwickelt sich das heute?

Das Domestic-Geschäft, das Angebote nahe des Wohnorts umfasst, ist inzwischen ungefähr dreimal so groß wie vor der Pandemie. Das Regio­nalgeschäft hat sich in etwa verdoppelt. Im internationalen Segment machen wir mittlerweile ebenfalls mehr Umsatz als noch 2019, der Bereich ist aber immer noch nicht wieder voll hochgefahren. Besonders gut entwickelt sich das US-Geschäft, wo es einen sehr großen Heimatmarkt gibt und Restriktionen schneller beendet wurden als in Europa. Gegenüber dem Vorkrisenniveau verzeichnen wir in den USA ein Plus von 150%.

Sie haben während der Pandemie auch Mitarbeiter entlassen müssen. Bekommen Sie die jetzt trotz Fachkräftemangel wieder an Bord?

Wir beschäftigen derzeit über 700 Mitarbeitende , das sind mehr als vor Ausbruch der Pandemie. Einen Fachkräftemangel, wie andere Tourismusbereiche es wahrnehmen, merken wir nicht. Aber als Technologieunternehmen spüren wir trotzdem auch, dass der Arbeitsmarkt schwierig ist. IT-Fachkräfte sind sehr gefragt. Hier hilft uns auch unsere Unternehmenskultur, um Fachkräfte von uns zu überzeugen.

Zurzeit ist ja nicht klar, wie sich die pandemische Lage im Winter entwickelt. Wie planen Sie angesichts dieser Unsicherheit?

Wir sind weiter diszipliniert und bleiben anpassungsfähig. Wir bauen unsere Beschäftigungszahl aus und besetzen offene Stellen, aber wir wollen als Plattform nicht nur wachsen, sondern steuern gleichzeitig auch in Richtung Profitabilität.

Verschiebt sich der Fokus vom Gewinn von Marktanteilen in Richtung Margenverbesserung?

Das ist aus meiner Sicht kein Entweder-oder. Wir haben es durch bessere Prozesse in der Pandemie geschafft, dass wir beides schaffen können: Wir gewinnen Marktanteile und haben gleichzeitig eine Größe erreicht, mit der wir stärker auf Profitabilität abzielen.

Das Ziel, Ende 2021 in den Kernmärkten profitabel zu werden, mussten Sie nach hinten schieben – klappt es dieses Jahr?

Wir werden dieses Jahr in den ersten Ländern profitabel werden. Und es werden die Märkte sein, in denen wir am längsten aktiv sind, eine gewisse Größe beim Kundenstamm vorweisen und ein ordentliches Inventar an Angeboten und Ticketoptionen haben. Wenn wir der Krise etwas Gutes abgewinnen wollen, dann ist es die Erfahrung, dass die Leute sich sehr viel stärker daran gewöhnt haben, Transaktionen online abzuwickeln. Dazu zählt auch die Buchung von Erlebnissen via Handy, das hilft uns jetzt.

Dennoch gibt es Gegenwind: Die Pandemie bleibt ein Thema, die Inflation ist hoch, die Energiekosten sind stark gestiegen. Haben Sie keine Angst, dass die Menschen bei der Freizeitgestaltung sparen?

Nein. Ich glaube, wir müssen uns auf eine Phase der Rezession in Europa einstellen. Allerdings liegt die Arbeitslosigkeit nach wie vor auf einem niedrigen Niveau. Menschen, die arbeiten, wollen auch Urlaub machen. Dabei ist es für uns nicht wichtig, ob die Person eine Fernreise macht oder die freien Tage in ihrer Heimatstadt verbringt. Solange man nicht wegen eines Lockdowns in der Wohnung bleiben muss, gibt es bei uns ein Angebot.

Wie viel Geld lässt denn ein Kunde im Durchschnitt bei Ihnen?

Darüber sprechen wir öffentlich nicht, aber klar ist: Es sind vergleichsweise kleine Ausgaben, die etwa in Relation zu Flug, Hotelbuchung oder Mietwagen weniger ins Gewicht fallen. Deswegen bin ich zuversichtlich, dass diese Ausgaben auch bei einem angespannten Konsumklima weiter getätigt werden. Es liegt in der Natur des Menschen, sich schöne Erlebnisse schaffen zu wollen, gerade in schwierigen Zeiten.

Um Kosten zu sparen, haben Sie während der Pandemie das Marketing massiv gekürzt. Fahren Sie jetzt wieder hoch?

Der Aufbau der Marke ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Wachstumsstrategie, da müssen wir investieren. Ich kann Ihnen keine Summe nennen, aber das Marketingbudget liegt mittlerweile über dem Vorkrisenniveau. Wir sehen in Deutschland, welchen Effekt Marketing hat: In den Metropolen haben wir stark in den Aufbau der Marke investiert, dort ist der Bekanntheitsgrad deutlich gestiegen. In den Metropolregionen kennt fast jeder Zweite die Marke Getyourguide, in Deutschland insgesamt ist es jeder Dritte.

Sie haben in den vergangenen Jahren zwei Finanzierungen abgeschlossen, die Mittel stünden für Investitionen oder M&A zur Verfügung. Wie konkret sind die Zukaufspläne?

Wir haben in der Tat eine sehr komfortable Cashposition. Ende 2020 haben wir 114 Mill. Euro aus einer Wandelanleihe erhalten, Anfang 2021 haben wir einen revolvierenden Kredit über 80 Mill. Euro abgeschlossen. Diese stabile Finanzierung hat für uns im aktuell volatilen Marktumfeld einen sehr hohen Wert. Zudem arbeiten wir jetzt effizienter und profitabler als vor der Pandemie. Dennoch achten wir darauf, dass wir nur sehr selektiv das Wachstum fixer Kosten zulassen. Unsere Cashposition ist ein wirkliches Asset, damit werden wir nicht unvorsichtig umgehen.

Hat die anhaltende Coronakrise die M&A-Perspektive verändert?

Wir sind nach wie vor sehr offen für Akquisitionen oder andere Arten von Partnerschaften, primär in Europa und den USA. Wir haben uns auch schon verschiedene Themen angeschaut, aber im Moment gibt es noch nichts zu verkünden. Wir sind handlungsfähig, bleiben aber diszipliniert.

Hat Corona Ihnen schon eine M&A-Option verhagelt?

Ein Zukauf muss für unser Unternehmen und unsere Strategie Wert schaffen. Es gibt keinen Fall, in dem wir einer Entscheidung hinterhertrauern. Wir haben uns zuletzt eher darauf fokussiert, unsere Plattform und unser Produkt zu verbessern, darin haben wir größeren Mehrwert gesehen.

Viele Start-ups erleben derzeit ihre erste Krise: Die Kosten steigen, Finanzierungen werden teurer, Investoren halten sich zurück. Sie haben in der Pandemie reichlich Krisenerfahrung gesammelt. Ist das jetzt ein Vorteil?

Es hat uns als Managementteam sicherlich zusammengeschweißt. Es ist das eine, ein Unternehmen in Zeiten zu managen, wo alles rosig ist. Wenn einem binnen weniger Wochen fast der gesamte Umsatz wegbricht, muss das Management andere Qualitäten zeigen. Wir haben sicherlich nicht alles zu 100% richtiggemacht, aber mit allen großen Entscheidungen, die wir in der Pandemie getroffen haben, bin ich auch im Rückblick zufrieden. Und wir haben nahezu niemanden aus dem Führungskreis verloren, obwohl andere Angebote kamen. Das ist für mich ein gutes Zeichen.

Was war Ihr wichtigstes Learning?

Ich habe gelernt, schnelle Entscheidungen zu treffen. Wir haben in der Pandemie erfahren müssen, dass man wirklich kein Szenario ausschließen kann. Das zwingt einen dazu, sich agil an neue Situationen anzupassen. Das ist ein Muskel, der jetzt sehr trainiert ist, und diese Fähigkeit wird auch künftig nützlich sein.

Wir müssen noch über das Thema Börsengang reden: In den zurückliegenden Monaten waren einige Special Purpose Acquisition Ve­hicles (Spacs) auf der Suche nach potenziellen Zielen – sind Sie auch angesprochen worden?

Unser Fokus liegt derzeit auf dem Geschäft und nicht auf einem möglichen Börsengang. Darüber sprechen wir, wenn es konkreter wird. Derzeit sehen wir gute Möglichkeiten, als privates Unternehmen weiter zu wachsen.

Das Interview führte

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.