Fabian Raschke

„Markt würde uns auch höhere Verschuldung zubilligen“

Grünenthal-CFO Fabian Raschke sieht den Ratingprozess als Ausdruck von Professionalisierung. Dem Debt-IPO soll kein Börsengang folgen.

„Markt würde uns auch höhere Verschuldung zubilligen“

Annette Becker.

Herr Raschke, Grünenthal hat in diesem Frühjahr erstmals eine Anleihe begeben. Was war der Anlass?

Wir verfolgen seit 2016 eine neue Strategie, die auf zwei Füßen steht. Auf der einen Seite fokussieren wir uns in der Forschung auf den Schmerzbereich. Das finanzieren wir vor allem aus eigenen Mitteln. Auf der anderen Seite stärken wir unsere etablierten Marken. Da wir uns als Familienunternehmen nicht so leicht frisches Eigenkapital beschaffen können, nutzen wir dazu den Fremdkapitalmarkt.

Aber warum der Bondmarkt?

Wir haben zunächst mit Schuldscheinen begonnen, dann haben wir einen syndizierten Bankkredit begeben. Doch bei diesen Instrumenten ist irgendwann das Limit erreicht. Wir haben gesehen, dass wir unsere Strategie mit einem Bond deutlich flexibler umsetzen können. Der Bondmarkt ist für unser Unternehmen der liquideste Markt, der uns zur Verfügung steht. Wie sich gezeigt hat, haben uns die Investoren sehr bereitwillig Geld zur Verfügung gestellt.

Ist mit dem Debt-IPO auch die Idee verbunden, sich künftig als regelmäßiger Emittent am Markt zu zeigen?

Ja, wir sehen Bonds jetzt als etabliertes Instrument in unserem Finanzierungsmix an. Wir werden von Fall zu Fall prüfen, welche Finanzierung für den jeweiligen Bedarf am zweckmäßigsten ist. Wir haben weiterhin starke Unterstützung von unserem Banksyndikat. Aber wir werden sicherlich auch wieder Bonds nutzen.

Sie waren Ende 2020 mit knapp 600 Mill. Euro netto verschuldet. Wie groß ist die Nettoverschuldung nach der Bondemission, bei der Sie in Summe 950 Mill. Euro aufgenommen haben?

Der Bond war eine reine Refinanzierung, dadurch hat sich die Nettoverschuldung nicht erhöht. Unsere Nettoverschuldung beläuft sich jetzt auf 750 Mill. Euro. Das liegt auch an der Akquisition von Crestor, einem Medikament von AstraZeneca.

Wie hoch ist der Leverage jetzt und wo liegt Ihre Schmerzgrenze?

Unser bereinigtes Ebitda (Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen, Anm. d. Red.) liegt berechnet auf die letzten zwölf Monate bei grob 400 Mill. Euro. Demnach liegt der Leverage unter 2. Wir haben in unserer Bonddokumentation eine Grenze von 3,5 festgeschrieben. Damit fühlen wir uns wohl. Der Markt würde uns auch eine höhere Verschuldung zubilligen. Aber als Familienunternehmen sind wir eher konservativ in unserer Finanzierungsstrategie.

Sind Schuldscheine nicht billiger als Bonds?

Ja, das ist der Fall. Schuldscheine würden uns aber in der Umsetzung unserer Strategie stärker einschränken. Das Volumen, das wir über Schuldscheine aufnehmen könnten, ist deutlich geringer als am Bondmarkt.

Woran liegt das?

Das liegt an der Art der Märkte und an unserer Größe. Aus Kapitalmarktsicht gehören wir zu den kleineren Unternehmen. Von daher gibt es am Schuldscheinmarkt Grenzen, innerhalb derer man agieren sollte. Wir sehen im Bond die Möglichkeit zur langfristigen Finanzierung.

Für den Schuldscheinmarkt benötigen Sie als Markenunternehmen, Grünenthal ist ja durchaus ein bekannter Pharmaname, aber kein Rating.

Das ist richtig, dort reichen interne Ratings der Banken. Uns ging es aber vor allem um die Frage, welches Instrument am besten geeignet ist, um die Strategie umzusetzen. An dieser Stelle hat uns der Bond überzeugt und ein Ratingprozess ist auch ein Ausdruck von Professionalisierung. Wir haben uns drei Ratings eingeholt, weil wir transparent sein wollen. Dass dies der richtige Schritt war, hat der Erfolg der Bondtransaktion und die nachfolgende Erhöhung der Anleihe gezeigt.

Mit Bonitätsnoten von „B+“ respektive „B1“ bewegen Sie sich aber tief im Non-Investment Grade.

Das ist richtig. Aber im Vergleich mit anderen Pharmaunternehmen unserer Größe wie Cheplapharm oder selbst Stada können wir uns absolut sehen lassen, sowohl was das Emissionsvolumen als auch die Finanzierungskonditionen anbelangt.

Sind Sie mit dem Rating zufrieden?

Ja, ich finde, das passt. Es passt zu unserer Größe, zu unserem Ge­schäfts­modell und zu der gewünschten Finanzierungsflexibilität. Natürlich arbeiten wir daran, noch besser zu werden.

Sie haben mit Blick auf den Leverage noch deutlichen Spielraum. Was bedeutet das im Umkehrschluss für die M&A-Strategie?

Unsere M&A-Strategie besteht im Kern aus etablierten Produkten, die wir zukaufen. Die Strategie wollen wir so fortsetzen. Die Produkte bringen direkt Ergebnis und sind synergistisch auf der Vertriebsseite und auf der Produktionsseite. Wir haben jetzt beispielsweise die Verpackung von Nexium (Magenmedikament, Anm. d. Red.) nach Deutschland geholt und konnten bereits signifikante Synergien heben. Außerdem achten wir auf einen guten Kaufpreis. In den letzten Jahren haben wir im Schnitt ein Ebitda-Multiple von 4 bezahlt. Das kann sich sehen lassen.

Das liegt aber auch daran, dass die Medikamente in aller Regel den Patentschutz verloren haben. Mich erstaunt eher, dass die erworbenen Produkte kaum etwas mit dem Therapiegebiet Schmerzen zu tun haben. Warum?

Wir sind ein Familienunternehmen und wir wollen ganz klar führend in der Schmerzforschung bleiben. Mit unsren Schmerzmedikamenten sind wir in Deutschland und Europa die Nummer 1 und weltweit die Nummer 3. Damit wir die Forschung, die ja durchaus Risiken birgt, vorantreiben können, brauchen wir Finanzierungsquellen und stabile Einkommensströme. Dabei setzen wir seit Jahrzehnten auf etablierte Produkte, die wir effizient herstellen und vermarkten können.

Sie sprechen von Synergien. Sind Vertriebssynergien nicht überschaubar, wenn man in unterschiedlichen Therapiegebieten unterwegs ist?

Etablierte Marken werden anders beworben als patentgeschützte Produkte. Wir bewerben unsere Produkte seit vielen Jahren auch über digitale Kanäle, an dieser Stelle hat Corona ausnahmsweise geholfen. Wir nutzen ein Omnichannel-Modell, um unsere Kundinnen und Kunden umfassend zu betreuen. Diese Fähigkeiten haben wir und die lassen sich recht unabhängig vom Therapiegebiet einsetzen. In Märkten wie Italien oder Spanien werden auch Produkte mit generischer Konkurrenz weiter beworben. In Deutschland ist das anders. Wenn ein Medikament generisch wird, kann man bis zu 90 % des Marktes verlieren, hauptsächlich Kassenpatienten. Hinzu kommt, dass wir bei Produkten, bei denen wir die Produktion übernommen haben, deutlich günstiger verpacken als der vorherige Besitzer.

Wie groß ist das Produktportfolio?

In Lateinamerika haben wir eine dreistellige Zahl von Produkten im Markt. In Europa machen etwa zehn Produkte den wesentlichen Umsatz. Zum einen die Schmerzprodukte und zum anderen die erworbenen Produkte wie Nexium und Crestor. In Europa bewerben wir die drei Schmerzmedikamente Palexia, Vimovo und Qutenza. Die etablierten Produkte werden nur selektiv beworben, hier punkten wir mit der Produktion und der Supply Chain.

Wie groß ist Ihre Forschungspipeline?

Wir haben drei Late-Stage-Assets, die sich in Phase 3 der klinischen Erprobung befinden. Für ein Unternehmen mit einem Jahresumsatz von 1,3 Mrd. Euro ist das eine ganze Menge. Hinzu kommt die frühe Pipeline. Aktuell befinden sich zwei Arzneimittelkandidaten in der klinischen Phase I, werden also das erste Mal am Menschen erprobt.

Wie viel Geld stecken sie jährlich in die Forschung?

Das ist eine Größenordnung von rund 140 Mill. Euro, grob 10 % des Umsatzes. In diesem Jahr wird es deutlich mehr sein, da wir mit Mestex ein forschendes Unternehmen für 50 Mill. Euro übernommen haben.

Der Jahresumsatz von Grünenthal entspricht bei Big Pharma vielleicht dem Jahresumsatz eines Blockbusters. Lassen sich damit die Risiken aus der Forschung abfedern?

Das funktioniert mit unserem zweiteiligen Ansatz. Wir haben unsere Forschung vollständig auf die Entwicklung innovativer Therapien zur Behandlung von Schmerz konzentriert. Auf diesem Gebiet haben wir die Expertise und ein tiefes Krankheitsverständnis. Das erhöht die Erfolgswahrscheinlichkeit in der Forschung erheblich. Die etablierten Produkte bergen dagegen kaum ein Risiko, so dass wir die Forschungsrisiken nachhaltig tragen können.

Die Größe ist aber doch auch mit Blick auf Patentabläufe problematisch. Bei Ihrem mit 300 Mill. Euro umsatzstärksten Produkt Palexia läuft das Patent 2025 aus. Was heißt das in der Vorbereitung auf diesen Zeitpunkt?

Wir bereiten uns schon seit Jahren darauf vor. Die R&D-Pipeline haben wir gestärkt, gleichzeitig bewerben wir die etablierten Produkte. Wir haben das Schmerzpflaster Qutenza in den USA im letzten Jahr mit erweitertem Label gelauncht. Das Produkt wächst mit dreistelligen Prozentsätzen und hat ein Umsatzpotenzial von 300 bis 500 Mill. Dollar. Unabhängig davon haben wir dank der etablierten Produkte ein Ebitda-Niveau erreicht, mit dem sich Patentabläufe sehr viel besser verkraften lassen.

Wann erwarten Sie – vorausgesetzt die Entwicklung schreitet planmäßig voran – die Markteinführung des Medikamentenkandidaten von Mestex?

Mit dem Launch rechnen wir 2025. Das würde zeitlich perfekt passen.

Welches Spitzenumsatzpotenzial verbinden Sie mit dem Medikament, das Schmerzen im Zusammenhang mit Kniearthrose lindern soll?

Auch wenn wir noch sehr früh sind und daher recht vorsichtig, sehen wir das weltweite Marktpotenzial bei über 1 Mrd. Euro.

Sie haben im Frühjahr vom Debt-IPO gesprochen. Das macht hellhörig. Noch befindet sich das Unternehmen in Familienhand. Soll das dauerhaft so bleiben?

Es gibt überhaupt keine Bestrebungen der Familie, über einen Börsengang nachzudenken. Unsere Eigentümer denken sehr langfristig. Zudem ist es für die Umsetzung unserer Strategie überhaupt nicht notwendig.

Die Familie ist nicht mehr in der operativen Führung vertreten. Wie groß ist der Gesellschafterkreis?

Es sind gut 40 Gesellschafter.

Die Erfahrung lehrt, dass das Commitment der Familie mit wachsendem Gesellschafterkreis geringer wird.

Das mag bei anderen Firmen so sein. Bei uns kann ich das überhaupt nicht feststellen. Für alle strategischen Entscheidungen der letzten Jahre, ob es der Markteintritt in die USA war, die Akquisitionsstrategie oder jetzt der Bond hatten wir immer die volle Unterstützung der Gesellschafter.

Was erwartet die Familie an Ausschüttung?

Wir haben in den letzten Jahren im Schnitt 20 bis 25 Mill. Euro ausgeschüttet. Verglichen mit dem, was ich in meinem Berufsleben schon gesehen habe, ist das bei einem bereinigten Ebitda von inzwischen rund 400 Mill. Euro sehr moderat.

Erwartet die Familie unabhängig vom Ergebnis alljährlich eine Ausschüttung?

Nein, es gab auch Jahre, in denen wir alles thesauriert haben. 2019 haben wir beispielsweise wegen einer großen Akquisition nichts ausgeschüttet. Da gab es überhaupt keine Diskussion. Das unterstreicht auch das Bekenntnis der Familie zur Forschung und ihr Vertrauen in unsere Strategie.

Das Interview führte

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