ESG

Nachhaltigkeit: Endspurt in Etappen

In wenigen Tagen findet die Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor (Sustainable Finance Disclosure Regulation, SFDR) erstmals Anwendung. Damit beginnt ein Umsetzungsendspurt in Etappen, der sich...

Nachhaltigkeit: Endspurt in Etappen

In wenigen Tagen findet die Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor (Sustainable Finance Disclosure Regulation, SFDR) erstmals Anwendung. Damit beginnt ein Umsetzungsendspurt in Etappen, der sich über mehrere Jahre ziehen wird. Vom 10. März an haben Finanzberater und Finanzmarktteilnehmer Strategien zu Nachhaltigkeitsrisiken offenzulegen. Zum 30. Juni gilt für große Finanzmarktteilnehmer zudem die Pflicht, über nachteilige Nachhaltigkeitsauswirkungen von Investitionsentscheidungen zu informieren. 2022 findet auch die Taxonomie-Verordnung Anwendung. Sie definiert den Begriff der ökologischen Nachhaltigkeit – zunächst für die Umweltziele Klimaschutz und Klimawandel; ab 2023 umfassend auch für weitere Umweltziele. 2022 finden zudem die Offenlegungsvorschriften zu nachhaltigen Investitionen und zu Produkten, die ökologische oder soziale Merkmale bewerben, vollumfänglich Anwendung. Anfang 2023 steht zu erwarten, dass zumindest große Emittenten erstmals für das Berichtsjahr 2022 Kennzahlen zur ökologischen Nachhaltigkeit veröffentlichen.

Im Vordergrund steht zunächst ökonomischer Druck: Kapitalströme sollen durch die neuen Regelwerke umgelenkt werden, ohne gleichzeitig einen rechtlichen Zwang zu nachhaltigem Wirtschaften zu etablieren. Durch Beseitigung von Informationsasymmetrien (Offenlegung) erfolgt eine Stigmatisierung nicht nachhaltiger Produkte – mit zu erwartenden Auswirkungen auf die Nachfrage. Damit werden Anreize gesetzt, sich vermehrt nachhaltig aufzustellen. Bereits heute übersteigt die Nachfrage nach nachhaltigen Produkten partiell das Angebot. Konkrete Markterwartungen bestimmen damit die Umsetzungsstrategie und den -aufwand, gegebenenfalls sogar über das rechtliche Mindestmaß hinaus: Welche Produkte und Wirtschaftstätigkeiten sind wie auf Nachhaltigkeit auszurichten, um die künftige Marktnachfrage optimal zu adressieren?

Entscheidend hierfür ist unter anderem, was genau unter „Nachhaltigkeit“ zu verstehen ist. Zu unterscheiden ist die soziale von der ökologischen Nachhaltigkeit – beide werden von der SFDR adressiert und stehen gegebenenfalls in Zielkonflikt. Gegenstand der Taxonomie-Verordnung ist hingegen lediglich die ökologische Nachhaltigkeit. Ein einheitlicher Standard soll gesetzt werden, der „Greenwashing“ unterbindet. Dazu bedarf es jedoch nicht notwendigerweise eines einheitlichen Nachhaltigkeitsbegriffs.

So wird künftig unter anderem zwischen nachhaltigen Investitionen und Produkten zu unterscheiden sein, die nur einzelne ökologische und soziale Merkmale bewerben. Was sich genau hinter der Differenzierung verbirgt, ist auch nach Ansicht der BaFin bislang nicht abschließend geklärt. Ferner stellt sich die Frage, ob nachhaltige Produkte weniger als 100% nachhaltig sein können – das EU-Recht legt dies nahe, da (spätestens ab 2022) auch konkret über den Prozentsatz der Nachhaltigkeit zu informieren ist. Das hat Auswirkungen auf die Zielmarktdefinition und damit wiederum auf die Nachfrage.

Viele Faktoren lassen sich heute nur bedingt vorhersehen: Ab beziehungsweise bis zu welchem Prozentsatz werden nachhaltige Produkte künftig vor allem nachgefragt? Geht der Trend zunächst gegebenenfalls zu Produkten, für die keine Nachhaltigkeitsoffenlegung erfolgt? Ist eine projektbezogene Refinanzierungsstrategie (zum Beispiel über Green Bonds) mittelfristig zielführend?

Unabhängig davon, wie sich Marktangebot und -nachfrage künftig entwickeln, erfolgt die Umstellung von Wirtschaftstätigkeiten und Finanzprodukten nicht über Nacht. Produkte werden mehrere Entwicklungsschritte durchlaufen, bis ein neuer Marktstandard entstanden ist.

Es ist daher essenziell, sich die parallel in Kraft tretenden, unterschiedlichen Entwicklungsstufen des Rechts vor Augen zu führen – nebst damit verbundenen Rechtsunsicherheiten. So ist zum Beispiel der RTS zur Disclosure-Verordnung nicht rechtzeitig fertig geworden. Ein jüngst erschienener, neuer Entwurf enthält begrüßenswerte Änderungen, zum Beispiel bei der Liste der Pflichtindikatoren zur Ermittlung nachteiliger Nachhaltigkeitsauswirkungen. Aktuell ist geplant, den RTS 2022 in Kraft zu setzen, mit weiteren Übergangsfristen. Bis dahin steht eine lediglich prinzipienorientierte Um­setzung im Vordergrund – verbunden mit der Erwartung, dass Marktteilnehmer sich 2021 sukzessive auf das Inkrafttreten des RTS vorbereiten und den RTS dabei antizipativ bis 2022 umsetzen.

Der Umsetzungsaufwand ist je­doch enorm, wenn unmittelbar um­fassend nachhaltige Produkte aufgelegt bzw. vertrieben werden sollen. Es bietet sich daher gegebenenfalls eine sukzessive Umstellung an – auch vor dem Hintergrund zulässigerweise wählbarer, unterschiedlicher Level der Nachhaltigkeit. Auch differenzieren die Vorgaben stark nach Art der Dienstleistung und Art des Produkts. Zwingende vorgeschriebene Muster sind primär auf den Retail-Markt ausgelegt. Eine umfassende Planung ist geboten, um den Umsetzungsendspurt zu meistern und für alle Stufen vorbereitet zu sein.