„Das Geschäftsmodell funktioniert auch in Amerika“
Im Interview: Michael Müller
„Das Geschäftsmodell funktioniert auch in Amerika“
RWE-Finanzchef macht keinen Abschreibungsbedarf aus – Kohleausstieg 2030 „realistisch“ – Doppelregulierung ohne Effekt auf CO₂-Emissionen
Der Ausbau der Erneuerbaren ist dies- und jenseits des Atlantiks ins Stocken geraten. Fundamental habe sich an der Nachfrage nach grünem Strom jedoch nichts geändert, ist RWE-Finanzchef Michael Müller überzeugt. Abschreibungsbedarf auf US-Projekte kann er daher nicht erkennen.
Herr Müller, angesichts der veränderten Rahmenbedingungen in den USA hat RWE die Projekte für Offshore-Windparks auf Eis gelegt. Wie geht es jetzt weiter?
Unsere Projekte sind in einer sehr frühen Phase. Wir haben uns nur Flächen gesichert und Entwicklungsarbeiten für die Projekte gestartet. Diese Arbeiten haben wir auf ein Minimum heruntergefahren, so dass wir das Recht für die Entwicklung erhalten. Die Pachtverträge für die Flächen laufen bis 2060. Die aktuelle US-Administration steht Offshore-Projekten kritisch gegenüber. Wir glauben aber, dass auch in Amerika Offshore Wind perspektivisch gebraucht wird, um die große Stromnachfrage zu decken.
Zur Person
Michael Müller, der 2005 von McKinsey zu RWE wechselte, hat bei dem Versorger eine steile Karriere hingelegt. Seit November 2020 gehört er dem Konzernvorstand an, seit Mai 2021 ist er Finanzvorstand. Der Vertrag des promovierten Maschinenbauers und Betriebswirts läuft bis November 2028.
Die drei Offshore-Projekte stehen mit 1,1 Mrd. Euro in den Büchern von RWE. Wie schnell müssen Sie mit dem Bau beginnen, bevor Abschreibungen drohen?
Der Vorteil an diesen Leases ist, dass es keine zeitlichen Vorgaben für den Baubeginn gibt. Man muss nachweisen, dass man die Entwicklung betreibt. Das tun wir, allerdings mit sehr überschaubarem Aufwand. Wir sind von der Werthaltigkeit der Projekte überzeugt und sehen keinen Abschreibungen.
Nach dem neuen Gesetzentwurf in den USA sollen die Steuergutschriften für neue Solar- und Windanlagen ab 2028 komplett gestrichen werden. Was bedeutet das für RWE?
Der Gesetzgebungsprozess läuft noch, daher ist es zu früh, um die Auswirkungen auf unser US-Geschäft abschließend zu bewerten. Positiv ist, dass der vom US-Senat vorgeschlagene Gesetzentwurf keine Eingriffe in die Steuergutschriften bestehender Anlagen und solche in Errichtung vorsieht. Damit ist unser gesamtes Bestandsportfolio und die 3,9 Gigawatt (GW), die wir derzeit bauen, nicht betroffen. Darüber hinaus haben wir für weitere Projekte Kapazitäten gesichert, die es uns ermöglichen, Steuergutschriften für Onshore-Wind-, Solar- und Batterieprojekte zu erhalten, die bis 2028 in Betrieb gehen.
Für uns stellt sich eher die Frage, was mit Projekten nach 2028 passiert.
Michael Müller
Was heißt „Kapazitäten gesichert“?
In den USA gibt es in der Steuergesetzgebung eine sogenannte Safe-Harbour-Regelung. Wenn ein Projekt bereits begonnen wurde, dann gelten die zum Projektstart gültigen Tax-Regulierungen. Ich gebe ein Beispiel: Wenn man nachweist, dass für ein Windparkprojekt der Bau des Haupttransformators bereits deutlich vorangeschritten ist, dann gilt das Projekt als gestartet. Das qualifiziert für die dann gültigen Steuergutschriften. Für uns stellt sich daher eher die Frage, was mit dem Auslaufen der Steueranreize nach 2028 mit Projekten passiert. Wir sehen in den USA eine hohe Nachfrage nach grünem Strom. Viele unserer Abnehmer sind bereit, mehr zu bezahlen und zusätzliche Risiken zu nehmen. Daher erwarten wir, dass sich der Markt perspektivisch anpassen wird und die Wirtschaftlichkeit der Projekte künftig über höhere Abnahmeverträge gegeben ist.
Das heißt mit Blick auf Con Edison und den damals erworbenen Goodwill…
…sehen wir die Werthaltigkeit weiterhin gegeben.
Alles also gar nicht so schlimm?
Wir sind in einem Geschäft unterwegs, das sehr investitionsintensiv ist und einen langfristigen Mittelrückfluss hat. Wir investieren heute in Anlagen mit einer Lebensdauer von 20 bis 30 Jahren. Das beste Umfeld ist eines mit langfristig stabilen Rahmenbedingungen. Die aktuellen Diskussionen sorgen für Unsicherheit. Deshalb haben wir unser Investitionsprogramm zurückgefahren und gleichzeitig die Renditeanforderungen hochgesetzt. Fundamental hat sich an der Nachfrage nach grünem Strom aber nichts geändert und damit funktioniert das Geschäftsmodell auch in Amerika.
Zuden haben die Themen Inflation, Zinsen und Zölle die Risikosituation verändert. Wie berücksichtigen Sie das?
Das sind weitere Risikofaktoren, die bei Investitionsentscheidungen zu berücksichtigen sind. Als Teil unseres Risikomanagements bewerten wir mögliche Entwicklungen für die einzelnen Projekte und treffen Vorkehrungen, um die Risiken zu minimieren. Das Thema Zölle begleiten wir eng. Hier zahlt sich aus, dass wir schon vor zwei, drei Jahren begonnen haben, eng mit unseren Lieferanten zusammenzuarbeiten und Komponenten zu sichern. Außerdem haben wir viele lokale Lieferanten. Die USA sind heute schon unser wichtigster Beschaffungsmarkt für die dortigen Projekte. Das Risiko aus Zöllen ist daher für uns überschaubar.
In Europa hat sich die politische Situation ebenfalls verändert. Die neue Wirtschaftsministerin möchte mit mehr Realismus an die Energiewende herangehen. Wie beurteilen Sie den neuen Kurs?
Katharina Reiche adressiert die richtigen Themen und setzt die Prioritäten neu. Sie nimmt Versorgungssicherheit und Kosteneffizienz stärker in den Fokus. Das ist gut.
Ausbau der Erneuerbaren um jeden Preis, war das Motto der Ampel-Regierung. Das gilt heute nicht mehr. RWE hat sich strategisch jedoch dem Ausbau der Erneuerbaren verschrieben. Brauchen Sie jetzt eine neue Strategie?
Wir sprechen vom energiewirtschaftlichen Dreieck aus Dekarbonisierung, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit. Die Vorgängerregierung hat den Schwerpunkt auf die Dekarbonisierung gelegt und damit dem Ausbau der Erneuerbaren spürbar Schwung verliehen. Von der neuen Regierung erwarten wir zusätzlich mehr Fokus auf Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit. Der Ausbau der Erneuerbaren wird weiter gehen, denn sie sind längst wettbewerbsfähig.
Es ist wichtig, nach der Kraftwerksstrategie auch endlich einen Kapazitätsmarkt einzuführen.
Michael Müller
Seit Jahren drängt die Branche darauf, mit dem Bau der Reservekraftwerke zu beginnen, damit der Kohlausstieg bis 2030 gelingen kann. Ist das überhaupt noch realistisch?
Wir halten das weiter für realistisch, aber es muss jetzt schnell etwas passieren. Wir haben die Vorbereitungen für den Bau neuer Gaskraftwerke konsequent vorangetrieben. Dazu zählt, dass wir für Projekte mit einer Kapazität von 2,4 GW bereits Verträge optioniert haben. Das heißt, wenn wir rasch einen Zuschlag bekämen, wären diese Anlagen bis 2030 fertig.
Bis wann müsste die Ausschreibung spätestens kommen?
Das Wirtschaftsministerium hat angekündigt, noch in diesem Jahr die ersten Ausschreibungen zu machen. Die Errichtung eines Gaskraftwerks dauert dann drei bis vier Jahre, wenn alles geplant und vorbereitet ist.
Bislang hieß es immer sechs Jahre...
...sechs Jahre heißt vom Beginn der Projektentwicklung an. Bei uns läuft die Entwicklung und Genehmigungsplanung bereits. Das nehmen wir auf die eigene Kappe.
Unter welchen Voraussetzungen beteiligen Sie sich an den Ausschreibungen?
Die Wirtschaftlichkeit muss gegeben sein. Sonst investieren wir nicht. Die Gaskraftwerke werden sich ohne Kapazitätsprämie nicht wirtschaftlich tragen, weil sie nicht viele Betriebsstunden haben werden. Deshalb ist es wichtig, nach der Kraftwerksstrategie auch endlich einen Kapazitätsmarkt einzuführen. Nach guten Modellen muss man übrigens nicht lange suchen. In Belgien gibt es bereits einen zentralen Kapazitätsmarkt, den die EU genehmigt hat. Auch in Großbritannien funktioniert dieser Markt.
Bleibt es im Rheinischen Revier beim Kohleausstieg 2030?
Ja.
Der einzige Hebel, um CO₂-Emissionen zu reduzieren, ist, den Dekarbonisierungspfad anzupassen.
Michael Müller
Wird es mit Blick auf die neuen Kraftwerke noch einmal Änderungen geben müssen? Es ist ja gar nicht genügend Wasserstoff vorhanden, um den regulatorischen Vorgaben zu entsprechen.
Sie meinen sicher den Plan, dass Gaskraftwerke zu einem bestimmten Zeitpunkt auf Wasserstoff umgestellt werden sollen. Damit sind wir beim Thema Kosteneffizienz. Wir haben in Europa das Emissionshandelssystem. Das führt dazu, dass der vorgegebene Dekarbonisierungspfad eingehalten wird. Zusätzliche Anforderungen, wie feste Umstellungstermine braucht es deshalb nicht. Das ist eine Doppelregulierung, die alles nur verteuert. Der einzige Hebel, um CO2-Emissionen zu reduzieren, ist, den Dekarbonisierungspfad anzupassen. Alle zusätzlichen Maßnahmen haben keinen Effekt auf die CO2-Emissionen, sie verteuern aber die Energiewende und reduzieren damit die öffentliche Akzeptanz.
Das Sentiment hat sich grundsätzlich verändert. Merken Sie, dass sich Investoren von grünen Finanzinstrumenten abwenden?
Grüne Finanzinstrumente sind nach wie vor von Interesse, genauso wie Unternehmen, die sich grün ausrichten. Ich vergleiche das ganz generell mit der Energiewende. Standen Erneuerbare vor fünf Jahren auf der Prioritätsliste ganz oben, verschieben sich die Gewichte nun in Richtung Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit. Das heißt aber nicht, dass das Thema Dekarbonisierung verschwindet. Das Gleiche gilt für Investoren. Sie wollen nach wie vor in grüne Aktien und Anleihen investieren. Aber sie sehen auch, dass dem Thema Rendite mehr Aufmerksamkeit zuteilwerden muss.
Donald Trump verdammt alles „Grüne“ und große US-Investoren reagieren in vorauseilendem Gehorsam. Ist das nur Wording und alles bleibt, wie es war?
Einer unser großen Investoren, der sein Wording geändert hat, erklärt mir, wenn ich Investitionen bewerte, schaue ich natürlich nach wie vor auf Chancen und Risiken. Das Thema CO2 ist ein Risiko. Ein Unternehmen, das sich nicht um Dekarbonisierung kümmert, hat ein höheres Risiko und das wirkt sich auf meine Investitionsentscheidung aus. Daher verfügen grüne Aktien und Anleihen über ein geringeres Risikoprofil und sind in der Anlage attraktiver.
Klar ist, die Bewertung der RWE-Aktie ist gering und es gibt Wertsteigerungspotenzial.
Michael Müller
Ihre Aktionäre pochen auf Aktienrückkäufe. Wie schützen Sie sich vor dem Druck aktivistischer Investoren?
Das Bild ist bunt. Es gibt sehr unterschiedliche Interessen von Investoren. Es gibt Investoren, die Aktienrückkäufe gut finden. Es gibt andere Investoren, die wollen, dass wir vorrangig in attraktive Projekte investieren. Klar ist, die Bewertung der RWE-Aktie ist gering und es gibt Wertsteigerungspotenzial. Wichtig ist daher, dass wir nur in Projekte investieren, wenn diese wirtschaftlich und ausreichend robust sind.
Erst sprachen Sie davon, bei Investitionen die Qual der Wahl zu haben und dann stecken Sie Geld in den Rückkauf eigener Aktien. Wie passt das zusammen?
Das Investitionsumfeld hat sich seit Ende 2024 verändert. Wir haben in den USA deutlich mehr Unsicherheit und das hat dazu geführt, dass wir unsere Pipeline und deren Risikoprofil anders betrachten.
Jenseits der Aktienrückkäufe dürfen sie die Verschuldung nicht aus dem Blick verlieren. Schon allein, weil das operative Ergebnis schrumpft, steigt das Verhältnis der Nettoschulden zum operativen Ergebnis. Stoßen Sie zum Jahresende an die selbst gesteckte Obergrenze, die beim 3-Fachen des operativen Ergebnisses liegt?
Wir haben die Entwicklung in unserer Planung berücksichtigt. Wir wussten, dass sich nach der Energiekrise die Ergebnisse normalisieren würden. 2025 werden wir voraussichtlich das geringste Ergebnisniveau erreichen. Von dort aus wird das Ergebnis aufgrund der Inbetriebnahme neuer Anlagen wieder wachsen. In puncto Verschuldungsgrad erwarte ich, dass wir unsere selbst gesetzte Obergrenze weiterhin einhalten und Ende des Jahres in Richtung der 3 gehen.
Verbieten sich damit Überlegungen, dem laufenden Aktienrückkaufprogramm ein weiteres hinterherzuschieben?
Die Finanzierung des laufenden Programms ist dadurch gedeckt, dass wir 2025 und 2026 weniger investieren als ursprünglich geplant. Sollten wir 2026 die Entscheidung treffen, das Rückkaufprogramm zu verlängern, würde das bedeuten, dass wir die Investitionen weiter zurücknehmen. Aber da warten wir mal ab, wie sich das Marktumfeld bis dahin entwickelt.
Wir mögen die Beteiligung an Amprion.
Michael Müller
Alternativ könnten Sie Beteiligungen verkaufen, beispielsweise das Eon-Aktienpaket.
Wir stellen die Eon-Beteiligung gegen die Braunkohlerückstellungen. Das ist ein wunderbarer Asset-Liability-Match. Die Beteiligung steht nicht für Aktienrückkäufe zur Verfügung.
Dann haben Sie noch die Beteiligung am Übertragungsnetzbetreiber Amprion. Die wollen Sie weniger wegen des potenziellen Verkaufserlöses weghaben, sondern wegen des hohen Investitionsbedarfs.
Mit dem Netzausbau in den kommenden Jahren geht in der Tat ein hoher Investitionsbedarf einher und wir schauen, wie wir den finanzieren.
Was ist an Berichten dran, Sie wollten die Amprion-Beteiligung in eine Tochtergesellschaft auslagern?
Wie gesagt, angesichts des hohen Kapitalbedarfs für den Netzausbau prüfen wir verschiedene Finanzierungsoptionen. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Die gesellschaftsrechtliche Struktur unserer Anteile ist eine rein technische Frage und hat damit nichts zu tun.
Was halten Sie von der Idee einer Deutschen Netz AG mit Staatsbeteiligung?
Das ist eine politische Entscheidung. Ich schaue auf Amprion. Das ist ein sehr leistungsfähiges und profitables Unternehmen. Wir mögen die Beteiligung an Amprion.
Das Interview führte Annette Becker.