LeitartikelLuftfahrtindustrie

Zulieferer am Anschlag

Jedes neue Flugzeug kommt derzeit verspätet bei den Airlines an. Die prekäre Lage der Industrie könnte sich noch verschärfen, weil die Rüstungsfirmen im Ringen um Zulieferer-Kapazitäten an Bedeutung gewinnen.

Zulieferer am Anschlag

Luftfahrt

Zulieferer am Anschlag

Von Lisa Schmelzer

Jedes neue Flugzeug kommt derzeit verspätet bei den Airlines an.
Die prekäre Lage der Industrie könnte sich noch verschärfen, weil die Rüstungsfirmen im Ringen um Zulieferer-Kapazitäten an
Bedeutung gewinnen.

Ein kurzes Zitat von Lufthansa-Chef Carsten Spohr genügt, um die prekäre Lage der Luftfahrtindustrie zu beschreiben: „Jedes neue Flugzeug kommt zu spät.“ Probleme in den Lieferketten sorgen dafür, dass Auslieferungsziele gerissen werden. Zusammen mit dem hohen Auftragsbestand bei den Flugzeugherstellern – über 16.000 Flugzeuge im Wert von mehr als 1.000 Mrd. Dollar – hat das zur Folge, dass Maschinen, die heute bestellt werden, vermutlich erst in den späten 2030er Jahren bei den Airlines landen.

Das erschwert die Planbarkeit für die Unternehmen und hat alleine für die Lufthansa diverse negative Folgen, die in dieser oder ähnlicher Form bei allen Fluglinien auftreten: Das Angebot kann nicht so ausgebaut werden wie zunächst geplant, statt mit einer runderneuerten Flotte ist man immer noch mit in die Jahre gekommenen Flugzeugen unterwegs. Das treibt die Kosten, da vermehrt Reparaturen anfallen und die alten Maschinen mehr Treibstoff verbrennen. Letzteres gefährdet im übrigen auch die selbst verordneten und politisch vorgegebenen Klimaschutzziele. Der Austausch alter gegen neue Flugzeuge gilt derzeit als wichtigster Hebel, um die Emissionen zu senken, da die neuen Flieger im Schnitt rund 30% weniger Kerosin verbrauchen.

Der Mangel treibt zuweilen auch seltsame Blüten: so hat die Lufthansa für erwartete neue Flugzeuge des Typs Boeing 787, die wegen Zertifizierungsproblemen bei neuen Sitzen zu spät kommen, Piloten ausgebildet, die nun Däumchen drehen müssen. Am Drehkreuz Frankfurt wird in einigen Langstrecken-Flotten jeder fünfte Flieger der Fluggesellschaft als Reserve vorgehalten, unter anderem weil unter den vielen Oldtimern häufiger mal eins ausfällt. Folgen hat der Engpass beispielsweise auch für das Frachtgeschäft, da die erwarteten neuen Maschinen mehr Platz für Cargozuladungen bieten als die, die derzeit noch eingesetzt werden. Einzig die Lufthansa Technik profitiert von der Gemengelage, weil die weltweit alternde Flotte und Probleme mit Triebwerken der neuen Generation den Überholungsaufwand erhöhen. Zuweilen fehlen aber Ersatzteile, was auch das Geschäft der Techniktochter erschwert.

Die Luftfahrtbranche trifft sich diese Woche bei der Air Show in Paris
picture alliance/dpa | Michael Evers

Die Situation dürfte sich mittelfristig eher verschärfen als entspannen. Denn um die knappen Kapazitäten bei den Zulieferern ringen längst nicht mehr nur Airlines und Flugzeugbauer, sondern auch die Hersteller aus der Raumfahrt- und Verteidigungsbranche. Die globalen Verteidigungsausgaben steigen rasant und auch das Raumfahrtgeschäft könnte Fahrt aufnehmen. Viele Firmen aus der Zuliefererindustrie sind in allen drei Geschäftsfeldern engagiert und bekommen zunehmend Schwierigkeiten, die anziehende Nachfrage in allen Segmenten gleichermaßen zu bedienen.

Eine Steigerung der Kapazitäten wäre kostspielig und ließe sich nicht ad hoc umsetzen. Auch die Hoffnung, durch neue Technologien Effizienzverbesserungen herbeizuführen, ist mit Fragezeichen zu versehen. Denn auch hierfür braucht es Technikkomponenten, die häufig Mangelware sind – oder mit hohen Zöllen belegt wurden. Oder um die man mit diversen anderen Branchen im Wettbewerb steht. Es gibt erste Überlegungen, ob und wie Unternehmen aus der Automobil- oder Maschinenbauindustrie ins Verteidigungsgeschäft einbezogen werden können. Experten sind skeptisch: Zwar bestünden Potenziale – etwa durch Nutzung von Produktionskapazitäten sowie beim Know-how in Fertigungs- und Entwicklungsprozessen –, doch Marktstrukturen, Regulierungen und Technologievorgaben unterscheiden sich deutlich vom zivilen Bereich, befinden etwa die Restrukturierungsexperten von Alix Partners.

Bei einem knappen Angebot sorgt eine steigende Nachfrage in der Regel für anziehende Preise. Wer diese eher bereit ist, zu zahlen – Flugzeughersteller/Airlines oder die Rüstungsfirmen – und deshalb von Fall zu Fall den Zuschlag erhält, lässt sich noch nicht sicher voraussagen. Angesichts des Ukraine-Krieges verschaffen sich Staaten wie Deutschland aber gerade große finanzielle Spielräume für ihre Aufrüstung, das bringt sie in eine gute Ausgangsposition im Kampf um knappe Ressourcen.