Kapitalmärkte

Das Wertpapier-Settlement wird beschleunigt

Die USA planen, schon 2024 mit einem „Big Bang“ den Settlement-Zyklus von Wertpapieren um einen Tag auf T+1 zu verkürzen. Das hat die Diskussion in Europa in Schwung gebracht. Allerdings ist die mitunter fragmentierte Struktur des EU-Kapitalmarktes dafür hinderlich.

Das Wertpapier-Settlement wird beschleunigt

Von Björn Godenrath, Frankfurt

Nachdem die USA beschlossen haben, den Settlement-Zyklus von Wertpapieren zu verkürzen, wird dies nun auch von den Marktteilnehmern in Europa verschärft diskutiert. Das Pro und Kontra einer solchen Veränderung in der Marktinfrastruktur und ihren Wertschöpfungsketten hat die AFME (Association for Financial Markets in Europe) nun in dem Paper „T+1 Settlement in Europe: Potential Benefits and Challenges“ diskutiert – und lässt durchblicken, dass sich dabei doch einige Probleme auftun im komplexen Zusammenspiel von Handelssystemen und Marktteilnehmern in einem gegenüber den USA stärker fragmentierten Kapitalmarkt. Um hier in die konkrete Umsetzung zu gehen, empfiehlt die AFME die Bildung einer Taskforce, um zu einer detaillierten Einschätzung zu kommen.

Dabei ist die Ausgangssituation, dass Europa 2014 von T+3 auf T+2 im Settlement umgestellt hatte und die USA damit drei Jahre später nachgezogen hatten. In den USA hat der Abwicklungs-Riese DTCC nun unter anderem das „Project ION“ aufgesetzt, in dem mit Hilfe der R3-Plattform Corda ein sofortiges Settlement per Blockchain (DLT) vollzogen wird. Das läuft bereits in einem Parallelbetrieb, im dem im Schnitt täglich 100000 bilaterale Aktientransaktionen gesettelt werden. Das funktioniert offenbar sehr gut, und in der Spitze wurden bislang bis zu 160000 Transaktionen täglich über DLT abgewickelt – das hört sich zwar vielversprechend an, ist aber natürlich noch weit entfernt von dem riesigen Volumen, das über heutige Settle­mentsysteme geht. Und diese sind in ein verästeltes System eingebettet, in dem bis hin zum Nachhandel jeder Marktteilnehmer mitziehen muss.

Das ist die Gemengelage, und diese verlangt nach einem behutsamen Ansatz bei der Verkürzung von Settle­ment-Prozessen, wie es auch von der AFME empfohlen wird – was aber nicht in Behäbigkeit bei der Umsetzung münden darf, stehen doch viele Benefits in Aussicht, die in der Kette von institutionellen Marktteilnehmern hin zu Privatanlegern zu Einsparungen führen sollten, die auch Thema der EU-Kommission sind, um Privatanlegern einen verbesserten Zugang zur Altersvorsorge über den Kapitalmarkt zu ermöglichen. Denn wenn sich zum Beispiel im Backend der Fondsgesellschaften Ineffizienzen perpetuieren, dann wird das letztlich in Form unnötig hoher Gebühren bezahlt. In der Branche ist zu hören, dass die sich ab­zeichnende Migration auf die Blockchain mit digitalen Fondsanteilen zum großen Kehraus im Sinne einer grundsätzlichen Infrastrukturbereinigung genutzt werden soll.

Resiliente Prozesse wichtig

Beim Settlement müssen resiliente Prozesse aufgesetzt werden, um Marktrisiken auszuschalten. Die AFME hat in Gesprächen mit der Branche festgestellt, dass nur wenige Marktteilnehmer eine schnelle, unmittelbare Verkürzung auf T+1 unterstützen, da Systeme dafür nicht bereit seien und man genug damit zu tun habe, die Regulierung rund um die CSDR sowie die T2S-Umstellung zu bewältigen – die große Target-Migration im Euro-Zahlungssystem soll am 20. November stattfinden. Die AFME hat Hindernisse vor allem im Post-Trade-Bereich identifiziert: „,Eine Umstellung auf T+1 wäre die bislang schwierigste Migration, würde doch der einzige Tag zwischen Trading und Settlement verloren gehen, was einen erheblichen Druck auf die Nachhandelssysteme auslösen würde und insbesondere globale Marktakteure betrifft“, sagt Pete Tomlinson, bei der AFME für den Nachhandel zuständig. Ein „unkoordinierter und übereilter“ Ansatz müsse Risiken angemessen adressieren, die sich aus der fragmentierten Struktur des europäischen Marktes ergeben.

Das soll nun über eine Taskforce detailliert beleuchtet werden, wobei die Handelsfirmen bei der AFME schon hinterlassen haben, dass allein über das erhöhte CSDR-Reporting schon reichlich Daten zur Analyse von Schwachstellen geliefert würden und zudem die Strafen für „failed trades“ erhöht worden seien.

Was man wissen muss, ist, dass sich in der heutigen Marktinfrastruktur große Effizienzen aus dem nachgelagerten Settlement ergeben, da am Ende des Handelstages (über Notenbanken und Spezialisten wie DTCC und Clearsteam) ein Netting von Transaktionen vorgenommen wird, so dass das Bruttovolumen sehr viel größer ist als das dann tatsächlich in Cash zu settelnde Nettovolumen. Allerdings brauchen die großen zen­tralen Abwickler dafür Vorab-Liquidität der Händler auf den Konten, was in Zeiten von Marktstress darin münden kann, dass zusätzliche Sicherheiten angefordert werden müssen. Das war im vergangenen Jahr inmitten des Meme-Stock-Hype geschehen, als DTCC plötzlich Milliarden an zusätzlichem Collateral von Robinhood anforderte, um Transaktionen abwickeln zu können. Das setzte die Diskussion in Gang, ob es nicht opportun sein könnte, ein sofortiges tagesaktuelles Settlement zu ermöglichen, wie es über eine DLT oder andere Technologien möglich wäre. Und da sich Regulierung und Fintech in Richtung tokenisierte Wertpapiere bewegen, scheint eine solche Migration grundsätzlich machbar – auch wenn das natürlich nicht in Form eines Big Bang funktionieren kann, sondern zu­nächst geringere Volumina in einen DLT-Parallelbetrieb gingen.

Dabei bestehen durchaus weitere Vorteile, dass im Wertpapiergeschäft Handelsausführung und Settlement (also das Verbuchen von Aktien und Cash) zeitlich auseinander fallen. Zum einen können „failed trades“ korrigiert werden, zum anderen plötzlich auftretende Risiken für die Finanzstabilität (wenn also Gegenparteien auszufallen drohen) noch von den Aufsehern adressiert und behoben werden, zum Beispiel über zusätzliche Liquidität. Beim sofortigen sogenannten „atomic settlement“ entstehen allerdings keine Nachhandelsrisiken, weil der Trade nur zustande kommt, wenn die Gegenpartei über sofortige Konten- oder Wallet-Liquidität verfügt und der Verkäufer die Wertpapiere oder Token im selben Augenblick liefern kann – so läuft es zum Teil schon über das Euroclear-System „Crest DvP“, wobei DvP für Delivery versus Payment steht. Für sofortiges Settlement auf breiter Ebene müssten die Marktteilnehmer dann aber ihr ge­samtes Liquiditätsmanagement optimieren und zunächst mehr vorhalten – hätten von dem Punkt aus aber auch untertägig mehr Liquidität zur Verfügung für zusätzliche Transaktionen. So hat J.P. Morgan eine interne DLT-Plattform aufgesetzt, um die bei der US-Notenbank vorzuhaltenden Reserven für den Repo-Markt für untertägige Transaktionen zu mobilisieren. Denn die Fed-Reserven müssen immer erst für den Übernacht-Zyklus vorliegen.

Doch das ist ein Spezialfall, der nur illustriert, wie Banken mit Hilfe von Tech ihre Liquidität optimieren. Im sofortigen Settlement geht es vor allem darum, das „open exposure“ zu reduzieren, da weniger Margin/Sicherheiten gestellt werden müssen gegenüber dem zentralen Abwickler, der für sich mit seiner Risikoballung auch ein wunder Punkt sein kann, wenn es kracht im Markt. Der DTCC schätzt, dass mit Abschaffung des +1-Tages 41 % der Volatilitätskomponente im US-Markt verschwinden würden, sprich im Interbankensystem reduzieren sich die Kreditrisiken erheblich.

Behutsame Transformation

Aber da muss man mit der Gesamtarchitektur des Marktes erstmal hinkommen, was ein behutsames Ma­nagement der Transformation erfordert, wie es die AFME mit Blick auf wunde Punkte in ihrem Paper skizziert. Die große Herausforderung besteht der AFME zufolge nicht allein im europäischen Markt (hier inklusive UK und Schweiz betrachtet), sondern im „gobal alignment“ – wofür es dann globale Industrie-Standards bräuchte. Und da die USA (und Indien) auf T+1 gehen wollen, müsse Europa da im Grunde nachziehen, um auf Basis desselben Ansatzes zu arbeiten, heißt es im AFME-Paper. Es gelte zudem eine potenzielle Lücke in der „perceived competitiveness“ zu vermeiden.

Die AFME geht in ihrer Analyse auf einige Teilmärkte ein und adressiert Herausforderungen für eine Migration, legt aber auch dar, dass die Systeme der zentralen Verwahrer/Abwickler (CCPs und CSDs) in der Regel schon fähig sind, T+1 oder sogar T+0 abzuwickeln. Die Settlementsysteme sind also bereit, es geht eher um das Management von Prozessen in der weiteren Wertschöpfungskette. Und da bestehende CCP-Systeme so leistungsfähig sind, plädiert die AFME dafür, das DLT-Thema separat zu diskutieren – die Phase zwischen Handel und Settlement könnte mehr Automatisierung vertragen, so die AFME. Angeregt wird eine Machbarkeitsstudie für T+1. Für ein koordiniertes Vorgehen sei zudem ein Update der regulatorischen Vorschriften ratsam.

Aktuell sieht es so aus: Artikel 6 der CSDR hatte im Februar 2022 vorgeschrieben, dass auf der Settlement-Ebene „timely allocation and confirmation processes“ sicherzustellen seien, T+0 wird aber nicht explizit verlangt. Bei der Optimierung der Prozesse dürfte sich dann viel auf der Ebene von Workflow-Instrumenten (Automatisierung) bei einzelnen Häusern tun, also eine granulare Ebene des Interbankensystems – wo die Aufseher dann jedem einzelnen Akteur auf die Finger schauen müssen, ob Compliance zu einem verkürzten Settlement-Zyklus besteht. Und für den ist es bei der „reconciliation“ von Wertpapieren über das Backend vorteilhaft, dass in den Depots ISIN-Strukturen (plus LEI-Identifier) schon fest verankert sind, um sicherzustellen, dass sich Wertpapiere am richtigen Platz befinden für das schnelle Post-Trade-Settlement. Ferner erwartet die AFME, dass die Dematerialisierung von Wertpapieren (in der EU für CSDs ab 2025 vorgeschrieben) weitere Vorteile bringt, sofern dies auch in Großbritannien gesetzlich geregelt ist.

Flickenteppich Europa
USA haben einheitlichen Kapitalmarkt
MarktinfrastrukturUSA Europa(EEA, GB, CH)
Listings Exchanges335
Trading Exchanges1641
CCPs118
CSDs231
Lokale Währungen114
Quelle: New Financial, ECSDA, AFMEBörsen-Zeitung
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