Kapitalmarktverband AFME

„Europa verliert weiter an Markt­­anteilen“

Kapitalmarktfinanzierungen in Europa gehen angesichts von Wirtschafts- und Energiekrise weiter zurück, wie der Branchenverband AFME warnt. Verbandschef Adam Farkas fordert eine bessere Verzahnung europäischer Märkte.

„Europa verliert weiter an Markt­­anteilen“

Von Andreas Heitker, Brüssel

Die aktuelle Wirtschafts- und Energiekrise einschließlich der hohen Inflation trifft auch die europäischen Kapitalmärkte mit Wucht. Darauf verweist der Chef des Branchenverbandes AFME (Association for Financial Markets in Europe), Adam Farkas, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. „Die jetzige Krise mit all ihren Faktoren, die miteinander verknüpft sind, ist sehr, sehr ungesund für die Kapitalmärkte“, betont er und verwies zur Begründung auf neue Unsicherheit in den Märkten, eine hohe Volatilität sowie gestiegene Kapitalkosten. Bereits an den Zahlen des ersten Halbjahres 2022 sei abzulesen, dass die sozioökonomischen und geopolitischen Entwicklungen zu „einer erheblichen Umkehrung der Kapitalmarktaktivitäten“ geführt hätten.

Einem neuen Zustandsbericht über die Europäische Kapitalmarktunion zufolge, den AFME in Zusammenarbeit mit elf weiteren europäischen Verbänden der Finanzwirtschaft am Donnerstag veröffentlichte, brachen die Neuemissionen von Schuldtiteln und Aktien in der ersten Jahreshälfte in Europa um rund ein Drittel ein. Das Volumen der Börsengänge ist dabei sogar um 86 % gesunken. In Deutschland ist der Markt für Börsengänge nahezu komplett ausgetrocknet. Und der Anteil der Unternehmensfinanzierungen auf den Kapitalmärkten sank in den ersten sechs Monaten 2022 auf nur noch 7,6% nach 12,4% im Jahr zuvor.

„Die Akteure der Real Economy wenden sich vom Kapitalmarkt ab und wieder stärker den Banken zu“, betonte Farkas. Der ohnehin schon hohe Anteil der Bankkredite an den Finanzierungen sei damit weiter gestiegen. In Deutschland habe das Kreditneugeschäft im ersten Halbjahr um 20% zugelegt. „Die gute Nachricht ist, dass die Banken diese zusätzliche Nachfrage bei der Kreditvergabe auch bedienen können“, betonte der Chef des europäischen Kapitalmarktverbandes. „Auf der anderen Seite steigt damit aber auch die Abhängigkeit der Wirtschaft vom Bankensystem.“

Anders als in der Coronakrise

Farkas verwies darauf, dass die aktuelle Krise auch ganz anders sei als die zu Beginn der Corona-Pandemie. In den vergangenen zwei Jahren habe es Rekordgewinne bei den marktbasierten Finanzierungen ge­geben mit einem insgesamt günstigen geld- und fiskalpolitischen Umfeld für die Kapitalbeschaffung von Unternehmen. „Das Umfeld hat sich komplett verändert – vor allem für die Unternehmen.“

Eine gut funktionierende Kapitalmarktunion in Europa würde nach Einschätzung von Farkas helfen, auch die aktuelle Krise abzufedern. „Natürlich bietet auch eine gut funktionierende Kapitalmarktunion nicht die unmittelbare Lösung für alles, könnte nicht das Energieversorgungsproblem lösen und auch nichts am allgemeinen Inflationsbild än­dern“, räumte er ein. Sie könne aber wirklich Sparer und Investoren in den europäischen Markt bringen, die Finanzierungsbedingungen diversifizieren und damit auch Finanzierungsnachteile im Vergleich etwa zu Nordamerika etwas verringern.

Die meisten der aktuellen Negativentwicklungen auf den europäischen Kapitalmärkten – so hofft es Farkas zumindest – könnten Einmaleffekte sein. Ein strukturelleres Problem und damit noch besorgniserregender sei aber, dass die Kapitallücke in der EU weiter gestiegen sei. „Europa verliert weiter an Marktanteilen“, warnt Farkas. Er macht es daran fest, dass die Marktkapitalisierung europäischer börsennotierter Unternehmen im Jahr 2000 noch einen globalen Marktanteil von 18% hatte. Heute sind es nur noch 10%. „Das sollte ein Warnsignal sein“, so der AFME-Chef. „Europa ist in der Rangliste der Wettbewerbsfähigkeit der globalen Kapitalmärkte weiter hinter die USA und das Vereinigte Königreich zurückgefallen.“

Als wesentlichen Schwachpunkt in der Europäischen Kapitalmarktunion hat AFME zudem den nicht funktionierenden Verbriefungsmarkt ausgemacht. Ganz oben im politischen Forderungskatalog des Verbandes steht daher auch eine weitere EU-Reform noch in dieser Legislaturperiode. Die EU hatte den Verbriefungsmarkt zuletzt 2017 mit der Einführung des neuen STS-Labels verändert – das Kürzel steht für „Simple, Transparent, Stan­dardised“. Damit führte sie auch als Reaktion auf die Finanzkrise neue Schutzklauseln ein. „Positiv war, dass die Märkte den neuen STS-Regelungsrahmen angenommen haben“, sagt jetzt Farkas. Unter diesem Blickwinkel gesehen funktioniere das neue Label. Aber das Gesamtvolumen des Marktes sinke immer weiter. „Irgendetwas funktioniert hier also nicht. Denn im Gegensatz zu Europa verzeichnet der US-Verbriefungsmarkt immer noch Wachstum“, betont Farkas.

Laut dem neuen AFME-Bericht sind die Verbriefungstransaktionen in der EU mittlerweile auf den niedrigsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen gefallen. Der Anteil der ausstehenden EU-Kredite, die über Verbriefungen und Kreditportfolioverkäufe übertragen wurden, beträgt demnach heute mit 1,6% nur noch die Hälfte des Wertes aus dem Jahr 2018. „Das heutige Rahmenwerk funktioniert, macht aber viele Transaktionen wenig wirtschaftlich.“

Wenig integrierte Märkte

Ein gemischtes Bild zeichnete Farkas in dem Gespräch vom deutschen Kapitalmarkt. Auf der einen Seite zeige Deutschland eine sehr gute Wettbewerbsfähigkeit, auf der anderen Seite eine nur schwache Integration seines Marktes innerhalb der EU. „Es wurden einige sehr vorausschauende Maßnahmen eingeführt, die den deutschen Kapitalmarkt äußerst wettbewerbsfähig machen. Aber es sind auf der anderen Seite nur nationale Regeln“, monierte der AFME-Chef.

Deutschland habe zwar den größten Markt innerhalb der EU und komme auf den größten Pool an Ersparnissen und könne damit auch vieles allein machen, sagte Farkas. „Aber damit Europa insgesamt wettbewerbsfähig auf internationaler Ebene wird, muss das Niveau der Integration der Märkte innerhalb der EU tiefer werden. Das würde weiteres Potenzial in Europa, aber auch in Deutschland heben.“

Als äußert positiv bezeichnete Farkas in Deutschland unter anderem die Entwicklung der langfristigen Investmentfonds Eltif, die politischen Debatten über eine Aktienrente sowie den ganzen Bereich Sustainable Finance, der davon profitiere, dass es einen großen Konsens in der deutschen Politik bezüglich der Unterstützung der grünen Transformation gebe, lobte Farkas.

Laut dem neuen AFME-Bericht begibt Deutschland 2022 das größte Volumen an grünen Anleihen aller EU-Länder. Im ersten Halbjahr waren dies 25,8% der gesamten EU-Emissionen grüner An­leihen. Deutschland ist nach Frankreich zugleich der zweitgrößte Emittent von ESG-Anleihen in Europa mit einem Anteil im ersten Halbjahr von 21,9% an den gesamten neuen ESG-Finanzierungen.

Nach Angaben von Farkas liefen auch die Pre-IPO-Finanzierungen in Deutschland recht gut. Deutschland sei ein attraktiver Markt für innovative Unternehmen. Stark sei ebenfalls das Fintech-Ökosystem. „Trotzdem gilt: Wenn ein Fintech-Unternehmen wirklich wachsen will, braucht es den ganzen EU-Markt.“

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