Cum-ex

„Herr Berger hatte ja einen gewissen Ruf“

Im Cum-ex-Verfahren in Wiesbaden hat ein pensionierter Steuerfachmann aus der Rechtsabteilung der HVB als Zeuge ausgesagt. Weder von Leerverkäufen noch von der Beteiligung Bergers habe er gewusst.

„Herr Berger hatte ja einen gewissen Ruf“

Von Anna Sleegers,

zzt. Wiesbaden

Im Cum-ex-Prozess am Landgericht Wiesbaden illustriert eine Zeugen­befragung, wie Mitarbeiter der HVB unbehelligt von der eigenen Rechtsabteilung millionenschwere Geschäfte zulasten der Steuerkasse tätigen konnten. Derzeit müssen sich zwei Angeklagte verantworten, die man als Nebenfiguren ansehen kann. Die beiden Privatkundenberater der HVB setzten für das Family Office des verstorbenen Investors Rafael Roth in den Jahren 2006 bis 2008 insgesamt 61 Leerverkaufsgeschäfte mit Dax-Titeln um, die laut Anklage einzig und allein der Erstellung falscher Steuerbescheinigungen dienten (Az. 6 KLs – 1111 Js 27125/12).

Geplant wurden die Geschäfte vom Hauptangeklagten Hanno Berger, der als Steuerberater für Roth tätig war, und dem Neuseeländer Paul Mora, der in leitender Funktion am Trading Desk der HVB arbeitete. Weil die beiden zur Eröffnung des Hauptverfahrens nicht vor Gericht erschienen, wurden die Verfahren gegen sie abgetrennt. Nach dem flüchtigen Mora wird international gefahndet, Berger sitzt in seiner Schweizer Wahlheimat in Auslieferungshaft (vgl. BZ vom 28. August).

Laut Anklage machten sie sich eine Schwäche im Abwicklungsmechanismus bei ungedeckten Leerverkäufen zunutze. Die Softwaresysteme der Depotbank unterschieden damals nicht zwischen tatsächlichen Dividenden und den am Tag der Hauptversammlung üblichen Kompensationszahlungen. Sofern eine Zahlung in Höhe der Nettodividende einging, erhielten beide dieselbe Steuerbescheinigung, was den Steuerbetrug ermöglichte.

Händische Steuererklärungen

In der Befragung von Ulrich K., der bis zu seiner Pensionierung im Sommer 2007 als Referent für Steuerrecht in der Rechtsabteilung der HVB tätig war, ging es am Donnerstag jedoch um sieben Steuerbescheinigungen, die von der inzwischen als Caceis firmierenden Depotbank FMS ausgestellt wurden. Sie beziehen sich auf Wertpapiergeschäfte, die von der HVB im Jahr 2006 für ihren Kunden Roth getätigt worden waren.

Im Zeugenstand schilderte der Steuerrechtsexperte Ulrich K., der während der Ermittlungen offenbar zunächst selbst zu den Beschuldigten gehört hatte, wie der Angeklagte Michael G. ihn im Frühsommer 2007 wegen der fehlenden Steuerbescheinigungen zunächst telefonisch kontaktiert hatte: „Da die Angelegenheit doch ziemlich komplex war, bat ich den Kollegen, mir sein Anliegen per Mail schriftlich mitzuteilen.“

Das sei auch postwendend geschehen. An den Kollegen aus der Rechtsabteilung schreibt Michael G. am 16. Mai per Mail: „Wir haben in 2006 vor bzw. am Tag der HV die jeweiligen Aktien von Icap gekauft.“ Laut Handelsbestätigung seien die Käufe rechtzeitig durchgeführt, so dass der HVB-Kunde Roth als wirtschaftlicher Eigentümer der Aktien Anspruch auf eine Dividendenzahlung gehabt habe. Aufgrund in der Mail nicht näher erläuterter technischer Probleme seien die Aktien jedoch nicht innerhalb der dafür vorgesehenen Frist von zwei Tagen geliefert worden. Laut der Mail erhielt Roth daher die ihm zustehende Dividende nicht – und dementsprechend auch keine automatisch erstellte Steuerbescheinigung.

Um die Geschäftsbeziehung mit dem hochvermögenden Roth nicht zu belasten, erbat der angeklagte Privatkundenberater daraufhin bei der Depotbank FMS offenbar eine händisch erstellte Steuerbescheinigung. Doch um sich abzusichern, verlangte die Depotbank einen Zweizeiler von der Rechtsabteilung ein, weswegen Michael G. den Steuerrechtsexperten K. kontaktierte. Dieser fühlt sich im Nachhinein von seinem Kollegen getäuscht: „Dass es sich bei den Aktiengeschäften um Leerverkäufe handelte, wusste ich nicht.“ Er sei sich noch nicht einmal bewusst gewesen, dass die HVB überhaupt Leerverkäufe praktizierte.

Ebenso wenig habe er gewusst, dass der Kunde Roth sich bei den Geschäften von Hanno Berger beraten ließ. „Sonst wäre meine Antwort vermutlich nicht positiv ausgefallen, denn Herr Berger hatte ja einen gewissen Ruf“, sagte er. Auf Nachfrage konkretisierte er: „den Ruf, ein bisschen mutig an Sachen heranzugehen“.

Persönlich erlebt habe er Berger nur einmal in einer Weiterbildungsveranstaltung als einer von etwa 50 Teilnehmern. „Es hätte mir Unbehagen verursacht, wenn ich gewusst hätte, dass er in die Handelsstrategien involviert war“, sagte Ulrich K. am Donnerstag. So aber schrieb er statt des geforderten Zweizeilers eine längere Mail an die Depotbank, in der er sich unter anderem auf einen Passus des Jahressteuergesetzes von 2007 berief, in dem es explizit um Leerverkäufe geht.

Einen Widerspruch sieht der Steuerrechtsexperte darin nicht: „Mir ging es damals einzig und allein um die Frage, ob die Aktien rechtzeitig geliefert wurden. „Ich habe das Problem vielleicht auch nicht so ganz zur Kenntnis genommen“, räumte er ein. Kurz vor der Pension stehend habe er mit Rücksicht auf seinen Nachfolger versucht, seinen Schreibtisch „leerzuarbeiten“. Dass er dafür das Schreiben des Bankenverbands (BdB) einfach abgeschrieben habe, sei gewiss nicht gut, könne in solchen Situationen des Arbeitslebens aber mal vorkommen.