Großbritannien

Boris Johnson macht den Weg frei

Der britische Premierminister Boris Johnson ist überraschend zurückgetreten, will aber bis Herbst kommissarisch im Amt bleiben. Erste Kandidaten für die Nachfolge haben sich bereits gemeldet.

Boris Johnson macht den Weg frei

hip London

Der britische Premierminister Boris Johnson hat sich überraschend dafür entschieden, den Weg für eine geordnete Nachfolge frei zu machen. In einer Pressekonferenz vor seinem Amtssitz in der Downing Street teilte er einerseits seinen Rücktritt mit. Die Unterhausfraktion seiner Partei habe deutlich gemacht, dass sie einen neuen Führer haben wolle, begründete er seine Entscheidung. Allerdings kündigte er an, kommissarisch im Amt bleiben zu wollen, bis im Herbst ein neuer Parteichef der regierenden Tories gewählt wird. Er ernannte zudem neue Kabinettsmitglieder, um nach zahlreichen Rücktritten von Staatssekretären und nachrangigen Regierungsmitgliedern weiterregieren zu können. Die Opposition und seine parteiinternen Gegner reagierten mit Empörung. Labour-Chef Keir Starmer drohte mit einem parlamentarischen Misstrauensvotum.

Alles in allem überwog jedoch Erleichterung. Johnsons Amtszeit währte kürzer als die seiner Vorgängerin Theresa May. Damit sind seit dem Brexit-Referendum 2016 bereits drei Premierminister abgetreten. „Ich bin nicht traurig, ihn gehen zu sehen“, sagte Naomi Smith, die Chefin von „Best for Britain“, einer Kampagne gegen den EU-Austritt. „Mich ärgert, dass es so lange gedauert hat.“ Der ehemalige Verteidigungsminister Michael Heseltine gab der Hoffnung Ausdruck, dass sich mit Johnson auch der Brexit erledigt hat, und forderte seinen Nachfolger auf, sich um bessere Bemühungen zur EU zu bemühen. Erste Kandidaten wie Generalstaatsanwältin Suella Braverman und der Brexiteer Steve Baker kündigten bereits an, sich um das Amt zu bewerben.

Am Kapitalmarkt löste Johnson Ankündigung keine größeren Verwerfungen aus. „Sein Rücktritt könnte kurzfristig für mehr Unsicherheit sorgen, deshalb war die Reaktion verhalten“, urteilte Daniele Antonucci, Chefvolkswirt der Quintet Private Bank. Ähnlich sieht es David Muir, Volkswirt von Moody’s Analytics: „Boris Johnsons Rücktritt schafft eine Phase zusätzlicher Ungewissheit für Großbritannien, die am besten schnell enden sollte“, kommentierte Muir. „Wer auch immer das Amt übernimmt, wird die Politik wieder darauf fokussieren müssen, die wesentlichen Risiken für die Wirtschaft anzugehen.“

Nebenstehender Kommentar

Bericht Seite 7

Personen Seite 16