Schottland

Die Scheinriesin

Die schottischen Nationalisten haben ihr Ziel, die ab­solute Mehrheit im Regional­parlament in Holyrood zu er­langen, erneut verfehlt. Und so ist ihre Parteiführerin Nicola Sturgeon zwar die Wahlsiegerin, das klare Mandat für ein weiteres...

Die Scheinriesin

Die schottischen Nationalisten haben ihr Ziel, die ab­solute Mehrheit im Regional­parlament in Holyrood zu er­langen, erneut verfehlt. Und so ist ihre Parteiführerin Nicola Sturgeon zwar die Wahlsiegerin, das klare Mandat für ein weiteres Un­abhängigkeitsreferendum, das sie gerne gehabt hätte, blieb ihr jedoch versagt. Mit ihren ­grünen Mehrheitsbeschaffern kommt sie auf die nötigen Stimmen, um eine weitere Volksabstimmung auf den Weg zu bringen. So hätte sie es allerdings schon lange tun können.

Sturgeon ist eine Scheinriesin. Wie Herr Tur Tur in den von Michael Ende erzählten Abenteuern von Jim Knopf wirkt sie aus der Ferne viel gewaltiger als aus der Nähe. Westminster ist weit weg. Und so sah sich der britische Premierminister Boris Johnson genötigt, einem wei­teren Unabhängigkeitsreferendum eine klare Absage zu erteilen, obwohl es dafür noch gar keinen realen Anlass gab. Es wäre intelligenter gewesen, eine Konfrontation zu vermeiden, die den Nationalisten nur unnötig Argumente verschafft. Johnson hätte entsprechende Forderungen ganz staatsmännisch unter Verweis auf die Pandemie, deren Auswirkungen erst bewältigt werden müssen, zurückweisen können. 

Wenn Sturgeon in Westminster schon groß erscheint, wirkt sie auf dem Kontinent wie eine Gigantin. Den medialen Reaktionen auf das Wahlergebnis zufolge halten viele das Auseinanderbrechen der mehr als 300 Jahre währenden Union schon für so gut wie ausgemacht. Doch vielleicht hat Sturgeon den besten Moment verpasst. Denn glaubt man an Meinungsumfragen, ist die Unterstützung für einen nationalen Alleingang schon vor den Wahlen zurückgegangen. Dabei reichte die Spanne zuletzt von 50:50 bis zum Stand von 2014, als eine klare Mehrheit für den Verbleib im Vereinigten Königreich votierte.

Ein klares Bekenntnis zur Loslösung von „Brexit Britain“ war nicht zu erkennen. Die radikalen Nationalisten um Alex Salmond errangen kein einziges Mandat. Schon unter Grünen-Wählern gibt es keine Mehrheit für die Unabhängigkeit. Nicht einmal alle Anhänger der Nationalisten wollen sie, und viele der Befürworter wollen sie nicht so schnell, wie es Sturgeons Zeitplan vorsieht. Im Wahlkampf dominierten Themen wie das Gesundheitswesen, der Klimawandel und die Pandemie. Sturgeon braucht die Unabhängigkeitsromantik, um von ihren kläglichen Leistungen auf anderen Politikfeldern abzulenken. Käme es wirklich zum Referendum, würde die Scheinriesin rasant dahinschrumpfen. Ihr dürfte das klar sein.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.