„Anleger sind notorische Optimisten“
Im Gespräch: Berndt Fernow
„Anleger sind notorische Optimisten“
LBBW-Stratege sieht das Potenzial am Aktienmarkt vorerst als ausgereizt an – Trumps Zölle sorgen für Unruhe – Börsen „ein bisschen zu blauäugig“
Die Aktienmärkte zeigen sich volatil wie lange nicht. US-Präsident Donald Trump sorgt immer wieder für Verwerfungen. Berndt Fernow von der LBBW ordnet das aktuelle Geschehen ein. Er blickt skeptisch in die Zukunft, sieht die Perspektiven für die USA aber noch schlechter als für Deutschland.
tom Frankfurt
Von Tobias Möllers, Frankfurt
US-Präsident Donald Trump hat die Aktienmärkte mit seinen Zollplänen wiederholt durcheinander gewirbelt. Erst kündigte Trump Zölle für quasi alle Handelspartner weltweit an, nur um die meisten nach Verwerfungen an den Aktien- und Anleihemärkten für zumindest 90 Tage wieder auszusetzen. In der vergangenen Woche dann drohte der US-Präsident der EU mit Strafzöllen in Höhe von 50% ab dem 1. Juni, weil er mit den bisherigen Verhandlungen unzufrieden war. Am Sonntag dann die erneute Kehrtwende, als Trump die Erhebung der angedrohten Zölle bis zum 9. Juli aufschob. Die Aktienmärkte reagierten mit einem Auf und Ab. Zwischenzeitliche deftige Verluste haben die meisten Indizes inzwischen wieder wettgemacht.
Alles nur ein Sturm im Wasserglas also? Das sieht Berndt Fernow, Aktienstratege bei der LBBW, anders: „Die Situation ist nun schwieriger, als sie vor Trumps Amtsantritt war. Deswegen ist es auch nicht unbedingt gerechtfertigt, dass die Börsen das jetzt optimistischer sehen als vorher.“ Durch die Zölle steige die Gefahr einer Rezession in den USA: „Die Zölle werden sich auf die US-Preise auswirken und dafür sorgen, dass die Inflation höher ist, als die Fed sie gern hätte.“ Das belaste das Wirtschaftswachstum und berge die Gefahr einer Stagflation. Dass die Aktienmärkte trotzdem schon wieder auf alte Höchststände geklettert sind oder sogar neue Rekordmarken ins Visier nehmen, kommentiert Fernow lakonisch mit „Anleger sind notorische Optimisten“. Aus Fernows Sicht ist die Bewertung an den Aktienmärkten „eher zu hoch“. Die Börsen seien da „ein bisschen zu blauäugig“. Die längerfristigen Belastungen seien in den Kursen am Aktienmarkt aktuell nicht eingepreist.
Der Experte blickt längst nicht so positiv in die Zukunft wie die Märkte. Die USA sägen an dem Ast, auf dem sie selbst sitzen, erklärt Fernow und bezieht dies längst nicht nur auf Trumps erratische Zollpolitik: „Sie machen das Land unattraktiver für Studenten. Die USA sind aber darauf angewiesen, fähige Studenten aus der ganzen Welt anzuziehen, die dann zukünftig auch die hochwertigen Jobs annehmen, für die Produktivität sorgen und das eine oder andere erfolgreiche Unternehmen gründen.“ Das gelte aber auch für einfache Arbeitskräfte. Menschen, die Trump jetzt rauszuwerfen versucht und die bisher Arbeiten übernommen haben, die sonst niemand machen wolle. Das bedeute weniger Wirtschaftsleistung und weniger Wertschöpfung.
Dollar steht unter Druck
Neben der demografischen Belastung sieht der LBBW-Marktstratege aber auch das Vertrauen in die Stabilität des Dollars deutlich geschwächt: „Das Risiko, dass der Dollar stark abwertet, ist deutlich gewachsen“, erklärt Fernow. Noch brisanter sei die Finanzierung des Staates über Treasuries. „Die USA sind der größte Schuldner der Welt, und sie haben traditionell einen deutlichen Überschuss bei den Kapitalerträgen“, so der LBBW-Experte. Dies sei jetzt aber nicht mehr der Fall. Die Zinsen, die die USA auf die Staatsanleihen zahlen müssen, seien inzwischen so viel höher, dass diese Bilanz jetzt ausgeglichen ist. Damit seien die USA nicht mehr der große Profiteur.
Die Schuldenobergrenze immer weiter in die Höhe zu schrauben, sei dann auch keine Lösung. „Irgendwann könnten sich die Demokraten da querlegen“, vermutet Fernow: „Je teurer die Refinanzierung des US-Staates ist, desto brisanter wird das Problem.“
Zudem sind die aktuell und für eine Frist von 90 Tagen gültigen Zölle noch immer so hoch wie seit Jahrzehnten nicht. „Das blenden die Märkte ein wenig aus“, fürchtet Fernow und warnt zugleich vor verzerrt aufgenommenen US-Konjunkturzahlen. Diese sähen zwar im Moment auch dank vorgezogener Käufe noch halbwegs normal aus, aber erst bei den Statistiken der nächsten Monate, wenn sich auch Nachschubprobleme aufgrund der Zölle zeigen dürften, käme es zum Schwur. Der LBBW-Experte kritisiert, dass durch die aktuelle US-Administration die Rahmenbedingungen für Investitionen massiv infrage gestellt würden. Das gelte etwa für Subventionen für Chip-Fabriken. Ungewissheit aber ist das, was die Märkte und Investoren am wenigsten mögen. „Das führt zu einer abwartenden Haltung“, erklärt Fernow, „und wenn alle abwarten, dann ist eine Rezession kaum vermeidbar“. Die LBBW erwartet zwar vorerst keine Rezession in den USA, aber doch eine deutliche Bremsung des Wirtschaftswachstums. Ein Wachstum von nur noch 1% in den USA komme für das Jahr 2025 einer Stagnation gleich. Gleichzeitig könne die Fed angesichts einer höher als erwünschten Inflation die Leitzinsen nicht senken.
Fed-Chef Powell standhaft
Fed-Chef Jerome Powell werde sein auslaufendes Mandat entgegen Trumps Wünschen jetzt nicht dadurch beschädigen, dass er sich am Ende dem Präsidenten unterwirft, zeigt sich Fernow überzeugt. Sorgen, dass Trump noch größere Macht bekommt, wenn die Amtszeit von Powell im nächsten Jahr endet und damit ein Gegengewicht zur Politik des US-Präsidenten wegfällt, hat er gleichwohl nicht: „Trump kann bei der Fed trotzdem nicht durchregieren“, erklärt der LBBW-Marktstratege mit Blick auf einen womöglich willfährigen und Trump-hörigen Powell-Nachfolger. Das gesamte Gremium werde nur in einem sehr langsamen Rhythmus ausgetauscht und dieses entscheide, nicht allein der Vorsitzende.
Defensive Aufstellung
Mit Blick auf die Aktienmärkte rät Fernow zunächst zu einer eher defensiven Aufstellung. Dies gelte besonders für die US-Indizes, aber auch für den Dax, der die seit Anfang April eingefahrenen Verluste mittlerweile komplett wieder aufgeholt hat. Das Potenzial sei „vorerst ausgereizt“. Das Modell der LBBW sehe jetzt für den Dax noch eine Rendite von 4% p.a. in den kommenden fünf Jahren. Das sei auch historisch eine viel zu niedrige Risikoprämie für Aktien gegenüber Bundesanleihen. Skeptisch zeigt sich der LBBW-Experte auch beim Blick nach vorne. Die Perspektive sei deutlich schlechter als noch vor ein bis zwei Jahren. „Wir können einen Einstieg jetzt nicht empfehlen“, konstatiert Fernow mit Blick auf die Märkte.
KI-Hype hat Zenit überschritten
Dies gelte auch für die „Magnificent Seven“, die die Aktienmärkte lange angetrieben haben. Die Mag7 sind schwach ins Jahr gestartet, aber auch sie witterten zuletzt etwas Morgenluft. An eine Rückkehr des KI-Hypes mag Fernow trotzdem nicht so recht glauben: „Der große Schub liegt erst einmal hinter den Unternehmen“, prognostiziert der Experte. Tesla, das Unternehmen von Trump-Intimus Elon Musk, sei ein Sonderfall, ein problematischer zudem. Für die übrigen sechs gelte, dass bei diesen hochprofitablen Unternehmen trotz weiter sprudelnder Gewinne die Gewinndynamik nun nachlasse. Der Hype rund um das Thema KI habe „seinen Zenit überschritten“.
Einige Hoffnungen verbinden Anleger derzeit auch mit dem gigantischen deutschen Infrastrukturpaket. Dies sieht auch Fernow positiv: „Das ist kein Strohfeuer.“ Allerdings müssten die Ausgaben auch erst einmal geplant werden. Marktauswirkungen erwartet der LBBW-Stratege daher erst ab dem kommenden Jahr. Der Experte unterscheidet hier zwischen den Verteidigungsausgaben, die deutlich ansteigen sollen und dem 500 Mrd. Euro schweren Infrastrukturpaket. Ersteres seien mit Ausnahme von Forschung und Entwicklung eher konsumtive Ausgaben. Bei dem Infrastrukturprogramm sei dies anders: „Wenn ich die Infrastruktur wieder auf Vordermann bringe, was ja dringend nötig ist, dann steigert das auch das Produktionspotenzial der Volkswirtschaft", erklärt Fernow.
Zudem würden die Ausgaben nicht einfach nur die Schuldenlast erhöhen, ein Teil des Geldes komme über Steuern auch zurück zum Staat. Neben Deutschland dürften auch die Nachbarländer von „Abstrahleffekten“ profitieren.
Zunächst einmal erwartet Fernow allerdings „schwierigere Zeiten“. Wenn der Dax das Niveau, das er jetzt erreicht hat, bis zum Jahresende halten können sollte, dann sei die Bilanz des Indizes auf Jahressicht trotzdem „gar nicht mal schlecht“.