„Das ist eine vielleicht einzigartige Chance für Argentinien“
Im Interview: Verena Wachnitz
„Eine vielleicht einzigartige Chance für Argentinien“
T.-Rowe-Price-Expertin ist nach gutem Lauf weiterhin
positiv gestimmt für lateinamerikanische Aktienmärkte
Die meisten Aktienmärkte in Lateinamerika können in diesem Jahr auf eine beeindruckende Bilanz zurückblicken. T.-Rowe-Price-Strategin Verena Wachnitz erklärt im Interview, was die Region so stark macht, wie es jetzt weitergeht und wie sie den Sonderfall Argentinien sieht.
Frau Wachnitz, die meisten lateinamerikanischen Aktienmärkte haben 2025 eine beeindruckende Performance hingelegt. Woran liegt das?
Dafür gibt es mehrere Faktoren. Die Bewertungen waren am Anfang des Jahres sehr niedrig, weil das letzte Jahr an den lateinamerikanischen Aktienmärkten sehr schwierig war. In Brasilien unter Lula gab es Sorgen über die Steuerpläne und in Mexiko Wahlen. Dafür war der Start in dieses Jahr sehr günstig. Anfang des Jahres waren nicht nur die Aktien, sondern auch die Währungen sehr billig. Dazu kommt die Schwäche des Dollars. Das hat den Währungen in der ganzen Region geholfen, vor allem den großen Märkten Brasilien und Mexiko.
Gibt es noch weitere Gründe für die starken Aktienmärkte?
Es gibt noch idiosynkratische Faktoren. In Lateinamerika stehen in den nächsten Monaten und Jahren viele Wahlen an. Brasilien hat Präsidentschaftswahlen im Oktober 2026. In Chile gibt es Ende des Jahres Präsidentschaftswahlen. Dazu kommen Peru und Kolumbien. In den meisten Ländern erwartet man, dass das Pendel weg von der Linken hin zu einer marktfreundlicheren Regierung ausschlägt. Wir sehen dadurch ein besseres Rating von Aktien, wir sehen stärkere Währungen, wir sehen ausländische Fonds, aber auch Domestic Investors, die wieder mehr ins Risiko gehen. Der Markt preist das so langsam bereits ein. In Brasilien ist es vielleicht noch etwas früh, aber dort ist der Unterschied vielleicht auch am größten, wenn endlich eine Regierung ans Ruder kommt, die finanzpolitische Verantwortung zeigt.
Die Bewertung der lateinamerikanischen Aktienmärkte erscheint weiter moderat. Könnte sich die aktuelle Rally daher noch fortsetzen?
Ja, auf jeden Fall. Anfang des Jahres waren die Bewertungen extrem gering. Jetzt steht der Markt 30% höher, aber eben von einem sehr niedrigen Niveau kommend. Wenn Sie sich das KGV für den lateinamerikanischen Markt anschauen, dann liegt das durchschnittlich bei neun und neun ist nicht hoch, auch nicht im langfristigen historischen Durchschnitt. Im Vergleich mit diesem langfristigen Durchschnitt sind fast alle Märkte immer noch billig. Vor allem der größte Markt: Brasilien. Da finde ich die Bewertungen noch am attraktivsten. Es gibt also keine Gründe, sich jetzt über die Bewertungen Sorgen zu machen. Allerdings sind fundamentale Gründe nötig, damit es zu weiteren Kurssteigerungen kommt.
Fundamentale Gründe wie Regierungswechsel?
Ja. Politische Richtungswechsel würden auch sehr helfen. In Brasilien auch Zinssenkungen. Der Leitzins steht aktuell bei 15% und damit sehr hoch. Man sieht, wie die Wirtschaft sich verlangsamt. Die Inflationserwartungen sinken langsam. Daher glaube ich, dass wir in Brasilien bald niedrigere Zinsen sehen werden. Das wird einen neuen Schub und mehr Returns bringen.
Seit Jahresbeginn war an den Aktienmärkten eine Rotation weg von den US-Märkten zu beobachten. Fließen diese Mittel nun verstärkt auch in die lateinamerikanischen Handelsplätze?
Ein bisschen schon, vor allem in Brasilien. Brasilien hatte dieses Jahr Zuflüsse von 5 Mrd. US-Dollar. Das hilft schon. Mexiko war dagegen mehr von lokalen Investoren getrieben, die Pensionsfonds haben zugekauft, nachdem sie letztes Jahr wegen der ganzen politischen Nachrichten und Risikos noch verkauft haben. Zuflüsse gab es übrigens auch bei dem Lateinamerika-Fonds, den ich verwalte. In den letzten Jahren hatten wir immer Abflüsse und jetzt hat sich der Trend gedreht. Und das könnte erst der Anfang sein, denn global ist die Allokation der Mittel in Emerging Markets immer noch sehr gering. Wir liegen bei etwa 5%, früher waren das 7-8%. Im EM-Index steht Lateinamerika bei 7%, vor zehn Jahren waren das noch 15%. Da gibt es also noch viel Luft nach oben.
Was spricht für die Region?
Geographisch ist es eine sehr große Region, die durch die Bevölkerung und die vielen Rohstoffe großes Potenzial hat. Gemessen an den Kapitalmärkten ist die Region dagegen eher klein. Der größte Aktienmarkt ist Brasilien mit einem Umsatz von ungefähr 5 Bill. Dollar täglich. Wenn Investoren auf Lateinamerika setzen, gibt es noch sehr viel Raum für positive Flows. Wichtig sind aber natürlich auch die Domestic Investors, die Mexiko in diesem Jahr geholfen haben. Brasilien hat auch eine riesengroße Pensions- und Investmentfondsindustrie, aber bei Leitzinsen von 15% wollen die nicht in Aktien investieren. Die Aktien-Allokation der lokalen Investoren liegt bei 7%, historisch sind eher 10-15% normal. Wenn Brasilien die Inflation endlich unter Kontrolle bringt und die Zinsen senken kann, dann wird diese große Masse von Domestic Savings auch wieder an die Aktienmärkte gehen.
Auf welche Unternehmen setzen Sie?
Von außen denkt man bei Lateinamerika immer an Rohstoffe, an politische und makroökonomische Volatilität, an Unsicherheiten und an Krisen, aber die Unternehmen, die in diesem Kontext gut überleben und sogar eine gute Performance haben und wachsen, sind Qualitätsunternehmen. Und das zu sehr guten Bewertungen. Man kann in Lateinamerika wirklich viele Qualitätsunternehmen finden, die gut geführt werden, die Kapital klug einsetzen, die auch ein sehr gutes Gewinnwachstum anbieten.
Welche Sektoren sind besonders interessant?
Am interessantesten sind die Finanzdienstleistungen. Damit meine ich nicht nur Banken. Das Banksystem ist konsolidiert und stark und bietet auch ein gutes Wachstum. Die Unternehmen haben in diesen unterschiedlichen Zyklen alles gelernt. Darum ist das eine interessante Industrie. Ein gutes Beispiel ist Itaú Unibanco. Das ist die größte private Bank in Brasilien. Die hat 20% Marktanteil und der ROI (Return on Investment, Anmerkung der Redaktion) liegt auch in sehr unterschiedlichen Makroumgebungen fast immer bei über 20%. Außerdem bietet Itaú ein gutes Wachstum. Es ist nicht die billigste Bank in Lateinamerika, aber ein KGV von 9 und eine Dividende von 7% finde ich für diese Qualität sehr attraktiv.
Haben Sie noch eine Empfehlung?
Der Bereich Consumer ist auch immer interessant in Lateinamerika. Ein Wachstumssektor mit sehr guten Firmen, die Marktanteile gewinnen. Ein gutes Beispiel ist die brasilianische Firma Drogasil. Das ist der größte Pharma-Einzelhändler. Die haben 16% Marktanteil und wachsen jedes Jahr, also mehr Läden, aber auch das Digital Offering machen sie viel besser als die Konkurrenz und gewinnen da auch an Marktanteil. Der ROI ist sehr hoch und wächst auch, ich denke, um wenigstens 20% pro Jahr. Die Firma wird weiter gute Returns zeigen, denn auch in Brasilien wird die Bevölkerung immer älter.
Ein Name, den man auch häufig hört, ist Mercadolibre.
Ja, natürlich. Das Amazon Brasiliens. Das ist die größte Firma in der Region, 120 Mrd. Marketcap. Wenn man sich das KGV anschaut, steht das für Mercadolibre bei 36 für nächstes Jahr. Klingt nicht so billig, aber die Firma wächst auch entsprechend viel schneller als andere Firmen und sie hat auch Wachstumsmöglichkeiten, die keine andere Firma in der Region hat. Eine E-Commerce-Plattform, die Millionen von lateinamerikanischen Kunden und Verkäufern hat. Dazu kommt jetzt noch das Fintech-Business mit Bankgeschäft, mit Krediten für die Verkäufer und für die Kunden, mit Kreditkarten und Investments und Insurance. Das ist ein ganzes Ökosystem, das sie vom E-Commerce auf das Finanzbusiness übertragen. Das ist eine sehr starke Kombination und es ist sehr schwierig für irgendein anderes Unternehmen, das aufzuholen.
Ein Sonderfall in Südamerika ist sicherlich Argentinien und sein kontroverser Präsident Milei. Dort liefen Aktien im vergangenen Jahr gut – als der Rest des Kontinents schwächelte. Sie fallen aber in diesem Jahr zurück. Wie sehen Sie das Land?
Das letzte Jahr war wirklich eine Ausnahme. Der Aktienmarkt hat über 100% zugelegt. Nach so einem starken Jahr ist eine Korrektur nicht wirklich überraschend, sondern gesund. Ich denke, das Land steht an einem historischen Wendepunkt. Die Regierung von Milei versucht wirklich gezielt, das Haushaltsproblem in Argentinien zu lösen. Was sie bis jetzt gemacht hat, ist wirklich sehr gut. An dem Problem haben sich schon andere versucht und es nicht geschafft. Das ist jetzt eine vielleicht einzigartige Chance für Argentinien. Milei ist Ökonom und er versteht, was gemacht werden muss und er ist wirklich entschlossen, das zu tun. Dazu kommt, dass die Mehrheit der Bevölkerung nach mehreren Jahrzehnten Populismus endlich gemerkt hat, dass das nicht funktioniert. Die Regierung muss steuerlich verantwortlich handeln. Alles andere ist nicht nachhaltig. Dazu kommt aktuell, dass die Opposition wirklich sehr schwach ist. Cristina Kirchner wurde vor zwei Wochen verhaftet. Sie hat jetzt Hausarrest und darf ihr ganzes Leben keine öffentlichen Ämter mehr annehmen. Damit ist die wichtigste Persönlichkeit des Peronismus aus dem politischen Leben raus und das ist sehr positiv.
Wie geht es denn jetzt weiter in Argentinien?
Wir haben Ende Oktober die Zwischenwahlen. Die sind wichtig, weil Milei bisher nur sehr wenige Leute im Kongress und darum dauernd Konflikte mit ihm hat. Argentinien ist zwar sehr präsidentialistisch und so lange Milei noch populär ist, kommt er durch. Besser wäre aber, wenn mehr Leute von seiner Partei im Kongress wären. So weit sehen die Umfragen gut aus. Ich mache mir aber ein bisschen Sorgen wegen der Wirtschaft. Milei setzt auf eine starke Währung, um die Inflation runter zu bringen, aber für die Wirtschaft ist das nicht gut. Manche Industrien leiden schon darunter und auch die Arbeitslosigkeit ist wieder ein bisschen gestiegen. Wenn der Aufschwung nicht weitergeht, könnte das die Popularität von Milei beschädigen. Wichtig ist, dass Argentinien wieder einen Zugang zum Markt bekommt. Die Staatsverschuldung ist zwar hoch, aber noch tragbar. Wenn es nach den Zwischenwahlen mit dem Marktzugang klappt, würde das die Wirtschaft deutlich stärken.
Zur Person: Verena Wachnitz ist Portfoliomanagerin bei T. Rowe Price für die Latin America Equity Strategy. Zuvor war die gebürtige Argentinierin als Analystin im Global Equity Research Team für die Sektoren Telekommunikation, Finanzwerte, Rohstoffe und Immobilien in Lateinamerika zuständig.
Das Interview führte Tobias Möllers.
Das Interview führte Tobias Möllers.