IM INTERVIEW: JOHANNES REICH, BANKHAUS METZLER

"Das Umfeld der Aktienmärkte wird anstrengender"

Leiter Equities: Bewertungen keineswegs überstrapaziert - "Bondmärkte spiegeln in vielen Fällen nicht die wahren Risiken wider"

"Das Umfeld der Aktienmärkte wird anstrengender"

Das Marktumfeld hat sich in den vergangenen Jahren durch die Folgen der Finanzkrise und die ultralockere Geldpolitik der Notenbanken stark verändert. Mit dem Tapering der US-Notenbank Fed kommen nun auf die Marktteilnehmer neue Herausforderungen zu. Im Interview der Börsen-Zeitung erläutert Johannes Reich, persönlich haftender Gesellschafter und Leiter Equities des Bankhauses Metzler, wie er die Entwicklung an den Märkten im neuen Jahr einschätzt.- Herr Reich, nach seiner Rekordfahrt hat der Dax einen schwachen Jahresstart hingelegt. Wie wird es 2014 am deutschen Aktienmarkt weitergehen?Das Umfeld der Aktienmärkte wird für die Marktteilnehmer anstrengender. Es gilt für Anleger, mit wesentlich mehr Bedacht vorzugehen. Ich glaube aber nicht, dass sich die Investoren ernsthaft vor einem Einbruch fürchten müssen. Wenn wir uns die großen Themen ansehen, die aktuell oder – soweit absehbar – in Zukunft Relevanz haben, so sind das Bereiche, denen wir bereits jetzt ausgesetzt sind – wie die ultralockere Geldpolitik der Notenbanken und dort vor allem das Tapering der Fed. Das kommt ja nun auf die Märkte zu.- Wie beurteilen Sie die Bewertungslage des Aktienmarktes?Wenn wir uns derzeit den Dax anschauen, so ist die Bewertung keinesfalls überstrapaziert. Es gibt zwar einige Bereiche, zum Beispiel Teile des MDax, in denen die Bewertungen im historischen Vergleich hoch sind. Dennoch können wir nicht sagen, dass der Anstieg übertrieben wäre – insbesondere, wenn man die Bewertung am Aktienmarkt mit der am Rentenmarkt vergleicht. Positiv hat gewirkt, dass die Unternehmen in den vergangenen Jahren meist sehr vorsichtig agiert und sich oft ein gutes Polster angelegt haben.- Hängen die Märkte, wie einige Kritiker meinen, massiv an der Nadel der Fed? Droht durch den Beginn des “Entzugs” ein massiver Einbruch?In dieser Frage spielte bislang sicherlich eine gewisse Irrationalität der Marktteilnehmer eine Rolle, die Angst vor der Angst hatten, also vor einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Davor muss man sich wappnen und sich stets darüber im Klaren sein, wie die Marktteilnehmer denken und wie die Dynamik dieses Denkens ist. Von der strukturellen Seite her ist zunächst zu beachten, dass es große Aggregate mit großem Einfluss gibt. Das sind zunächst die Notenbanken wie Fed, Bank of Japan, EZB und People’s Bank of China mit ihrer Geldpolitik und ihren unkonventionellen Maßnahmen. Von einer scharfen Kehrtwende all dieser Notenbanken redet allerdings niemand. Zudem lässt sich derzeit nicht erkennen, dass die EZB dem Tapering der Fed folgen wird. Dem Markt wird also nicht der große Stecker gezogen. Allerdings muss man sich auf lange Sicht Sorgen machen, weil durch die Notenbankpolitik strukturelle Defekte gefördert werden.- Welche Themen bevorzugen Sie bei der Aktienanlage im neuen Jahr? Welche Regionen sind interessant?Wir denken, dass Emerging Markets durch den Beginn des Tapering latent weiter unter Druck stehen werden. Von zentraler Bedeutung ist in diesem Zusammenhang sicher China und seine Wachstumsstory. In China gibt es Probleme wie Preisblasen, Inflation, eine hohe strukturelle Arbeitslosigkeit. Die Staats- und Parteiführung nimmt sich dieser Probleme an, aber wie in vielen Fällen ist der erste Einfluss der zu verabreichenden Medizin ein latent destabilisierender. Das Wachstum des chinesischen Bruttoinlandsprodukts wird zurückgehen. Das gilt auch für andere asiatische Emerging Markets. Auf den aktuellen Bewertungsniveaus von Aktien und Währungen wird die Region unter Druck kommen.- Wird das Ihrer Einschätzung nach weitere Umschichtungen in die entwickelten Märkte zur Folge haben?Das dürfte in der Tat zu einer Flucht in Qualität und in Sicherheit führen. Davon könnten US-Assets profitieren sowie der US-Dollar. Sekundär könnten auch europäische Länder wie Deutschland, Schweiz und Norwegen profitieren. Es ist wohl mit einer wachsenden Wahrscheinlichkeit zu rechnen, dass der Euro im neuen Jahr gegenüber dem Dollar nachgibt. Mit Blick auf einen schwächeren Euro gilt es, die einzelnen europäischen Märkte differenziert zu betrachten. Vorteile haben Länder mit starken Exporten, strukturellen Vorteilen und ausreichend Konsumnachfrage.- Gibt es eine Bubble an den Bondmärkten?Wenn man die Märkte und ihr Funktionieren über eine lange Zeit betrachtet, dann muss man zu dem Schluss kommen, dass wir in einer großen Blase leben, die künstlich von den Notenbanken aufgeblasen wurde und noch aufgeblasen wird. Die Preise an den Bondmärkten spiegeln in vielen Fällen nicht die wahren Risiken wider. Die Preise sind manipuliert, sie wurden bewusst gedrückt. Wenn man heute zum Beispiel griechische oder französische Staatsanleihen kauft, spiegelt die Rendite, die man erhält, möglicherweise nicht die wirklichen Risiken wider. Man kann aber auch eine andere Haltung vertreten. Danach handelt es sich nicht um eine Blase, weil die Macht der konzertierten Aktionen der Notenbanken so groß ist, dass sich quasi die Welt dahingehend verändert hat, dass die Märkte marginalisiert wurden. Ich würde jedoch die Meinung vertreten, dass es sich um eine Bubble handelt. Und Blasen können bekanntlich platzen. Wir befinden uns quasi in einem ökonomischen Wunderland und wissen nicht, ob wir träumen oder nicht. Es ist sehr schwierig zu prognostizieren, wie es weitergeht, weil die Welt eine Situation wie die aktuelle noch nicht gesehen hat. In den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als wir eine ähnliche experimentelle Situation mit der starken Administrierung von Preisen hatten, wurde das Experiment mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs beendet.- Wird die Staatsschuldenkrise 2014 noch einmal hochkommen?Das glaube ich akut und kurzfristig eher nicht – mit Blick darauf, dass Notenbanken, Staaten und Marktteilnehmer systemisch voneinander abhängig sind und dies inzwischen, zumindest in der gegenwärtigen Konstellation, wissen.- Rechnen Sie mit größeren Verlusten bei Anleihen aus Schwellenländern?Das Tapering könnte einen Kapitalabzug aus den Schwellenländern auslösen. Probleme könnten vor allem Länder haben mit nicht vollkommen frei konvertierbaren Währungen wie China, weil es dort eine hohe Volatilität der Zahlungsströme gibt. Das hat einen verstärkenden Effekt. Dadurch würden die Renditeforderungen der Investoren sehr schnell sehr hoch, könnten aber kaum eingelöst werden. Das spricht dafür, bei Anleihen aus den Emerging Markets ausgesprochen vorsichtig zu sein.- Wie beurteilen Sie die Situation am Markt für Unternehmensanleihen?Insbesondere bei Anleihen kleinerer Unternehmen – vor allem den Mittelstandsbonds – gibt es eindeutig eine Informationsasymmetrie zwischen Angebots- und Nachfrageseite. Bei großen Unternehmen als Emittenten stellt sich für Anleger, die in ihrer Mittelallokation keinen Beschränkungen unterliegen, die Frage, ob nicht Aktien attraktiver sind.—-Das Interview führte Dieter Kuckelkorn.