IM INTERVIEW: GEORGINA HELLYER, COLUMBIA THREADNEEDLE

"Der Druck war schon vor der Yuan-Abwertung da"

Schwellenländer-Fondsmanagerin sieht in zu hohen Realzinsen ein Hauptproblem der Volksrepublik und rechnet deshalb mit einer Lockerung der Geldpolitik

"Der Druck war schon vor der Yuan-Abwertung da"

Die chinesische Notenbank hat noch Spielraum für eine weitere Lockerung der Geldpolitik, ist Georgina Hellyer überzeugt. Die Portfoliomanagerin für Schwellenländeraktien bei Columbia Threadneedle sieht in hohen Realzinsen eines der größten Probleme der chine- sischen Volkswirtschaft. Im Interview der Börsen-Zeitung erläutert sie, warum ihrer Einschätzung nach die Probleme nicht erst mit der kürzlich überraschend erfolgten Yuan-Abwertung begannen.- Frau Hellyer, nach der jüngsten Yuan-Abwertung und der Schwäche der Aktienmärkte fürchten viele Anleger einen Einbruch der chinesischen Konjunktur. Wie steht es um China?China hat offenbar einige schwierige strukturelle Angelegenheiten in seiner Volkswirtschaft zu klären. Vor der Finanzkrise war China exportorientiert und erzielte Wachstum durch die Belieferung der Weltwirtschaft mit allen möglichen Waren. Als das Land von der Finanzkrise getroffen wurde, wechselte es zu einem stärker auf Infrastruktur und Immobilien basierenden Wachstumsmodell, das eine Zeit lang fantastisch mit hohen Wachstumsraten funktionierte. Angesichts des erreichten Schuldenstandes ist China jetzt jedoch an die Grenze dieses Modells gestoßen. Der nächste Schritt führt nun hin zu einer stärker vom Privatkonsum getriebenen Ökonomie. Die Konsequenz daraus ist jedoch ein geringeres Wirtschaftswachstum, denn dieser Schritt lässt sich nicht über Nacht implementieren, und China kann sich nicht länger auf immer weiter wachsende Schuldenstände verlassen, um das Wachstum anzukurbeln. Es ist zudem schwierig, die Rückgänge bei den Infrastruktur- und Immobilieninvestitionen schnell durch Konsumausgaben zu kompensieren.- Erfordert dies eine Veränderung der ökonomischen Verhaltensmuster der Chinesen, die sehr stark auf Sparen fixiert sind?Ja, man benötigt ein Sozialsystem, damit eine konsumgesteuerte Volkswirtschaft funktioniert. Schauen Sie, in Großbritannien geben wir gern all unser Geld aus, weil wir wissen, dass der Staat uns im Notfall unterstützt. Es gibt solch ein soziales Sicherungssystem nicht in China. Das Land leidet derzeit allerdings auch unter dem schwachen globalen Wirtschaftswachstum, da dies die Exporte begrenzt. Um noch einmal zum Thema Abwertung zu kommen: China hat bisher einen sehr abgeschotteten Kapitalmarkt, sicher mit einigen Löchern, aber in einem freien Markt hätte der Yuan längst abgewertet. Der Druck war schon vor der Yuan-Abwertung da, das zeigt der Spread zwischen dem offiziellen Kurs an Onshore- und Offshore-Märkten.- Ist die Abwertung ein Schritt hin zu einer stärkeren Öffnung des Yuan-Handels und einem marktbasierten Wechselkurs?Die Abwertung verfolgt aus unserer Sicht drei große Ziele: Erstens sollte eine schwächere Währung die Exporte fördern. Das würde helfen, denn die Daten zur Wirtschaftsaktivität waren jüngst sehr schwach. Zweitens hat die PBoC zwar genügend Reserven, um im Markt zu intervenieren. Aber es ist auf Dauer sehr teuer, einen künstlichen Wechselkurs aufrechtzuerhalten. Der jüngste Schritt hilft der Notenbank, ihre Reserven zu schonen. Drittens geht es natürlich auch um die Aufnahme des Yuan in den Währungskorb des Internationalen Währungsfonds, auf dessen Basis Sonderziehungsrechte berechnet werden. Es scheint, dass für eine Aufnahme der Mechanismus für das Fixing des Yuan-Kurses verändert werden muss, damit es mit den Regeln des Währungsfonds übereinstimmt.- Abflüsse sind oft die Folge von zwei Arten von Faktoren, internen und externen. Welche Rolle spielt für Kapitalabflüsse aus China die erwartete Zinserhöhung der Federal Reserve für die USA?Erst einmal dürfte der Einfluss eines solchen Schrittes durch die Fed sich in Grenzen halten, weil die Realzinsen in China noch immer hoch sind. Ein Zinserhöhungszyklus der Fed um lediglich 25 oder 50 Basispunkte in diesem Jahr würde dies nicht ändern. Die vermutlich zu hohen Realzinsen sind eines der aktuellen Probleme Chinas, die die Ökonomie belasten. Sie beeinträchtigen die Fähigkeit der Unternehmen, ihre Schulden zu bedienen. Rein theoretisch könnte die Notenbank angesichts der hohen Realzinsen bei Zinssenkungen oder bei einer Lockerung der Reserveanforderungen an die Banken noch weiter gehen, obwohl dies auf Kosten der erhöhten Kapitalabflüsse gehen könnte.- An welchen Börsen investieren Sie in chinesische Aktien?In unseren Schwellenländer-Aktienfonds investieren wir in den Markt für chinesische H-Aktien, sprich Werte, die an der Börse in Hongkong gehandelt werden. Die chinesischen Behörden sind aber dabei, den Festlandmarkt für ausländische Anleger zu öffnen.- Seit längerem gibt es Spekulationen, ob MSCI die an den Börsen Schanghai und Shenzhen gelisteten A-Aktien in seinen Schwellenländer-Index aufnimmt. Wann wird es so weit sein?Zu Jahresbeginn war die Erwartung, dass es eher früher als später geschehen wird, zumal andere Indexanbieter bereits A-Aktien aufgenommen hatten. Angesichts dessen, was kürzlich geschehen ist, dürfte MSCI jedoch behutsam vorgehen. Die ADR wie Alibaba oder Baidu sollten jedoch früher in den MSCI Emerging Markets Index aufgenommen werden, der auch unser Benchmark-Index ist. Wenn Kunden es uns ermöglichen, investieren wir auch außerhalb der Benchmark. In der Vergangenheit haben wir bei der Anlage in einige der chinesischen ADR viel Erfolg gehabt.- Vor der Yuan-Abwertung durch die chinesische Notenbank dominierte der Kurseinbruch an den chinesischen Inlandsbörsen die Diskussion. Ist dieses Thema erledigt?Die Regierung hat auf verschiedenen Wegen im Umfang von rund einer Billion Yuan oder umgerechnet rund 160 Mrd. Dollar am Aktienmarkt interveniert. Der Markt ist nun auf täglicher Basis sehr volatil, aber scheint sich fürs Erste stabilisiert zu haben. Unsere Einschätzung ist allerdings, dass der Markt für A-Aktien ein weiterer Teil der chinesischen Volkswirtschaft ist, der nicht vom Markt bestimmt wird. Die Situation in China erinnert mich ein wenig an einen Eimer mit Löchern, in den die Regierung versucht, ihre Finger zu stecken, um ihn abzudichten. Der Markt für A-Aktien ist ein weiteres solches Loch.- Wann reichen die “Finger” der Regierung nicht mehr aus oder sind zu klein?Die Erfahrung lehrt, dass die Finger der chinesischen Regierung sehr groß sind und dass sie sehr viele hat. Klar ist, dass die chinesische Wirtschaft an Komplexität zunimmt und schwieriger zu managen ist.- Wird das auch ausreichen, um das Land und die Gesellschaft stabil zu halten? Wie dünn das Eis ist, zeigte sich jüngst wieder mit der Chemiekatastrophe von Tianjin.Es scheint, dass Umweltaspekte und ein gesundes Lebensumfeld für viele Chinesen ganz große Bedeutung haben und zu den Dingen zählen, die sie unglücklich mit der Regierung werden lassen. Die Regierung ist sich sehr wohl darüber im Klaren, dass sie sich mit diesen Themen befassen muss. Man sieht das auch an ihrer Politik, die sehr viel stärker als früher Umweltaspekte berücksichtigt. Das fällt zusammen mit dem Wunsch nach einer höherwertigen Industrieproduktion. Die Politiker haben gemerkt, wohin es führt, immer mehr Stahl zu produzieren.- Wie steht es um die soziale Sicherheit im Land?Ein weiteres großes Problem in China ist, dass das Land angesichts des abflauenden Wachstums keine richtige Arbeitslosenunterstützung kennt. Wie wir 2009 gesehen haben, dürfte höchstens zunehmende Arbeitslosigkeit die Behörden in Panik versetzen. Das zeichnet sich jedoch nicht ab, denn China hat nicht mehr die demografische Entwicklung wie einst: Die Zahl der Arbeitskräfte steigt nur noch sehr langsam, die Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter wächst nicht mehr. Deshalb gibt es noch kein Beschäftigungsproblem – und falls es eines geben sollte, würde die Regierung wohl eher Arbeitsstellen in Büros als in Fabriken schaffen. China will die Produktion höherwertiger Produkte fördern – unter anderem auch deshalb, weil viele junge Leute die Universität verlassen. Das Land will elektronische Produkte an Stelle von Stahl herstellen. Die Volksrepublik hat sich zu einer viel komplexeren Volkswirtschaft entwickelt, als wir es von ihr gewohnt waren. Es ist eine von der kommunistischen Partei kontrollierte Volkswirtschaft, in der inzwischen aber sehr viel mehr Marktkräfte wirken.- Zeigen die Diskussionen um die Blase an den chinesischen Aktienmärkten und die Yuan-Abwertung nicht auch, dass China in das Zentrum der globalen Finanzmärkte gerückt ist?Unbedingt. Bis zur Abschwächung des Wachstums in China haben viele Leute nicht ganz realisiert, welche Bedeutung das Land für das gestiegene globale Wachstum hat. Es geht nicht nur um den höheren Anteil Chinas an der Weltwirtschaft, sondern um den zusätzlichen Beitrag des Landes zum Zuwachs. Deshalb hat die jüngste Abschwächung auch so große Bedeutung für die Weltwirtschaft. Kein Investor kann China mehr ignorieren.- Sie investieren ja nicht nur in China, auf das rund ein Fünftel Ihres Fonds entfällt. Haben die jüngsten Entwicklungen dort Einfluss auf die Haltung von Anlegern gegenüber Schwellenländern?Das Sentiment gegenüber Emerging Markets ist aktuell ziemlich negativ – und was in China passiert, hilft auch nicht. Es verstärkt vielmehr die Sorgen der Investoren. Das Problem ist nicht der spektakuläre Einbruch des Marktes für A-Aktien, vielmehr der Rückgang der makroökonomischen Daten. Das Wachstum in China hat sich bereits vor dem Kurseinbruch signifikant verlangsamt.—-Das Interview führte Stefan Schaaf.