Jean-Jacques Barbéris, Amundi

„Der Regulierer sollte einen Staubsauger nehmen“

Der Amundi-Vorstand Jean-Jacques Barbéris ist verantwortlich für Nachhaltigkeit beim französischen Assetmanager. Er ruft nach mehr Regulierung.

„Der Regulierer sollte einen Staubsauger nehmen“

Wolf Brandes.

Herr Barbéris, welche Folgen erwarten Sie nach der UN-Klimakonferenz COP26 für die Finanzbranche? Welche konkreten Auswirkungen gibt es auf die Strategien der Fondsgesellschaften?

Was in Glasgow verhandelt und beschlossen wurde, wird das Leben in der Assetmanagement-Industrie nicht direkt verändern. Was sich jedoch wesentlich auswirken wird, sind die konkreten Maßnahmen zur Umsetzung der Minderungsziele im Anschluss. Insbesondere werden sich alle Maßnahmen zur Erreichung des Ziels, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen und bis 2050 netto null Emissionen zu erreichen, auf die Vermögenspreise auswirken. Anders als in früheren Klimakonferenzen ist in Glasgow die öffentliche Aufmerksamkeit in Bezug auf die Finanzbranche sehr groß gewesen. Von dem Sektor wird mittlerweile viel erwartet. Gleichzeitig kommen aus unserer Branche immer häufiger Bekenntnisse bezüglich Klimaneutralität beispielsweise durch die Net-Zero-Initiativen.

Das klingt nett, wenn wieder eine Gesellschaft beigetreten ist. Aber haben diese Initiativen Konsequenzen für das Management von Portfolios?

Wenn ein Assetmanager der Net-Zero-Initiative beitritt, heißt das, dass er seine Vermögenswerte melden muss, die unter die Anpassungsziele fallen. Ich glaube, viele haben nicht begriffen, welche starken Wirkungen die Net-Zero-Initiativen auf das Assetmanagement haben. Gelegentlich besteht der Eindruck, dass man noch viel Zeit hat und vieles erst in der fernen Zukunft kommt. Doch Net Zero ist sehr nahe.

Neben der Net-Zero-Assetmanager-Initiative gibt es ein Pendant für Asset Owner, also Versicherungen, Investoren und Pensionskassen. Wie passt das zusammen?

Man muss sich das als Dreieck vorstellen, einerseits die Unternehmen, dann die Assetmanager und dann die Asset Owner. Die Beteiligten müssen sich in die gleiche Richtung bewegen, um die Finanzierung der klimaneutralen Wirtschaft sicherzustellen. Natürlich muss man die Sicht der Kunden betrachten und als Assetmanager auch von ihnen fordern, dass die Portfolios angepasst werden. Wir müssen intensiver mit den Kunden arbeiten, um sie davon zu überzeugen, beim Klimathema einzusteigen. Gleichzeitig müssen wir in Aktien und Anleihen investieren und mit den Unternehmen in der Sache interagieren.

Die Klimakonferenz in Paris 2015 war besonders wichtig. Dort gab es auch den Startschuss für Paris-aligned Benchmarks (PAB). Welche Folgen haben PAB für die Branche?

Das Tolle an Paris-aligned Benchmarks ist, dass sie den europäischen Standard gesetzt haben. Eine EU-Regulierung ist ein großer Vorteil und schafft viel Vertrauen. Es gibt im Bereich von ESG und Klima zweifelhaftes Marketing bis hin zu Greenwashing. Beim PAB-Konzept ist das überhaupt nicht der Fall. Aber es ist noch kein Massenprodukt. Trotz eines großen Interesses fehlt der durchschlagende Erfolg. Das ist schon erstaunlich, weil PAB wirklich große Vorteile haben. Momentan sind es wohl nur die fortschrittlichsten Kunden, die hier investieren.

Gibt es auch Strategien, auf denen PAB nicht draufsteht, aber drin ist?

Wir bieten bereits Net-Zero-Strategien an und werden bis 2025 in allen Anlageklassen über unser gesamtes Fondsangebot hinweg Net-Zero-Strategien anbieten. Dann können Kunden immer wählen zwischen konventionellen Fonds und einer Net-Zero-Variante. Es mag noch nicht die Lösung sein, aber es ist ein Teil der Antwort.

In jüngster Zeit dominiert das Thema Klima. Es ist aber nur ein Teil der Nachhaltigkeitsdebatte. Die UN-SDG-Ziele sind weiter gefasst. Wie passt das zusammen?

Das ist kein Widerspruch. Sicher hat das Klima momentan Priorität. Das liegt auch daran, dass das Klimaziel innerhalb der SDG-Ziele sehr konkret ist und sich gut umsetzen lässt. Nimmt man SDG 10, also den Kampf gegen soziale Ungleichheiten, so sind die Wege hier sehr unterschiedlich. Das ist im Assetmanagement sehr schwierig umzusetzen, da gibt es methodische Probleme und keinen Konsens in Bezug auf den Begriff „sozial“. Nicht mal zwischen Deutschland und Frankreich.

Es gibt beim Klima viele Initiativen von Net Zero bis CPD. Ist das hilfreich, das Thema so verzettelt anzugehen?

All diese Initiativen können und sollen Politik unterstützen, ohne noch mehr Regulierung wird es nicht gehen. Es mag nicht üblich sein, dass die Finanzbranche nach Regulierung ruft, aber das Thema ist zu wichtig. Mit diesen Initiativen hilft die Finanzindustrie den Regulatoren, Konzepte zu entwickeln. Ich sehe das auch als ein Bekenntnis der Branche. Letztlich kommt es aber auf die Regulierung an, für sich genommen reichen die Initiativen allein nicht aus.

Beim Thema Regulierung müssen wir über Projekte wie Taxonomie und SFDR sprechen. Ist das alles gut?

Man muss konstatieren, dass sechs Jahre nach Paris das ESG-Thema massiv in die Regulierung eingeflossen ist. Alles, was bisher an ESG-Regulierung auf dem Tisch liegt, ist hilfreich, und wir unterstützen das. Wobei manche Nachschärfung zwischen den Ländern unterschiedlich beurteilt wird, wie beispielsweise die aktuellste Entwicklung im Bereich der Taxonomie und die Frage, wie Atomenergie und Gas behandelt werden sollen. Auch wenn es bei einem Franzosen naheliegt – aus meiner Sicht ist das keine nationale Frage, sondern eine Frage des Energiemixes und dessen, was die Internationale Energieagentur vorträgt. Ich sehe die jüngste Auslegung hinsichtlich Atomkraft als einen Teil der Lösung, auch wenn man das in Deutschland nicht gerne hört. Was die Regulierung noch leisten muss und was mit der Neufassung von Mifid II kommen wird, ist die Investorenperspektive. Das ist ein Stück, das bisher fehlt.

Haben die Kunden heute schon die richtigen Produkte?

Es muss das Ziel sein, über die ganze Palette Net-Zero-Fonds anbieten zu können. Diese Herausforderung sollten alle Assetmanager annehmen. Wir brauchen auch noch mehr Transparenz bei der Frage, was grün klassifiziert ist. Am besten sollte der Regulierer mit einem Staubsauger durch die riesige und oft intransparente Produktvielfalt gehen, um mehr Klarheit zu schaffen.

Brauchen wir steuerliche Anreize für Investments in grüne Fonds?

Retail-Investoren sind in Frankreich natürlich sehr vertraut mit der Förderung und den Steuererleichterungen, insbesondere bei Versicherungen. Das ist eine Art Steuervorteil für die Anbieter und auch für die Kunden. Aber ich bin vorsichtig, ob wir so die öffentlichen Ressourcen richtig einsetzen, wenn wir grünes Sparen fördern. Effizienter wäre es, Green Assets durch Subventionen oder Steuervorteile zu fördern. Das hätte Einfluss auch auf Anlageprodukte, weil wir in diese Unternehmen und Emittenten investieren. Noch gibt es eine Prämie am Markt für Investments mit hohem ESG-Faktor.

Als Assetmanager investieren Sie in Branchen und Unternehmen. Im Mittelpunkt steht oft die Automobilbranche, die mal als Nachzügler und mal als fortschrittlich bezeichnet wird. Wie halten Sie es mit der Branche?

Es geht bei der Bewertung von Sektoren immer um die Frage, ob eine klimafreundliche Technologie verfügbar ist oder nicht. In der Automobilindustrie ist das bei der E-Mobilität mehr und mehr der Fall. In der Zementindustrie ist es dagegen nicht möglich, eine große Menge mit niedrigen Emissionen herzustellen. Darauf muss man sich als Assetmanager einstellen. Positiv ist auch, dass die Autoindustrie in hohem Maße grün investiert. Ich glaube daher, dass, früher als wir denken, Verbrennungsmotoren verschwinden.

Die Klimaaktivisten Fridays for Future fordern ein Ende schon 2025. Was meinen Sie?

Das ist eine sehr starke Aussage und würde zu großen Anstrengungen führen. Aber es ist nicht unsere Aufgabe zu beurteilen, wann Verbrennungsmotoren verboten werden. Das Thema ist komplexer, es kommt nicht nur auf den Treibstoff, sondern auch darauf an, wie und mit welchem Energiemix ein Auto produziert wird. Dann wiederum haben E-Autos in Deutschland andere Emissionen als E-Autos in China. Aus Investorensicht sind die Unternehmen am interessantesten, die am schnellsten eine Umstellung vollziehen.

Wie sieht es mit der Forderung aus, aus Erdgas bis 2030 auszusteigen?

Glücklicherweise müssen nicht wir das entscheiden. Die Verantwortlichkeiten sind klar verteilt. Am Ende ist es nicht die Sache der Finanzbranche, für die Gesellschaft über den Ausstieg aus dem Gas oder das Ende der Kohleförderung zu entscheiden. Wir investieren oder eben nicht. Wir haben an der Stelle kein Mandat, politische Entscheidungen zu treffen. Natürlich sehen wir die Verantwortung als Investoren in Aktien und Anleihen, aber in einer Demokratie fällt diese Entscheidungen die Politik.

Wie sieht es aus mit dem öffentlichen Sektor wie Sparkassen und Förderbanken? Müssen diese beim Klimaschutz vorangehen und ein Vorbild sein?

Der erste Emittent eines Green Bonds war in Europa die Europäische Investitionsbank. Das zeigt, dass diese Institutionen vorangehen. Nach unserer Wahrnehmung ist die Klimaagenda in den öffentlichen Banken durchaus präsent. Richtig ist auch, dass diese Unternehmen eine Vorbildrolle einnehmen sollten. Gleichzeitig sollten sie auch ihre Hebelwirkung als Kreditgeber nutzen, um die Wirtschaft in Richtung von Energieeffizienz und CO2-Ersparnis zu bewegen. Mischfinanzierungen sind ein Teil der Lösung.

Wie denken Sie darüber, Schwellenländerinvestments zu verkaufen wegen der hören Emissionen in diesen Regionen?

Man kann Einzelportfolios mit bestimmten Strategien schnell auf eine Emission von null herunterfahren, indem man in wenige Branchen investiert. Doch damit überlässt man das Problem den anderen am Markt. Das wäre jetzt wirklich zu einfach zu sagen: Ich bin grün, weil ich alles verkaufe, was schmutzig ist. Klingt cool, ist es aber nicht. Es ist daher absolut wichtig, in den Emerging Markets engagiert zu sein, eben weil dort ein großes Volumen an Emissionen existiert. Es ist nun mal eine Herausforderung der Finanzindus­trie, auch in den Schwellenländern darauf hinzuwirken, dass Unternehmen weniger Emissionen emittieren und ESG-Kriterien erfüllen werden. Wir haben in Europa sicherlich die Emissionen reduziert – aber auch deshalb, weil wir Emissionen exportiert haben.

Am Ende müssen Sie Aktien und Anleihen kaufen. Wie ist Ihr Ausblick bezüglich ESG-Investments für das nächste Jahr?

Ganz einfach, die Auswahl wird größer und größer. Bisher sind es 12% der Unternehmen im MSCI World, die sich glaubhaft einem Klimaziel verpflichtet haben. Dieser Anteil wird deutlich steigen. Daher wird es viele neue Kaufgelegenheiten in den nächsten Monaten für ESG-Investoren geben. Wenn wir in fünf Jahren dieses Gespräch führen, wird sich die ESG-Landschaft komplett verändert haben.

Das Interview führte