Im GesprächMarkus Reinwand

„Die Aktienmärkte sehen nicht gut aus und sind wirklich angeschlagen“

Der von Donald Trump angezettelte weltweite Zollstreit sorgt für eine Menge Unruhe an den Aktienmärkten. Helaba-Experte Markus Reinwand erklärt im Gespräch mit der Börsen-Zeitung, wie sich die EU nun aufstellen sollte, warum er für den Dax vorerst vorsichtig bleibt und weshalb er für die amerikanischen Indizes so pessimistisch ist.

„Die Aktienmärkte sehen nicht gut aus und sind wirklich angeschlagen“

Im Gespräch: Markus Reinwand

„Die sehen nicht gut aus und sind wirklich angeschlagen“

Helaba-Stratege sieht große Unsicherheit – Die EU hat viele Hebel im Zollstreit – US-Indizes weiter unter Druck – Zwischenwahlen können Korrektiv sein

Der von Donald Trump angezettelte weltweite Zollstreit sorgt für eine Menge Unruhe an den Aktienmärkten. Helaba-Stratege Markus Reinwand erklärt im Gespräch mit der Börsen-Zeitung, wie sich die EU nun aufstellen sollte, warum er für den Dax vorerst vorsichtig bleibt und weshalb er für die amerikanischen Indizes so pessimistisch ist.

tom Frankfurt
Von Tobias Möllers, Frankfurt

An den Aktienmärkten geht es seit Wochen turbulent zu. Donald Trumps „Liberation Day“ Anfang April war nur den Auftakt eines weltweiten Zollkonflikts mit täglich neuen Wasserstandsmeldungen und einem ständigen Auf und Ab der Märkte. Nach Trumps Ankündigungen, oder eher Androhungen, stürzte der Dax auf bis zu 18.500 Punkte ab. Seitdem hat sich das Börsenbarometer ein gutes Stück weit erholen können und notiert nun wieder deutlich oberhalb von 22.000 Zählern. Was bleibt, sind die hohen Ausschläge in beide Richtungen. Die Märkte sind so volatil wie lange nicht.

Ungewöhnlich an den aktuellen starken Kursausschlägen sei, dass sie durch wirtschaftspolitische Ankündigungen ausgelöst wurden, sagt Markus Reinwand, Aktien-Stratege der Helaba. Ein Punkt, der nicht unbedingt zu erwarten war, hatte Trump sich doch in seiner ersten Präsidentschaft noch für Kursgewinne beim Dow Jones regelmäßig feiern lassen und diese seiner Politik zugerechnet. Gerade die US-Aktienmärkte liegen aber seit dem Start von „Trump zwei“ am Boden und schneiden nicht nur deutlich schlechter als ihre europäischen Pendants ab, sondern liegen seit Jahresbeginn sogar klar im Minus. Eigentlich müsse Trump sich nun auch diese Kursrückgänge zurechnen lassen, erklärt Reinwand, wohl wissend, dass kaum etwas dem US-Präsidenten ferner liegt.

„Es wirkt völlig unplanbar“

Die Hoffnung, dass derart harsche Marktreaktionen Trump ein Stück weit „einbremsen“, hat sich gleichwohl bisher nicht erfüllt. Dabei seien die Märkte „eine Art Seismograf oder ein Fieberthermometer“, das die Reaktionen auf Trumps Politik misst. Doch erst als auch eine Flucht aus US-Anleihen einsetzte, ruderte der US-Präsident ein Stück weit zurück. Dabei sei die Aktienkultur in den USA deutlich weiter ausgeprägt als hierzulande, gibt Reinwand zu bedenken. Zudem hänge in den Vereinigten Staaten die Altersvorsorge der Menschen sehr stark von den Aktienmärkten ab. Marktturbulenzen und Kursabstürze träfen also nicht nur die Vermögenden, sondern auch die kleinen Sparer.

Neben den Marktreaktionen sieht Reinwand aber noch einen weiteren Punkt, der bei den US-Wählern für Unmut sorgen könnte: Durch die Zölle würden Waren, die bisher aus China oder aus Europa in die USA kamen, entweder teurer oder einfach gar nicht mehr geliefert. Das ständige Hin und Her bei Trumps Zollplänen könne dazu führen, dass sich viele Lieferanten letztlich sagen: „Wir schicken erstmal gar nichts los!“ Für Reinwand ist dies fast ein größeres Problem als die Zölle selbst: „Es wirkt alles völlig unplanbar. Ein genaues Muster dahinter ist nicht zu erkennen“, kritisiert Reinwand. Diese Unberechenbarkeit und Willkür führten am Ende zu Investitionszurückhaltungen. Dadurch liefen auch Trumps Pläne, Unternehmen in die USA zu locken und zu einer Reindustrialisierung zu kommen, ins Leere.

Widerstand könnte wachsen

Die Frage, ob sich Trumps Sprunghaftigkeit nun durch seine gesamte zweite Amtszeit zieht, weiß auch Reinwand nicht zu beantworten. Der US-Präsident arbeite eine gewisse Agenda ab, „aber man weiß ja nie, was ihm noch so alles einfällt“, zeigt sich der Helaba-Experte skeptisch. Andererseits könne sich Trumps Strategie mit der Zeit schon abnutzen. Neben den Märkten könne auch die Zwischenwahl in den USA zum Korrektiv für Trumps Politik werden. Falls die US-Wirtschaft in die Rezession rutscht und die Wähler die Schuld dafür der Regierung zuweisen, dürfte der Widerstand gegen Trumps Politik auch in den Reihen der Republikaner wachsen: „Wenn man Misserfolg hat, dann wird es plötzlich ganz einsam“, erklärt Reinwand.

„Die EU hat viele Hebel"

Der EU rät Reinwand mit Blick auf den Zollstreit dann auch, sich nicht zu klein zu machen. Europa sei für die USA ein wichtiger Markt. Viele Europäer hielten Treasuries. „Die EU hat viele weitere Hebel", führt Reinwand aus. Man könne etwa statt über Güter auch über Dienstleistungen diskutieren. Eine mögliche Digitalsteuer wird von mehreren Experten in dem Streit als Druckmittel ins Gespräch gebracht. Anders als im Güterhandel haben die USA hier dank ihrer Big-Tech-Konzerne einen erheblichen Überschuss zu verzeichnen und entsprechend eine Menge zu verlieren. Grundsätzlich ist es Reinwand aber wichtig, darauf hinzuweisen, dass letztendlich beide Seiten etwas davon haben, wenn man relativ frei miteinander handelt: „Beide Seiten profitieren von geringen Handelsschranken“, so der Helaba-Stratege. Reinwand weist zudem darauf hin, dass die EU jetzt auch „kein Musterknabe des Freihandels ist“. Dennoch hofft er auf eine Einigung, denn „Deglobalisierung geht immer zu Lasten des Wachstums“. Ein gutes Zeichen ist für den Marktexperten, dass anders als im Streit zwischen China und den USA von den Auseinandersetzungen und möglichen Verhandlungen zwischen EU und USA öffentlich relativ wenig zu hören ist: „Wenn man so etwas diskret macht, ist es am ehesten möglich, zu gesichtswahrenden Lösungen zu kommen.“ Das gelte für Koalitionsverhandlungen ebenso wie für Verhandlungen zwischen zwei Ländern.

China hat allerdings einen anderen Weg eingeschlagen und begegnet den USA auch öffentlich deutlich konfrontativer. Dennoch mehrten sich zuletzt die Zeichen, dass auch dieser Weg bei Verhandlungen mit Trump zum Erfolg führen kann. Für Reinwand ist das „wirklich erstaunlich“. China habe gegenüber den USA allerdings auch eine ganz andere Position als die EU. Letztere sei durch die Nato und als Schutzmacht stark auf die Amerikaner angewiesen: „Du kannst keine ökonomische Großmacht sein und gleichzeitig ein militärischer Zwerg. Das funktioniert nicht!“, kritisiert der Helaba-Experte. Jetzt werde versucht, in Siebenmeilenstiefeln das aufzuholen, was man jahrzehntelang versäumt hat.

Helaba bleibt vorsichtig

Angesichts der aktuellen Unruhe bleibt die Helaba mit Blick auf die Aktienmärkte trotz des jüngsten Aufwärtstrends vorsichtig. Am Ende des dritten Quartals sieht die Bank den Dax bei 19.000 Punkten, zum Jahresende bei 20.000. Beides liegt deutlich unter dem aktuellen Stand. Reinwand ist kein Freund davon, mit jeder Äußerung von Trump auch die Indexziele direkt wieder anzupassen. Die starken Kursbewegungen nach der von Trump ausgelösten Diskussion um eine Demission von Fed-Chef Powell geben dem Experten hier recht. Erst brachen die US-Börsen ein, nach Trumps Zurückrudern ging es dann schnell wieder aufwärts. Grundsätzlich sieht der Helaba-Mann Europa derzeit im Vorteil, weil die Bewertung europäischer Unternehmen niedriger sei als die ungleich teurere USA: „Daher auch die Reallokation zu Jahresbeginn“, so Reinwand. In den ersten drei Monaten des Jahres hatten europäische Indizes wie der Dax die US-Märkte deutlich outperfomt. Pessimistischer als für den Dax ist Reinwand für die US-Börsen gestimmt: „Die sehen nicht gut aus und sind wirklich angeschlagen.“ Zudem seien die US-Märkte trotz der Korrekturen immer noch relativ hoch bewertet. „Sollten die USA in den Bärenmarkt rutschen, dürfte der S&P 500 mit seinem Gewicht auch unsere Notierungen nach unten drücken“, erklärt er. Deshalb bleibt die Helaba vorerst auch für den Dax bei den recht niedrigen Indexzielen. Sollte sich der Handelsstreit in Luft auflösen, könne man aber auch wieder zu den höheren Prognosen von vorher zurückkehren.

Bei den ständigen Kapriolen rund um Trumps Zollstreit ist derweil ein anderes Thema etwas aus dem Fokus der Anleger gerutscht: das gigantische Investitionspaket der designierten Bundesregierung. Für Reinwand ist es „auf jeden Fall schon mal ein Gegengewicht“. Ob es ausreicht, hänge aber davon ab, wie stark am Ende die Zollkeule zuschlägt. Der Helaba-Stratege blickt bei dem Investitionspaket nicht nur auf die zusätzliche Nachfrage, sondern erwähnt auch den Anreiz der Sonderabschreibungen. Enttäuschend für die Märkte sei dagegen die vorerst aufgeschobene Unternehmenssteuerreform. Vor- wie Nachteile der schwarz-roten Wirtschaftspläne gehen momentan aber in den weltweiten Zollstreitigkeiten unter.