Rosa Sangiorgio

„Greifbare Ziele erreichen“

Rosa Sangiorgio muss als Nachhaltigkeitschefin von Pictet Wealth Management genau auf Kundenwünsche eingehen. Statt standardisierter Verfahren ist bei sehr vermögenden Kunden Individualität gefragt.

„Greifbare Ziele erreichen“

Wolf Brandes.

Frau Sangiorgio, im Wealth Management werden vermögende Personen und Familien betreut. Welche Rolle spielt für die Kunden das Thema Nachhaltigkeit?

Diese beiden Welten sind sehr verschieden. Im Assetmanagement wird das Geld getrennt nach Anlageklassen und Regionen verwaltet, mit spezifischen Kompetenzen der Fondsmanager und eventuell mit einigen „ESG-Kriterien“. Im Wealth Management haben wir hingegen meist das gesamte Vermögen eines Kunden im Blick und verfolgen einen Multi-Asset-Ansatz. Daher müssen wir die Konsistenz der ESG-Kriterien über die verschiedenen Anlageklassen und Anlagetypen hinweg sicherstellen.

Wie kann man Konsistenz der ESG-Ansätze erreichen?

Mit übergreifenden Prinzipien und einer definierten Investmentthese, der wir die einzelnen Anlagen unterordnen. So ist es beispielsweise wichtig, das ESG-Rating insgesamt zu überwachen, aber auch die Unternehmen zu überprüfen, die gegen die Grundsätze des UN Global Compact verstoßen, oder die gesamten Treibhausgasemissionen auf Portfolioebene zu berechnen.

Das klingt nach ESG-Management mit Top-down-Ansatz.

Ja, aber kombiniert mit Bottom-up. Denn natürlich berücksichtigen wir bei der Assetallokation und Konstruktion der Portfolios das Thema Nachhaltigkeit, aber selbstverständlich auch bei der Auswahl der einzelnen Titel.

Im Wealth Management sind die Vermögen sehr hoch, aber die Kunden vermutlich sehr unterschiedlich. Wie wichtig ist die Kundenbeziehung?

Die ist absolut entscheidend und ganz anders als bei anderen Kundengruppen. Institutionelle Investoren haben häufig den Ansatz, durch den Einsatz von ESG-Kriterien vor allem Reputationsrisiken zu vermeiden. Das steht bei wohlhabenden Kunden weniger im Vordergrund, und damit spielt das Thema Ausschlusskriterien eine eher persönliche Rolle. Wealth-Management-Kunden sind nur mäßig daran interessiert, die Risiken ihres Vermögens durch nachhaltige Strategien zu reduzieren, sie wollen konkreter greifbare Ziele erreichen oder nachhaltige Innovationen mit dem Einsatz von ESG-Kriterien fördern. Daher hat die Einführung der Nachhaltigkeitsziele der UN eine große Rolle dabei gespielt, das Interesse der Kunden an diesem Bereich zu steigern. Die SDG geben so etwas wie das übergeordnete Ziel für das nachhaltige Private Wealth Management vor.

Was bedeutet das für die unterschiedlichen Kundengruppen?

Dazu muss man ein wenig die Historie von ESG-Investments betrachten. Noch vor wenigen Jahren waren vor allem Frauen und sogenannte Millennials an nachhaltigen Investments interessiert. Frauen als Investoren haben einen anderen Blickwinkel, sie wollen ihre Anlageziele im Einklang mit Nachhaltigkeitsthemen sehen und vermeiden es daher, in Unternehmen zu investieren, die Regeln verletzen. Dann kamen die jungen Investoren, denen Nachhaltigkeit im Hinblick auf ihre Zukunft wichtig ist. Ihnen geht es um die Lebensqualität morgen und übermorgen. Heute sind alle Arten von Kunden an diesem Bereich interessiert. Die ältere Generation will eher die Risiken in ihren Portfolios reduzieren und setzt deshalb auf ESG. Der Unternehmer möchte vielmehr in innovative Lösungen für die Probleme von heute investieren. In unserem Segment müssen wir für jeden Kunden die passende Lösung finden.

Bei großen Vermögen sind es dann vermutlich eher Männer und in gehobenem Alter, oder?

Nein, das stimmt nicht mehr. Das ist inzwischen sehr heterogen, und gerade in der Erbengeneration sind es oft die Frauen, die sich um die Vermögensverwaltung kümmern. Oder die nachfolgende Generation, die oft viel mehr Interesse an einer nachhaltigen Geldanlage hat.

Sie sprechen davon, dass es im Wealth Management darum geht, bestimmte Ziele zu erreichen. Ist damit das Thema Impact Investment besonders wichtig?

Wir beobachten ein zunehmendes Interesse daran, zu verstehen, ob Investitionen negative oder positive Auswirkungen haben. Die endgültige Investitionsentscheidung hängt jedoch von der Perspektive des jeweiligen Kunden ab, und das spiegelt sich auch in der Vermögensverwaltung. Manche wollen wissen, wie viel Arbeitsplätze sie mit ihrem Portfolio kreieren, und wenn sie das wissen, wollen sie den Einfluss, den sie haben können, erhöhen – eine Wirkung haben. Ein anderer ist zufrieden damit, dass mit seinem Investment Kinderarbeit vermieden wird. Impact Investment kann eine große Rolle spielen, muss es aber nicht.

Ist Greenwashing wichtiger in ihrem Bereich als im traditionellen Assetmanagement?

Auf jeden Fall, das ist ein sehr großes, aber auch schwieriges Thema. Anfangs habe ich oft von „Greenwishing“ geredet, denn in vielen Fällen geht es ja nicht darum, etwas zu verbergen. Die Manager können einfach oft nur deshalb ihre Versprechen nicht einhalten, weil ihnen die Daten fehlen. Doch das war naiv, denn auch solche Fälle verwirren die Kunden, und es geht Vertrauen verloren. Sicher, es gibt keinen Perfektionismus bei ESG, aber der Wunsch und das Ziel allein reichen eben nicht aus. Die echte Herausforderung ist, Greenwashing zu identifizieren. Doch dazu braucht man Daten, man muss Transparenz herstellen, mit den Unternehmen im Dialog sein und deren Dokumente sehr genau lesen. Manches lässt sich sicher mit besseren Standards beheben, und die EU-Kommission ist mit ihren Ansätzen auf dem richtigen Weg.

Das Interview führte

BZ+
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