„US-Staatsanleihen sind das beste Fieberthermometer“
Im Interview: Ingo Mainert
„US-Staatsanleihen sind das beste Fieberthermometer“
CIO Multi Asset Core von AGI: US-Verschuldung ist grenzwertig – Dollar vor graduellem Bedeutungsverlust – Diskussion um Fed-Unabhängigkeit macht Sorge
Ingo Mainert, CIO Multi Asset Core beim Assetmanager Allianz Global Investors (AGI), sieht den Dollar in einer anhaltenden Schwächephase. Einen langsamen, graduellen Bedeutungsverlust des Greenback könne man erwarten. Die US-Staatsverschuldung betrachtet Mainert schon jetzt als grenzwertig. Bei einer zehnjährigen US-Treasury-Rendite von 4,50% bis 5% sieht er im Markt Nervosität hochkommen.
Das Interview führte Kai Johannsen.
Herr Mainert, wie sind Sie derzeit für den Dollar gestimmt im Vergleich zum Euro?
Wir sind vorsichtig – vor allem auf die längere Sicht.
Der US-Handelskrieg ist bekanntlich der Hauptbelastungsfaktor für die US-Devise. Welche Einflussfaktoren sehen Sie noch?
Der Dollar ist nach klassischer Bewertung der Kaufkraftparität sehr teuer. Gemäß OECD liegt sie zum Euro um die 1,50. Das heißt, wir hatten jetzt über sehr lange Zeit eine Überbewertung von reichlichen 25%. Das waren in der Vergangenheit immer eher Extrembereiche. Und diese hohe Bewertung hat vor allem etwas mit dem US-Exzeptionalismus zu tun, der nun stärker hinterfragt wird. Dies zeigt das Risiko einer längerfristigen Abwertung des Dollar zum Euro. Hinzu kommt, dass die USA versuchen, ihr Handels- und Leistungsbilanzdefizit über eine Dollarabwertung in den Griff zu bekommen, ohne gleichzeitig den Reservewährungsstatus zu gefährden. Das ist eine klassische Quadratur des Kreises. Zusätzlich irritiert der Aspekt Governance, also die institutionellen und politischen Rahmenbedingungen, die sich momentan zulasten des Dollars entwickeln. Das ist ein Thema für Direkt- und Finanzinvestitionen, die darunter leiden könnten.
Gibt es weitere Argumente?
Ja, die Weaponization. Der Dollar wird auch als Waffe eingesetzt, was wiederum zum Handelskrieg passt. Und zusätzlich einen neuen amerikanischen Isolationismus. Ähnlich wie im 19. Jahrhundert bei der Monroe-Doktrin konzentrieren sich die Amerikaner stärker auf ihren Kontinent. Eine deutliche Dollar-Belastung resultiert natürlich auch aus der unseligen Diskussion um die Unabhängigkeit der US-Notenbank. Das alles zusammen wird wahrscheinlich zu einer langfristigen Dollarschwäche führen.
Wo erwarten Sie Euro/Dollar zum Jahresende?
Zum Jahresende sehen wir die 1,20 Dollar/Euro. Das ist dann aber eher ein Etappenziel.
Sehen Sie in den kommenden Jahren ein Ende der Vormachtstellung des Dollar als Weltreserve- bzw. Leitwährung?
Die Gefahr besteht – zumindest einen langsamen, graduellen Bedeutungsverlust sollte man erwarten können. Neben dem Hinterfragen des amerikanischen Exzeptionalismus kommt hier ein weiterer Aspekt zum Tragen: Die Vormachtstellung auf der finanziellen Seite hat auch etwas mit einer politischen Dominanz zu tun. Länder mit politischen Vormachtstellungen laufen nach dem Ferguson-Gesetz in dem Moment Gefahr, diese Stellung zu riskieren, wenn die Zinsausgaben des Staates die Verteidigungsausgaben übersteigen. In diesem Budgetjahr 2025 erreichen die Zinsausgaben knapp 5% gemessen am Bruttoinlandsprodukt. Der Transformationsprozess dürfte jedoch sehr langsam verlaufen und führt mit hoher Wahrscheinlichkeit zu keiner zeitnahen Ablösung des Dollars als Leitwährung. Das ist ein Dekaden-Thema.
Sehen Sie bei Ihren Kunden größere Umschichtungen seit den Ankündigungen von Trump am Liberation Day – also heraus aus US-Assets zugunsten von Europa oder anderen Regionen?
Wir müssen da zwei Ebenen differenzieren. Zum einen: Was geschieht in den USA? Können wir zum jetzigen Zeitpunkt aus den USA heraus gewisse Umschichtungen oder – ganz aggressiv formuliert – eine Kapitalflucht identifizieren? Das ist derzeit nicht der Fall. Zum anderen: Was macht unsere europäische Kundschaft? Hier hat es seit der Wiederwahl Trumps in den Portfolios taktische Anpassungen gegeben, und zwar relativ zu den Benchmarks. Positiv betroffene Regionen bei den Anpassungen sind da im Wesentlichen Europa und Asien. Die zweite Bewegung kam dann im April mit dem Liberation Day. Die großen kapitalisierungsgewichteten Indizes sind bekanntermaßen sehr US-lastig. Beim MSCI World sind es um die 70% Anteil. Und man versucht nun strategisch ein Stück weit zu adjustieren, indem man beispielsweise additiv europäische Benchmarks hinzunimmt. Dem MSCI World wird dann etwa ein MSCI Europa in einer bestimmten Gewichtung im Portfolio beigefügt. Ähnlich wie beim Dollar hat hier in Summe ein längerfristiger Trend bei den Diskussionen um die strategischen Vermögensaufteilungen begonnen. Und da wird Amerika dann per Saldo nach unten korrigiert
Sind Staatsanleihen der Eurozone das neue Safe Asset?
Da kommt das Thema Schuldentragfähigkeit ins Spiel – ein globales Phänomen. Das gilt auch für die Eurozone. Perspektivisch stehen Deutschland und andere Länder ebenfalls vor der einen oder anderen Herausforderung in Sachen künftiger Haushalte. Von daher würde ich mit einem ‚Jein‘ antworten. Wir stehen allerdings insgesamt weniger schlecht da als die USA, und insbesondere auch die Governance wird jetzt besser eingestuft.
Der US-Staatsanleihemarkt hat ebenfalls heftig reagiert, sich zuletzt dann aber wieder beruhigt. Wie stufen Sie die Verfassung des US-Treasury-Marktes ein?
Die USA sind dabei, sich in eine Verschuldungssituation hineinzumanövrieren, die perspektivisch als Risikoszenario immer mal wieder auch für einen gewissen Stress sorgen kann. Der negativ ausschlagende US-Rentenmarkt war wohl der entscheidende Faktor, um bei den Zolldiskussionen die 90-Tage-Aufschubfrist zu initiieren. Das hängt damit zusammen, dass er der entscheidende Anker im Weltfinanzmarkt ist. Es gibt ein Bonmot: Wenn Sie jemanden in der US-Administration fragen, als was er wiedergeboren werden möchte, dann lautet die Antwort in der Regel: als Treasury Note. Weil das in der Wahrnehmung der Amerikaner das Sicherste und das Stärkste auf der Welt ist. Der US-Administration ist sehr bewusst, dass sie an dieser Stelle aufpassen müssen. Zum aktuellen Zeitpunkt haben wir das Gefühl, dass der Markt bei einer zehnjährige US-Treasury-Rendite von um die 4,5% fundamental in einem fragilen Gleichgewicht ist. Bei über 5% Rendite ist mit erhöhter Nervosität zu rechnen.
Der Trump-Put wirkt offenkundig nicht am Aktienmarkt, sondern am US-Staatsanleihemarkt. Teilen Sie also die Einschätzung, dass der Trump-Put Wirkung zeigt bei einer zehnjährigen US-Staatsanleiherendite von 4,50%, und zwar im kommenden Jahr?
Im Bereich von 4,5 bis 5% bei den Zehnjährigen lässt sich schon eine gewisse sprunghaft auftretende Nervosität feststellen. Das geht dann in der Regel alles sehr schnell. US-Staatsanleihen sind da dann schon das beste Fieberthermometer. Aber man sollte den Aktienmarkt auch mit einbeziehen. Kommt es zu massiven Aktienmarktkorrekturen wie Ende April einhergehend mit einer erheblichen Verunsicherung, dann führt das natürlich auch unmittelbar zu gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen auf die Konsumentenstimmung über den Vermögenseffekt im stark kapitalgedeckten Rentenversicherungssystem. Bei einem nachhaltigen Einbruch könnte es bestimmt auch politisierte Diskussionen mit Interventionsforderungen geben.
Rechnen Sie mit einer ausufernden US-Staatsverschuldung in den kommenden Monaten bzw. 2026?
Wir würden die Staatsverschuldung in den USA zum jetzigen Zeitpunkt schon als grenzwertig bezeichnen. Hinzu kommen jetzt auch noch die fiskalpolitischen Maßnahmen der Big Beautiful Bill. Das wird uns länger beschäftigen. Und dazu kommt der permanente Druck Richtung Notenbank. Das steht im Zusammenhang damit, dass man zur Finanzierung der Staatsschulden bei ausufernden Zinsausgaben eine Null- oder eine Negativzinspolitik bräuchte. Das heißt: Die Diskussion um die Unabhängigkeit der Notenbank wird bei steigender Staatsverschuldung ein Dauerthema bleiben. Das macht uns schon Sorgen.
Verkraftet der US-Staatsanleihemarkt noch ein zusätzliches Emissionsangebot?
Hier sehen wir eine „ungesunde“ Flexibilisierung: Die Amerikaner versuchen sich immer weiter kurzlaufend zu refinanzieren. Die USA sind schon heute international eher kurz finanziert. Die Restlaufzeit liegt bei 5,8 Jahren. Japan liegt bei 8,6, Deutschland bei 6,9 und Großbritannien bei 14 Jahren. Und die USA verkürzen jetzt weiter. Das ist ein negatives Zeichen, denn es kommt in der Tendenz zu einer immer größeren Abhängigkeit von der Geldpolitik, denn jede Zinserhöhung hätte dann unmittelbar den Durchschlag auf die Verschuldung.
Welche Prognose geben Sie für die Zinspolitik der Fed im zweiten Halbjahr ab?
Die Dissonanzen im jüngsten Abstimmungsverhalten, die ja doch eher selten sind, sind schon bemerkenswert. Es gibt aber den Bias Richtung Zinssenkung. Wir erwarten weiterhin eine Abschwächung der Konjunktur, die Rezessionswahrscheinlichkeiten liegen momentan bei etwa 30%. Und mit einem sich abschwächenden Arbeitsmarkt dürfte die Tür für Zinssenkungen offen sein. Die Fed signalisiert momentan, dass sie bei dem gegenwärtigen Zinsniveau restriktiv ist. Damit öffnet sie dann auch einer gewissen Erwartungshaltung Tür und Tor und setzt sich doch auch selbst unter Druck. Eine Arbeitslosenquote von 4,5% könnte die Fed dann zu einem Zinsschritt nach unten veranlassen. Das impliziert dann auch eine weitere Schwächung der Währung.
Und wie sind Sie für den US-Aktienmarkt gestimmt?
Wir sind aktuell neutral konstruktiv gestimmt. Insgesamt geben wir strategisch Europa aber den Vorzug. In unseren Fünfjahresprojektionen unterstellen wir für die Jahresrenditen bis zu zwei Prozentpunkte mehr für Europa als für die USA. Die fundamental-analytische Renditeerwartung auf lange Sicht ist im Kern eine Funktion der Bewertung. Und die Bewertung macht uns in den USA jetzt einfach noch mehr Schwierigkeiten als in der Vergangenheit. Schon da war der US-Markt teuer. Aber aus gutem Grund: Es gab den US-Exzeptionalismus. Es gab die Annahme von Produktivitätsvorteilen, die sich dann in höheren Gewinnen niederschlagen. Das wird jetzt alles hinterfragt. Wir sehen das Produktivitätsargument aufgrund der institutionellen und politischen Entwicklungen und trotz AI-Fantasie beschädigt. Die US-Bewertung wird ein Diskussionspunkt bleiben.
Welche Branchen könnten von Trumps Handelspolitik noch profitieren?
Positiv sehen wir derzeit die Finanzbranche. Wir erwarten eine steilere Zinskurve mit positiven Abstrahleffekten auf den Bankensektor. Weitere Deregulierungen, auch wenn damit längerfristig das Risiko von Finanzinstabilität steigt, sollten die Branche vorerst unterstützen. Tech-Werte sehen angesichts der aktuellen Gewinnberichterstattung wieder stabil aus. In den USA haben wir nach wie vor eine Large Cap-Outperformance. Wir haben das Gefühl, es könnte hier eine Verbreiterung geben, also dass sich Anleger wieder auch kleinere und mittlere Werte ansehen. Eine Entwicklung, die wir in Europa bereits seit Jahresbeginn beobachten. Auf der Stil-Seite ist eine ausgewogene Positionierung zwischen Value und Growth interessant.
Und von welchen Branchen sollten Anleger lieber die Finger lassen?
Vom Konsum und den konsumnahen Werten. Der private Verbrauch wird perspektivisch von verschiedenen Seiten her unter Druck kommen. Und deshalb sollte man bei diesen Branchen eher vorsichtig sein.