IM INTERVIEW: JAN BOTTERMANN UND FRANK WOHLGEMUTH

"US-Wahljahre sehr häufig gute Aktienjahre"

National-Bank erwartet 2020 Ausweitung der Bewertung - Für europäische Rentenanleger eine ausreichende Internationalisierung notwendig

"US-Wahljahre sehr häufig gute Aktienjahre"

Herr Wohlgemuth, bedeutet die Teileinigung im Handelskonflikt zwischen den USA und China, dass sich die Aktienmärkte im neuen Jahr auf deutlich geringere politische Belastungen freuen dürfen?Wohlgemuth: Es herrscht nunmehr eine gewisse Klarheit bei den beiden politischen Themen, die die Kapitalmärkte 2019 am meisten beschäftigt haben. Der Brexit wird zum 31. Januar 2020 kommen, bis zum Ende des Jahres muss ein umfassendes Handelsabkommen mit der EU ausverhandelt, abgeschlossen und ratifiziert sein. Dies stellt ein sehr ambitioniertes Vorhaben vor dem Hintergrund der Zeitrestriktion dar. Die Teileinigung im Handelsstreit bringt zunächst eine deutliche Beruhigung für die Aktienmärkte. Nichtsdestotrotz bleiben natürlich viele Fragen offen beziehungsweise ungelöst. Welche wären das?Wohlgemuth: Das Gespenst eines Hard Brexit ist noch nicht verschwunden, und die Teileinigung zwischen den USA und China löst den grundlegenden Konflikt zwischen beiden Ländern nicht. Denn eines sollte klar sein: Die chinesische Seite wird auf US-Druck hin niemals bereit sein, ihr Wirtschaftsmodell grundlegend zu ändern oder eine umfassende Revision ihres Wirtschaftsplans 2025 vorzunehmen. Einem sogenannten “Phase Two China Deal” stehen wir daher sehr skeptisch gegenüber. Die geopolitischen Belastungen werden also bleiben, erwartungsgemäß aber mit einer geringeren Wucht als 2019. Auch die US-Präsidentschaftswahl spielt eine bedeutende Rolle. Weitere Belastungen für die US-Wirtschaft im Wahljahr sind nicht erwünscht. Herr Bottermann: Welche Auswirkungen wird die amerikanische Präsidentschaftswahl haben?Bottermann: Die US-Wahl ist mittelfristig die entscheidende Weichenstellung im Handelskonflikt. Die Haltung Chinas wird sich im Kern kaum ändern, wohl ist dies aber in den USA möglich. Im Vorfeld der Wahl dürfte US-Präsident Trump versuchen, innenpolitisch zu punkten und konzilianter zu werden. Wird Trump abgewählt, dann sollte sich die Konfliktintensität spürbar verringern, allein schon weil es dann zu einer stringenteren Verhandlungsführung kommen sollte. Bleibt Trump hingegen im Amt, könnte sich die Erosion der internationalen Handelsordnung fortsetzen. Was bedeutet die Teileinigung für die Weltwirtschaft? Wie sehen Ihre Wachstumserwartungen aus?Bottermann: Zunächst hat der erste Handelsakkord zu einer unmittelbaren und höchst signifikanten Reduktion der Risikowahrnehmung weltweit geführt, auch weil durchaus die Möglichkeit bestanden hätte, dass China sich im Falle der Implementierung weiterer US-Zölle aus den Gesprächen zurückgezogen hätte. Mittelfristig dürften daher nunmehr viele Unternehmen, die aufgrund der hohen Unsicherheit weltweit Investitionen zurückgestellt haben, darauf bauen, dass der Konflikt in einigermaßen rationalen Bahnen verbleibt. In diesem Szenario dürften im nächsten Jahr viele unsicherheitsbedingte Effekte auslaufen: Wir erwarten, dass die globale Expansion im kommenden Jahr mit 3,4 % wieder spürbar dynamischer verläuft und auch in den Folgejahren noch anhält. Worin sehen Sie die wichtigsten Stützen des globalen Wachstums, wo die Schwachstellen?Bottermann: Im Kern profitiert die Weltwirtschaft weiterhin massiv von der Verschiebung des wirtschaftlichen Schwerpunktes in die asiatisch-pazifische Region: Rund um den Globus werden die Volkswirtschaften immer stärker durch die nach wie vor dynamisch wachsenden Regionen Asiens geprägt, so dass der globale Expansionspfad ein Stück weit auf den höheren asiatischen Pfad einschwenkt. Aber auch die Perspektiven für die Industrienationen sind unseres Erachtens wesentlich robuster, als viele Analytiker es befürchten. Vor allem in den USA dürfte der beispiellose Zinsverfall bewirken, dass die ohnehin solide aufgestellten US-Haushalte weiter kräftig konsumieren. Aus der globalen Perspektive bleibt die Eurozone aufgrund der ordnungspolitischen Defizite der Währungsunion hingegen eine Schwachstelle der Weltwirtschaft. Wie wird sich Ihrer Einschätzung nach China im kommenden Jahr entwickeln? Was erwarten Sie für den Yuan?Bottermann: Für das kommende Jahr erwarten wir einen mit 5,9 % etwas abnehmenden Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts, geschuldet auch dem Trend zu niedrigeren Wachstumsraten in China. Für die Schwellen- und Entwicklungsländer der asiatisch-pazifischen Region insgesamt prognostizieren wir weiterhin eine Aufwärtsentwicklung des Bruttoinlandsproduktes um 6 %, was die unverändert hohen Wachstumsreserven der Region belegt. Längerfristig sollte der Yuan seinen strukturellen Aufwärtstrend, zumal in der handelsgewichteten Betrachtung, gegenüber dem US-Dollar und anderen Weltwährungen wieder aufnehmen können. Wir halten daher grundsätzlich an der Aufwertungserwartung fest. Konkret erwarten wir Kurse um 6,9 Yuan pro Dollar beziehungsweise von 7,45 Yuan pro Euro. Werden die Aktienmärkte der Industrieländer ihre Rekordjagd fortsetzen?Wohlgemuth: Wir gehen davon aus. Die grundlegenden positiven Faktoren, die das Sentiment 2019 determiniert haben, besitzen weiter ihre Gültigkeit. Dies ist zuvorderst die weiterhin sehr expansive Notenbankpolitik. Darüber hinaus zeigt sich die globale Wirtschaft anhaltend robust. Eng verknüpft mit der Teileinigung im Handelsstreit ist auch die klare Erwartungshaltung, dass sich die Ergebnisse exportorientierter Unternehmen wieder spürbar verbessern. Darüber hinaus waren US-Wahljahre in der Vergangenheit sehr häufig gute bis sehr gute Aktienjahre, da der Amtsinhaber versucht, durch fiskalpolitische Impulse die Wählerschaft von sich zu überzeugen. Es spricht daher vieles dafür, dass das Jahr 2020 gute Chancen hat, sich in diese Tradition einzureihen. Wie beurteilen Sie die Bewertungslage an den Aktienmärkten?Wohlgemuth: Die Bewertung der Aktienmärkte steht in direkter Abhängigkeit zum Renditeniveau möglicher Alternativanlagen. Rentenanlagen als klassische Alternative zur Investition in Aktien verkörpern gerade diese Alternative nicht mehr. Das zementierte Niedrigzinsniveau müsste folglich zu höheren Bewertungen an den Aktienmärkten führen. Dies sollte aufgrund der relativen Attraktivität zu einer weiteren Rotation in die Aktienanlage führen. Dieser potenzielle Unterstützungsfaktor hat sich trotz der jüngsten Kursanstiege bislang nur sehr eingeschränkt materialisiert. Wir erwarten, dass sich die Bewertung der Aktienmärkte im Anlagejahr 2020 tendenziell ausweitet. Die Bewertung der europäischen Aktienmärkte kann als moderat eingestuft werden, aber auch US-Aktien sind noch nicht als überbewertet anzusehen. Bestehen Ihrer Einschätzung nach Chancen auf eine Outperformance von Schwellenländeraktien?Wohlgemuth: Ja, es sollte aber klar differenziert werden. Vor allem die Perspektiven für die Schwellenländer Asiens bleiben aussichtsreich. Von deren lateinamerikanischen Pendants raten wir aufgrund des zu hohen Risikopotenzials ab. Die Argumente für die asiatisch-pazifische Wachstumsregion sind unverändert: Die Wirtschaftswachstumsraten sind anhaltend deutlich höher als in den Industrieländern. Eine positive demografische Entwicklung sowie der unverändert hohe Nachholbedarf der gesamten Region werden das Wachstum weiter stützen. Die Perspektiven bleiben positiv, zumal die Länder von der Deeskalation des Handelskonfliktes profitieren. Das höhere Gewinnwachstum vieler Unternehmen dieser Region führt zu oftmals attraktiven Bewertungen. Setzen Sie eher auf Large Caps oder auf Small und Mid Caps?Wohlgemuth: Die Frage lässt sich nicht eindeutig beantworten. Large Caps sind oftmals stärker international ausgerichtet und profitieren daher grundsätzlich überproportional von der Teileinigung im Handelsstreit. Small und Mid Caps besetzen häufig lukrative Nischen und erzielen dort überdurchschnittlich hohe Margen, gerade auch im aussichtsreichen Technologiesektor. Kleinere Unternehmen sind aber eher inlandszentriert. Welche Branchen beziehungsweise Anlagethemen halten Sie für besonders interessant?Wohlgemuth: Ein Blick über den Tellerrand hinaus lohnt sich. Gerade das Thema künstliche Intelligenz stellt für uns aufgrund der Vielschichtigkeit der Anwendungsmöglichkeiten und des sich daraus ergebenden Potenzials ein ganz zentrales Zukunftsthema dar. Dieses Thema sollte auch anlageseitig ausreichend Berücksichtigung finden. Darüber hinaus sehen wir das Thema globale Infrastruktur als aussichtsreich an. Durch die 4. industrielle Revolution steigen global die Anforderungen an die jeweiligen Volkswirtschaften und somit auch der Bedarf an Maßnahmen zur Weiterentwicklung der Infrastruktur. Dabei entstehen positive Abstrahlungswirkungen in eine Vielzahl von Branchen, wie etwa Energie, Transport, Gesundheit, Bildung, Sicherheit und Kommunikation. Wie schätzen Sie die geldpolitischen Aussichten ein? Halten Sie weitere Rekordtiefen der Bundesanleiherenditen für möglich?Bottermann: Auch wenn die EZB eine Überprüfung ihrer Strategie angekündigt hat, steht zu erwarten, dass die europäische Geldpolitik quasi auf unbestimmte Zeit in ihrem ultraexpansiven Modus verharren wird. Dies geht unseres Erachtens maßgeblich darauf zurück, dass die Konstruktion der Währungsunion quasi eine eigene Quelle disinflationärer Impulse geschaffen hat: Der langfristige Wachstumstrend ist einfach viel zu schwach, um den gewünschten Preisdruck zu erzeugen. Zwar hat sich die Inflation internationalisiert, so dass der Inflationstrend in Europa auch maßgeblich von globalen Faktoren bestimmt wird. Wenn unsere Analyse aber zutrifft, wird die europäische Geldpolitik relativ zu den anderen Wirtschaftsräumen immer expansiver werden. Im Ergebnis dürfte es bei der unterstellten allmählichen Verringerung der Konfliktintensität mit den Zinsen weltweit zumindest allmählich wieder etwas bergauf gehen, wir gehen aber weiterhin davon aus, dass die Bundrenditen mit -0,2 % auf Jahressicht negativ bleiben. Zu welchen Alternativen zu den niedrig rentierenden Euroraumanleihen sollten Investoren greifen, die in Festverzinslichen investiert bleiben müssen?Bottermann: Für den europäischen Rentenanleger kommt es auch weiterhin darauf an, eine ausreichende Internationalisierung anzustreben. Hintergrund ist vor allem auch das deutlich günstigere Chance-Risiko-Profil auf den außereuropäischen Zinsstrukturkurven, das für die meisten Zinsszenarien wesentlich höhere Erträge verspricht – vor allem das deutlich höhere Zinsniveau in vielen Emerging Markets Asiens sollte in das Kalkül miteinbezogen werden, da es hervorragende Gütemaße generiert. Das Interview führte Christopher Kalbhenn.