Zahlungssystem

Vom Telegrafen zur Kryptowährung

Wie Telegraf bzw. Telekommunikation und Computer in der Vergangenheit könnten digitale Währungen und Blockchain die nächste bahnbrechende Technologie für das globale Zahlungssystem sein.

Vom Telegrafen zur Kryptowährung

Als Antwort auf die russische Invasion in der Ukraine beschlossen die Regierungen der USA und Europas diverse Sanktionen, darunter am 1. März 2022 den Ausschluss russischer Banken aus dem globalen Zahlungsverkehrssystem SWIFT. Diese Inanspruchnahme einer privaten Organisation lenkte die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf einen ansonsten wenig bekannten, aber grundlegenden Aspekt der Globalisierung: nämlich die Art und Weise, wie Gelder über Grenzen hinweg bewegt werden.

Während an den meisten Bürgern vorbeigeht, wie in technischer Hinsicht aus dem Ausland stammende Waren und Dienstleistungen bezahlt werden, überprüfen Regierungen und multilaterale Organisationen bereits seit einiger Zeit Schwachstellen der zugrundeliegenden Prozesse des globalen Wirtschaftssystems. Die Abwicklung grenzüberschreitender Zahlungen zu verbessern, ist seit 2020 eines der Hauptanliegen der G20 und des Financial Stability Boards. Wie hat sich dieses wenig bekannte, aber wichtige System im Laufe der Zeit entwickelt? Warum befindet es sich hauptsächlich in privater Hand und nicht unter öffentlicher Kontrolle? Was sind seine Schwachstellen und wie könnten digitale Währungen das System grundlegend verändern?

Altbewährtes Grundgerüst

Die Herausforderungen, die durch große Entfernungen und Zeitunterschiede entstehen, sind so alt wie der internationale Handel selbst. Seit Jahrhunderten nahmen Händler – zunehmend über Banken – Wechselkredite auf, um die Zeit zu überbrücken, die ihre Waren für den Transport über die Meere oder große Entfernungen an Land benötigten, bevor sie von ihren Kunden in Empfang genommen und bezahlt wurden. Diese Finanzinstrumente verringerten das Problem der zeitlichen und geografischen Distanzen. Die Abwicklung des Handelsgeschäfts erforderte aber letztlich eine Belastung des Kontos bei der Bank des Käufers in dem einen Land und eine Gutschrift bei der Bank des Verkäufers in dem anderen Land. Die eingeschalteten Banken benötigten somit ein Kommunikationssystem wie z.B. die Briefpost, um ihre Konten auszugleichen. Die Geschwindigkeit und Effizienz dieser Korrespondenz wurde durch die Verbreitung der Telegrafie über Land und zunehmend Unterseekabel in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts enorm gesteigert. Die auf dem Meeresgrund verlegten Kabelverbindungen bilden gewissermaßen auch heute noch das Grundgerüst der Telekommunikation, denn der größte Teil des Internetverkehrs läuft über Unterseekabel, die sich an den vor 1914 installierten Netzen orientieren.

Dank dieser Infrastruktur konnte das Bankennetz rasch ausgebaut werden, sodass Händler mit Käufern überall auf der Welt über Banken in London oder anderen regionalen Finanzzentren Geschäfte tätigen konnten. Der Begriff „Korrespondenzbankwesen“, mit dem diese Beziehungen zwischen Banken zum Zwecke der Abrechnung bezeichnet werden, zeigt die zentrale Bedeutung der Kommunikation als Wesensmerkmal. Das Korrespondenzbankensystem bildet mit seinen gespiegelten Kontobelastungen und -gutschriften trotz des drastischen Wandels des Welthandels und des Finanzwesens in den vergangenen 150 Jahren nach wie vor den Rahmen für den weltweiten Zahlungsverkehr. Doch das System kämpft mit Schwierigkeiten.

Eine Studie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) zeigt, dass das Korrespondenzbankensystem in den letzten zehn Jahren geschrumpft ist, wobei die Zahl der bilateralen Bankbeziehungen im SWIFT-Nachrichtendienst in einigen Regionen im Vergleich zu anderen besonders stark zurückging. Das ist wohl auf die Kosten einer Überprüfung der Einhaltung von Geldwäschevorschriften und Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung durch die Geschäftspartner zurückzuführen. Die Entwicklung birgt die Gefahr, dass einige Regionen von den Vorteilen des effizienten grenzüberschreitenden Zahlungsverkehrs ausgeschlossen werden – oder ihre Zahlungen über weniger zuverlässige Systeme leiten müssen.

Ein weiteres Problem ist, dass die Zeitspanne, die für die Abwicklung über Korrespondenzbanken benötigt wird, weiterhin sehr unterschiedlich ausfällt und von zwölf Minuten für Zahlungen in die USA bis zu über 22 Stunden für einige Länder in Nordafrika und Südasien reicht. Versteht man, wie das heutige System entstanden ist, kann man wichtige Erkenntnisse darüber gewinnen, wie es reformiert werden könnte.

Nach dem Telegrafen war die wichtigste Innovation der Computer, der es ermöglichte, ein größeres Transaktionsvolumen über ein komplexeres Netz von Korrespondenzbanken abzuwickeln. Die Umsetzung dieser Möglichkeiten war allerdings eine erhebliche Herausforderung. Anfang der 1970er Jahre führten zwei wichtige privatwirtschaftliche Initiativen die Computertechnologie für grenzüberschreitende Zahlungen ein: das Clearing House Interbank Payments System in New York (CHIPS) – ein Clearing- und Abrechnungssystem für weltweite Dollar-Zahlungen – und die Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunications (SWIFT) in Europa – ein Nachrichtensystem für die Kommunikation von Zahlungen zwischen Banken.

CHIPS entstand aus der Notwendigkeit, die Kapazitäten zu erweitern, da das Volumen internationaler Zahlungen im Zeichen nachlassender Kapitalverkehrskontrollen in den späten 1960er Jahren zunahm. Das bisherige System wurde unter Papier begraben, und es kam zu kostspieligen Fehlern. Es erforderte zu viele gedruckte Schecks, zu viele Angestellte, die diese verarbeiteten, zu viele Boten, die die Schecks zum Clearing House in der Wall Street brachten, wo sie am Ende des Tages verrechnet wurden. Wie die Federal Reserve Bank of New York 1974 feststellte, sank bei einer New Yorker Bank die Berufserfahrung der Mitarbeiter im Zahlungsverkehr innerhalb von zwei Jahren von durchschnittlich 22 Jahren auf durchschnittlich 8 Monate.

Vertrauen als Basis

Die Neuerung CHIPS hingegen ermöglichte es den Banken, während des Tages Eingaben über Computerterminals vorzunehmen, die am Ende des Tages miteinander verrechnet wurden. Jedes Mitglied hatte 30 Mi­nuten Zeit, um ein etwaiges Gesamtdefizit auszugleichen, wobei die endgültige Zahlung über Konten bei der Federal Reserve erfolgte. Das System war zwar ein wichtiger Schritt, die schiere Masse der Transaktionen zu bewältigen, wie auch der sprunghafte Anstieg der über das System abgewickelten Transaktionen zeigt, aber die Risiken der zeitlichen Unterschiede und geografischen Distanzen waren noch nicht verschwunden. Das endgültige Clearing fand in New York Stunden nach Geschäftsschluss der europäischen Banken statt, womit das System im Laufe des Tages Milliarden von Dollar an ungesicherten Krediten zwischen den Banken aufbaute, bis die Zahlungen verrechnet und ausgeglichen waren. Wie die Federal Reserve warnte, „handelt es sich um ein Geschäft, bei dem Vertrauen und Zuversicht von wesentlicher Bedeutung sind“.

Im Juli 1974 brachte der Zusammenbruch der Herstatt-Bank in Deutschland das auf Dollar basierende Zahlungssystem beinahe zum Einsturz und machte das Risiko des Korrespondenzbankwesens offenkundig, weshalb seitdem von „Herstatt-Risiko“ gesprochen wird. Die in die Zahlungsabwicklung einbezogene betrügerische Herstatt-Bank wurde von den deutschen Behörden geschlossen, sodass keine Zahlungen mehr geleistet werden konnten, während ihre New Yorker Korrespondenzbank, die Chase Manhattan Bank, auf ihre Zuflüsse wartete, um Gelder an die Begünstigten in New York auszahlen zu können. Das Vertrauen in das System verschwand und die CHIPS-Zahlungen kamen zum Erliegen. Erst auf Druck der Federal Reserve erklärten sich die Banken bereit, die Zahlungen wieder aufzunehmen, bestanden aber darauf, erst – durchaus mehrere Tage – auf den Eingang von Geldern zu warten, bevor sie an die Kunden auszahlten. Dadurch verlangsamte sich der weltweite Zahlungsverkehr dramatisch.

Mehr Sicherheit gefordert

Mit Ausbruch der Krise schalteten sich die staatlichen Behörden ein, um den Markt wieder in Gang zu bringen und Druck auf diese privatwirtschaftliche Institution auszuüben, sich zu reformieren. Die US-Notenbank forderte die CHIPS-Banken auf, innerhalb der nächsten zehn Jahre zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen einzuführen, darunter eine Mindestgröße der teilnehmenden Banken zu definieren, Patronatserklärungen der Mutterbanken für Tochtergesellschaften einzufordern, die Abwicklung zu beschleunigen und Limits für Innertageskredite zu setzen. Es dauerte zwölf Jahre, bis der Nominalwert des durchschnittlichen Transaktionsvolumens im System wieder das Niveau von 1974 erreichte – und das in einer Zeit rapider Inflation und globalen Handelswachstums. Und es dauerte 28 Jahre, bis der private Sektor die CLS Bank gründete, um das Abwicklungsrisiko für die wichtigsten Währungen zu verringern.

Als CHIPS 1970 auf den Markt kam, planten europäische und amerikanische Banken bereits seit einem Jahr ein standardisiertes Nachrichtensystem zur Unterstützung des Zahlungsverkehrs. Das System, das bei der Übertragung von einem System in ein anderes Zeit sparen, möglichst auch zu weniger Fehlern führen, sowie den weltweiten Zahlungsverkehr effizienter machen sollte, erwies sich aber als problematischer als das Dollar-Zahlungssystem. Schließlich wurde 1973 in Brüssel „SWIFT“ (Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication) gegründet, eine gemeinnützige Genossenschaft der Mitgliedsbanken, die 1977 ihren Betrieb aufnahm. SWIFT bzw. das unter diesem Namen bekannte System entwickelte sich zum dominierenden globalen Nachrichtenstandard. Dabei gab es durchaus Momente, in denen die Zentralbanken in Frage stellten, ob die Initiative dem privaten Sektor überlassen werden sollte. Wie der Fall von CHIPS im Jahr 1974 gezeigt hatte, betrafen Stabilität und Widerstandsfähigkeit des Zahlungssystems das öffentliche Interesse, nicht zuletzt wegen des Risikos, dass öffentliche Mittel zur Rettung der Opfer von Bankenzusammenbrüchen eingesetzt werden müssten. War das globale Zahlungssystem also zu wichtig, als dass man es der Branche selbst überlassen konnte?

Aus den zeitgenössischen Quellen geht hervor, dass in den Jahren 1969/1970 Experten der G10-Zentralbanken versuchten, sich in die Gestaltung von SWIFT einzuschalten und einen Platz in der Leitung zu sichern. Sie wurden jedoch von den Geschäftsbanken, die die Planung leiteten, abgewiesen. Ganz offensichtlich verfügten diese nicht nur über die besseren technischen Kenntnisse hinsichtlich moderner Computersysteme, sondern auch über das notwendige Kapital, um in die erforderliche Technologie zu investieren. Hingegen hinkten die meisten Zentralbanken dieser Entwicklung hinterher. Sie traten schließlich SWIFT als den Geschäftsbanken der Welt gleichgeordnete Mitglieder bei. Das Angebot der BIZ, in ein Computersystem zu investieren, um das Clearing zwischen den Zentralbanken in ihrem neuen Tower Building in Basel zu ermöglichen, nahmen die Mitgliedszentralbanken nicht an.

Zwar hatte SWIFT einen holprigen Start, der mit Computerpannen einherging, mit hohen Kosten für den Beitritt – dem Kauf von Terminals und damit verbundenen Gebühren – sowie mit einem Regelwerk, das zu Beginn für Unsicherheit sorgte. Doch nach dem Start nahmen das Volumen und die Zahl der Mitglieder schnell zu. Die Öffnung für Wertpapierfirmen und nationale Clearingstellen im Jahr 1987 und für Fondsmanager im Jahr 1992 vergrößerte die Ausbreitung des Systems. Größe und Umfang waren und sind wichtig, um weitere Marktanteile zu gewinnen, denn bei Zahlungsverkehrssystemen gilt: Je mehr Nutzer, desto einfacher ist es, Partner unter den Kunden zu finden, und desto nützlicher wird das System.

Weniger aktive Teilnehmer

Mittlerweile schrumpft jedoch die Gesamtzahl der aktiven Teilnehmer. Dies kann gute Gründe haben, wenn nur risikoreiche Banken ausgeschlossen werden oder wenn Fusionen und Übernahmen die Zahl der einzelnen Teilnehmer verringern. Der Rückgang kann jedoch auch Gefahren bergen, wenn nämlich das System in Bezug auf Geschwindigkeit, Kosten und Effizienz nachlässt und damit das Systemrisiko steigt. Die immer wieder auftretenden Reibungen im globalen Zahlungsverkehr haben daher zu neuen Überlegungen geführt, wie das 150 Jahre alte System der Korrespondenzbanken durch digitale Technologien ersetzt werden kann. Wie Telegraf bzw. Telekommunikation und Computer in der Vergangenheit könnten digitale Währungen und Blockchain die nächste bahnbrechende Technologie für das globale Zahlungssystem sein.

Die Aussichten für Kryptowährungen waren im vergangenen Jahr mit dem Wertverfall des Flaggschiffs Bitcoin nicht gerade rosig. Auch die Stabilität der sogenannten „Stable Coins“ wurde in Frage gestellt: Tether fiel im Mai 2022 unter die 1-Dollar-Marke, und Terra/Luna brach im selben Monat vollständig zusammen. Nichtsdestotrotz könnte die Blockchain-Technologie, die mit den Kryptowährungen entstanden ist, ein billigeres und schnelleres Zahlungsvehikel bieten, insbesondere durch sogenannte „Smart Contracts“. Das Medium könnten Stable Coins (die anonym sind und die Überwachung erschweren) oder digitale Zentralbankwährungen (CBDC) sein.

Die Zentralbanken haben seit 2019 eine verwirrende Reihe regionaler Experimente mit verschiedenen Formen von grenzüberschreitenden CBDC unternommen, aber die Hindernisse in Bezug auf Governance, Harmonisierung und Aufsicht sowie die technischen Herausforderungen bestehen weiter. Die BIZ Innovation Hubs haben bei ihren Mitgliedern für diese Bemühungen geworben. Es könnte der Zeitpunkt gekommen sein, dass die öffentliche Hand die Steuerung und Sicherheit des globalen Zahlungsverkehrssystems vom privaten Sektor übernimmt.

Die Geschichte zeigt jedoch, dass der Wandel im globalen Zahlungsverkehr nicht sehr schnell voranschreitet. Die Korrespondenzbankbeziehungen haben in den letzten 150 Jahren zwei Globalisierungswellen, dramatische Informations- und Kommunikationsinnovationen und viele geopolitische Verwerfungen überstanden. Vielleicht ist dem System der Korrespondenzbanken ja doch ein noch längeres Leben beschieden.

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