Berenberg erwartet mittelfristig deutlich höhere Leitzinsen der EZB
Berenberg erwartet mittelfristig höhere Zinsen
EZB dürfte wegen Arbeitsmarkt Anpassungen vornehmen
mpi Frankfurt
Die Diskussionen im EZB-Rat drehen sich derzeit um die Frage, ob es nötig sein wird, den Leitzins unter 2% zu senken. Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank, sieht ohne eine weitere Eskalation im Zollkonflikt keinen Anlass dafür. Mittelfristig muss die EZB den Leitzins seiner Einschätzung nach sogar wieder deutlich anheben. „Die EZB wird gegenlenken müssen, damit der Arbeitsmarkt nicht überhitzt“, sagte er beim volkswirtschaftlichen Ausblick von Berenberg.
Das derzeit abnehmende Lohnwachstum werde aufgrund des demografischen Wandels und des damit verbundenen Arbeitskräftemangels wieder zunehmen. Dies werde zu einem höheren Inflationsdruck führen, den auch etwaige Effizienzgewinne durch Künstliche Intelligenz nicht kompensieren können. Schmieding rechnet daher damit, dass die EZB ab Mitte 2027 zu Zinserhöhungen greift. Mittelfristig werde sich der für die Geldpolitik wichtige Einlagensatz bei 3% einpendeln.
Höherer neutraler Zins
Das wäre ein Niveau, das die EZB, und auch Ökonomen anderer Institute, derzeit als eindeutig restriktiv einstufen. Schmieding geht jedoch davon aus, dass der neutrale Zins, der die Wirtschaft weder stimuliert noch ausbremst, in den kommenden Jahren ansteigt. Ein Einlagensatz von 3% wäre dann seiner Einschätzung noch nicht restriktiv. Der neutrale Zins lässt sich nicht messen, sondern nur schätzen. Die Volkswirte der EZB vermuten, dass er aktuell zwischen 1,75 und 2,25% liegt. Das derzeitige Zinsniveau von 2% liegt also exakt in der Mitte dieser Spanne.
Nicht zuletzt aus diesem Grund sieht der EZB-Rat die Notenbank mit dem jetzigen Einlagensatz „gut positioniert“, um die weitere Entwicklung abzuwarten – etwa in der Geopolitik. Eine Zinspause im Juli gilt inzwischen als so gut wie sicher, auch wenn sich die Notenbank nicht vorab auf einen bestimmten Kurs festlegt.
Vorsichtiger Optimismus
Bundesbankpräsident Joachim Nagel betonte am Montagabend in einer Rede die hohe Unsicherheit beim Inflationsausblick. Letztlich sei nicht nur unklar, wie stark die Effekte der US-Handelspolitik für Europa ausfallen werden. Sondern auch, ob die Zölle unter dem Strich inflationär oder deflationär wirken werden.
Schmieding stuft die Zölle dagegen als eindeutig deflationär für Europa ein. Denn sie bremsen das Wirtschaftswachstum und führen zu einem größeren Warenangebot in der Eurozone. Nicht nur, weil europäische Firmen weniger exportieren. Sondern auch, weil China vermehrt billige Waren statt in die USA nach Europa verkauft. Der Volkswirt ist jedoch optimistisch, dass es im Zollkonflikt zu einer Verhandlungslösung kommen wird.