Prognose der EU-Kommission

Brüssel befeuert EZB-Zinsdebatte

Ungeachtet der anhaltend hohen Inflation dürfte die Euro-Wirtschaft kräftig wachsen, erwartet die EU-Kommission in ihrer Winterprognose. Für gewisses Aufsehen sorgt ihre aktualisierte Inflationsprognose.

Brüssel befeuert EZB-Zinsdebatte

ms/ba Frankfurt

Die EU-Kommission erwartet nach einer rekordhohen Inflation im laufenden Jahr ein deutliches Unterschreiten des EZB-Zielwerts von 2% im nächsten Jahr. Für 2022 schraubte die Behörde ihre Inflationsprognose in der am Donnerstag veröffentlichten Winterprognose deutlich von 2,2% auf 3,5% nach oben – das wäre der höchste Jahreswert seit der Euro-Einführung 1999. Für 2023 erwartet sie dann dagegen nur noch 1,7%. „Das wären natürlich hervorragende Neuigkeiten“, sagte EU-Währungskommissar Paolo Gentiloni in Brüssel. Die Unsicherheit sei aber groß, sagte er.

Mit Blick auf das Wirtschaftswachstum zeigte sich Gentiloni zuversichtlich, auch wenn sich der Gegenwind seit dem Herbst verstärkt habe und die Dynamik kurzfristig abgeflaut sei. Die Grundlagen blieben nach wie vor solide: „Wir haben einen immer besseren Arbeitsmarkt, eine hohe Sparquote bei den Haushalten, immer noch gute Finanzierungsbedingungen und natürlich den Aufbau- und Resilienzfonds“, betonte Gentiloni. Dies werde einen langfristigen Aufwärtstrend begünstigen. Daher hat die EU-Kommission ihre Wachstumsprognose für das laufende Jahr um 0,3 Prozentpunkte auf 4,0% gesenkt und für 2023 auf 2,7% erhöht. In der Herbstprognose stand noch ein Plus von 2,4%. Das Vorkrisenniveau dürften alle Euro-Volkswirtschaften bis Ende dieses Jahres erreichen, erwartet Gentiloni.

Noch werde das Wachstum maßgeblich von der Pandemie beeinflusst, doch schlügen sich die Auswirkungen der Pandemie inzwischen weniger stark in der Wirtschaftstätigkeit nieder. Als möglichen Hemmschuh nannte der EU-Kommissar die weiter geltenden Eindämmungsmaßnahmen und die anhaltende Personalknappheit. Zudem würden die Risiken für die Wachstums- und Inflationsaussichten durch die geopolitischen Spannungen in Osteuropa deutlich verschärft.

Indiz für EZB-Projektionen

Die neuen Prognosen der EU-Kommission und vor allem jene zur Inflationsentwicklung waren dieses Mal mit besonderer Spannung er­wartet worden, nachdem die Europäische Zentralbank (EZB) vergangene Woche einen deutlich besorgteren Ton zur Inflation angeschlagen und die Tür für eine raschere Zinswende im Euroraum geöffnet hatte – abhängig nicht zuletzt von den neuen Projektionen der EZB-Volkswirte Mitte März. Die neuen Kommissionsprognosen gelten vielen als eine Art Vorgeschmack oder Indiz für die neuen EZB-Projektionen.

Die EZB-Volkswirte hatten im Dezember ihre Inflationsvorhersage für 2022 zwar so deutlich wie nie von zuvor 1,7% auf 3,2% angehoben, aber für 2023 und 2024 jeweils nur 1,8% prognostiziert. Nachdem die Inflation im Dezember (5,0%) und vor allem im Januar (5,1%) deutlich höher ausgefallen war als erwartet, attestierte der EZB-Rat aber vergangene Woche bereits „Aufwärtsrisiken“. Werte näher an oder gar bei sowie über 2% in den Jahren 2023 und 2024 würden für eine schnellere Zinswende sprechen. Erst am Mittwoch sagte Bundesbankchef Joachim Nagel, dass eine erste Zinserhöhung Ende 2022 möglich sei (vgl. BZ vom 10. Februar). EZB-Chefvolkswirt Philip Lane dämpfte unterdessen am Donnerstag in einem Blog-Beitrag die Erwartung kräftiger geldpolitischer Schritte, und auch EZB-Vizechef Luis de Guindos betonte, dass eine Zinserhöhung an die in der Forward Guidance genannten Bedingungen – etwa das 2-%-Preisziel – geknüpft sei.

Die neue Prognose der EU-Kommission dämpft nun eher Inflationssorgen – zumindest mittelfristig. „Der Preisdruck wird wahrscheinlich bis zum Sommer hoch bleiben“, sagte Gentiloni. Laut dem EU-Kommissar dürfte mit dem Nachlassen von Lieferengpässen und nur noch moderat steigenden Energiepreisen ab dem Herbst jedoch mit einer Entspannung an der Preisfront zu rechnen sein. Die Kommission sagt den Scheitelpunkt der Teuerungswelle mit einem Wert von 4,8% für das laufende erste Quartal voraus.

Immer mehr Beobachter sind aber skeptisch, ob die Inflation im Jahresverlauf 2022 tatsächlich rasch und deutlich fallen wird. Goldman Sachs etwa erwartet jetzt sogar einen Anstieg der Euro-Inflation auf 6% bis März. Und Jörg Angelé, Senior Economist des Assetmanagers Bantleon, sagt voraus, dass die Inflationsrate in der Eurozone bis zur Jahresmitte über 5,0% liegen dürfte. Im Jahresdurchschnitt rechnet er mit 4,6%.

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