Konjunktur

Chinas Wirtschaft schwächelt

Im Reich der Mitte machen sich Sorgen ums Wachstum breit: Die Industrie liefert, doch ein schwacher Konsum und Probleme am Immobilienmarkt bremsen die Konjunktur ab. Die Zentralbank reagiert.

Chinas Wirtschaft schwächelt

nh Schanghai

Chinas Wirtschaft hat zum Jahresende geschwächelt. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist im vierten Quartal 2021 noch um 4% nach zuvor 4,9% im dritten Quartal gegenüber der Vorjahresperiode an­gestiegen, zeigen Daten des Statistikamts. Damit verzeichnet das Reich der Mitte, vom coronabedingten Absturz der Wirtschaft Anfang 2020 einmal abgesehen, die schwächste Wachstumsrate seit Jahrzehnten. Die Entwicklung kommt keineswegs überraschend, nachdem die weltweit zweitgrößte Volkswirtschaft ab Mitte 2021 durch eine Reihe von Faktoren, darunter Unruhe am Immobilienmarkt, eine kräftige Erzeugerpreishausse, harte Corona-Restriktionsmaßnahmen sowie ein stark zurückliegender Konsum, sukzessive aus dem Tritt gekommen war.

Für das Gesamtjahr 2021 kommt China zwar auf ein Wachstum von 8,1%, das die offizielle Zielvorgabe der Regierung weit übertrifft. Allerdings ist dies in erster Linie statistischen Basiseffekten geschuldet, die das BIP-Wachstum in der ersten Jahreshälfte 2021 um fast 13% in die Höhe schießen ließen. Zwar unterliegt auch der Schwächetrend in der zweiten Jahreshälfte einer gewissen optischen Verzerrung. Dennoch nehmen die Befürchtungen zu, dass die Abschwungphase länger anhalten könnte und eine rasche Stabilisierung im neuen Jahr ausbleibt.

Die eindeutigen Ermüdungserscheinungen in der chinesischen Wirtschaft haben die Pekinger Regierung bereits dazu veranlasst, energischere fiskal- und geldpolitische Stimuli vorzubereiten, die nun ausgerollt werden. Chinas Zentralbank, die ihre Lockerungsgesten bislang auf Mindestreservesatzsenkungen beschränkt hatte, ist nun im direkten Anschluss an die Verkündung des neuen BIP-Ausweises in die Offensive gegangen: Sie hat mit sofortiger Wirkung ihren Zinssatz für einjährige Refinanzierungslinien an Ge­schäftsbanken im Rahmen der sogenannten Medium-Term Loan Facility (MLF) um 10 Basispunkte von 2,95 auf 2,85% gesenkt. Die MLF-Rate ist zwar kein eindeutiger Leitzins für Kreditausreichungen der Banken an ihre Kunden, aber in der geldpolitischen Systematik der People’s Bank of China (PBOC) das signalstärkste Instrument zur Beeinflussung des Zinsklimas in mittleren und kürzeren Laufzeiten.

Dämpfer im Einzelhandel

Analysten werten die neue Zins­geste vor allem als ein Signal zur Festigung des Marktvertrauens, mit der Botschaft, dass die Zentralbank Gewehr bei Fuß steht, um im Falle einer anhaltenden Konjunktureintrübung mit geldpolitischen Maßnahmen dagegenzuhalten. Die Rückführung der MLF-Zinsrate um lediglich 10 Basispunkte dürfte damit mehr der Stimmungsaufhellung am Finanzmarkt dienen, als zu einer tatsächlichen realwirtschaftlichen An­schubwirkung beizutragen. An den Börsen in Schanghai und Shenzhen zogen die Aktienleitindizes in Reaktion auf die Zinsmaßnahme um rund 1% an.

Gegenwärtig leidet die chinesische Konjunktur vor allem unter einer manifesten Erschlaffung der Konsumkräfte, der mit Zinslockerungsmaßnahmen für sich genommen kaum beizukommen ist. Wie die am Montag vom Statistikbüro ebenfalls neu verbreiteten Daten zur Wirtschaftsleistung im Dezember zeigen, hat sich das seit Monaten unter anderem von Corona-Bekämpfungsmaßnahmen und Reisebeschränkungen stark eingetrübte Verbraucherklima weiter verschlechtert. Im Dezember wuchsen die chinesischen Einzelhandelsumsätze lediglich noch um 1,7% nach zuvor 3,9% im November, was als extrem negative Überraschung gilt. Die Experten hatten mit einer Stabilisierung des Wachstums im Retailsektor bei 4% gerechnet.

Als erfreulicher gilt jedoch die Performance im chinesischen Industriesektor. So ist der Output im verarbeitenden Gewerbe mit 4,3% im Dezember etwas besser vorangekommen als erwartet und übertrifft auch den Novemberwert von 3,9%. Der Schwung im Industriesektor ist dabei in erster Linie auf eine weiterhin gute Exportkonjunktur zurückzuführen, nachdem die Ausfuhren von Chinas Unternehmen im Dezember auf Sicht von zwölf Monaten erneut um 30% in die Höhe geschnellt waren. Demgegenüber scheinen aber vor allem kleinere und mittlere Unternehmen unter den stark gestiegenen Erzeugerpreisen und der laufenden Rohstoffverteuerung zu leiden.

Sorgen bereitet zudem der Immobilienmarkt, wo die Wohnungsverkäufe vor allem wegen der Verschuldungsproblematik bei chinesischen Immobilienentwicklern stark nachgelassen haben und auch die Investitionen abbröckeln. Im Gesamtjahr 2021 wuchsen die Immobilieninvestitionen mit für chinesische Verhältnisse sehr geringen 4,4%, während die Infrastrukturinvestitionen praktisch stagnierten. Insgesamt kamen die Anlageinvestitionen im vergangenen Jahr knapp 5% voran. Diese dürften in diesem Jahr durch neue Anleiheprogramme für  Infrastrukturprojekte auf Lokalregierungsebene angeregt werden.

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