Im InterviewBergos-Chefvolkswirt Jörn Quitzau

Der Abgesang auf den Dollar ist verfrüht

Der Chefvolkswirt der Schweizer Privatbank Bergos Jörn Quitzau geht davon aus, dass die US-Währung ihre Bedeutung trotz höherer US-Staatsschulden durch die „Big beautiful Bill“ von US-Präsident Trump beibehält. Er rechnet auch nicht mit einem Investorenstreik.

Der Abgesang auf den Dollar ist verfrüht

Im Interview: Jörn Quitzau

„Der Abgesang auf den Dollar ist verfrüht“

Der Chefvolkswirt der Schweizer Privatbank Bergos geht davon aus, dass die US-Währung ihre Bedeutung beibehält – mangels Alternativen

Die „Big Beautiful Bill“ von US-Präsident Donald Trump wird die Staatsverschuldung und die Zinsen nach oben treiben. Doch die bedeutende Rolle des US-Marktes für die ganze Weltwirtschaft, die Gefahr dramatischer Ansteckungseffekte für andere Volkswirtschaften, dürfte die Anleger davor abschrecken, eine Finanzkrise zu riskieren, meint Bergos-Chefvolkswirt Jörn Quitzau.

Herr Quitzau, die am Freitag verabschiedete „One Big Beautiful Bill“ der Regierung Trump wird die US-Staatsverschuldung weiter in die Höhe treiben. Wie groß ist die Gefahr, dass es zu einem Investorenstreik kommt und damit die Zinsen weiter nach oben getrieben werden?

Das Risiko weiter steigender Anleihezinsen ist erheblich. Wir kommen aus einer Zeit unnatürlich niedriger Zinsen, weil die Zentralbanken mit ihren Anleihekäufen („quantitative easing“) das Zinsniveau über Jahre künstlich gedrückt hatten. Mit der Rückabwicklung der Anleihekäufe („quantitative tightening“) wird die Geldpolitik normalisiert und so normalisiert sich auch das Zinsniveau. Anders ausgedrückt: Die Zinsen steigen auf marktgerechte Niveaus. In diesen Normalisierungsprozess platzt nun die Wirtschaftspolitik der Trump-Regierung mit anhaltend hohen Haushaltsdefiziten. Da ist es wahrscheinlich, dass die US-Regierung noch höhere Zinsen bieten muss, um weiterhin ausreichend Investoren zu finden.

Jörn Quitzau ist seit April 2024 Chefvolkswirt bei der Schweizer Privatbank Bergos. Er arbeitet dort zudem im Investmentkomitee und ist für die Analyse langfristiger wirtschaftlicher Trends zuständig. Zuvor war er in ähnlicher Funktion Chefvolkswirt bei der Hamburger Berenberg Bank, die frühere Muttergesellschaft von Bergos. Foto: Bergos / Jonathan Ducrest
Bergos

Im laufenden Jahr muss der US-Staat Anleihen von rund 38% des BIP im Markt unterbringen. Die Zinslast liegt aktuell bei knapp 10% der Staatsausgaben. Ratingagenturen zeigen sich zunehmend skeptisch und haben den Ausblick auf „negativ“ gestellt. Spielt die US-Regierung hier mit dem Feuer?

Die US-Regierung scheint in der Haushaltspolitik wie auch in anderen Politikbereichen Grenzen auszutesten. Das ist in gewisser Weise tatsächlich ein Spiel mit dem Feuer, weil die Schuldentragfähigkeit eines Landes sehr stark vom Vertrauen der Investoren bzw. Finanzmarktteilnehmer abhängt. Geht das Vertrauen verloren, kann die Stimmung sehr schnell kippen. Wann das Vertrauen verloren geht, lässt sich nicht vorausberechnen. Das macht die Situation mit hohen Staatsschulden so heikel. Die US-Regierung muss deshalb aufpassen, nicht zu überdrehen. Prinzipiell könnten die USA wohl eine Zeit lang auch noch höhere Schulden stemmen, wenn die USA wachstumsstark und (wirtschafts)politisch verlässlich bleiben.

Es ist in der Tat so, dass die USA „too big to fail“ und „too interconnected to fail“ sind.

Viele Ökonomen sagen, die USA seien „too big to fail“ und „too interconnected to fail“. Kurz: Turbulenzen auf dem US-Finanzmarkt würden auch die Weltwirtschaft ins Chaos stürzen. Wie beeinflusst das die Investoren?

Es ist in der Tat so, dass die USA „too big to fail“ und „too interconnected to fail“ sind. Die USA sind ja kein kleines Land, sondern die größte Volkswirtschaft der Welt mit einem riesigen Kapitalmarkt. Von der Griechenland-Krise wissen wir noch, dass das größte Problem in den Ansteckungseffekten lag. Würden die USA ihre Schulden nicht zurückzahlen, es zu einem Default kommt, mag man sich die damit einhergehenden Ansteckungseffekte gar nicht ausmalen. Das heißt im Umkehrschluss aber auch: Investoren könnten sich bei einem Finanzbeben nicht so einfach in sichere Anlagehäfen zurückziehen, weil diese durch die Schockwellen ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen würden. Es liegt also im Interesse aller Beteiligten, es gar nicht erst zu solch einem Worst Case kommen zu lassen. Hundertprozentig verlassen kann man sich darauf gleichwohl nicht.

Inflation ist zumindest für eine gewisse Zeit ein Mittel, um die Schuldenquote zu senken und den Staat somit zu entlasten.

Hohe Verschuldung und steigende Zinsen – nicht zuletzt auch durch die Zollpolitik – treiben zudem die Teuerung in die Höhe. Diese ist zwar für die Bürger tragisch, könnte aber wiederum dazu beitragen, die Staatsverschuldung wieder in den Griff zu bekommen. Ein Kalkül, das auch in Ihrer Beurteilung der US-Bonität mit einbezogen wird?

Inflation ist zumindest für eine gewisse Zeit ein Mittel, um die Schuldenquote zu senken und den Staat somit zu entlasten. Wie die Inflationswelle der letzten Jahre gezeigt hat, sinkt die Staatsschuldenquote dann auch ohne Konsolidierungsanstrengungen der Regierung. Von Anfang 2021 bis Anfang 2023 ging die US-Schuldenquote von 132% auf 118% des BIP zurück. Jetzt ist sie wieder auf über 120% des BIP gestiegen. Man muss dazu sagen, dass Inflation kein seriöses Instrument der Haushaltskonsolidierung ist. Es ist ein Umverteilungsinstrument von den Gläubigern zu den Schuldnern. Auch auf lange Sicht ist es ein gefährliches Instrument, aber erstmal bringt es Entlastung. 

Eine entscheidende Position dürfte der US-Notenbank zukommen als „lender of last resort“. Doch was passiert, wenn die Fed eingreifen muss? Würde das den Markt beruhigen, oder eher noch mehr in Panik versetzen?

Es wäre natürlich ein schlechtes Zeichen, wenn die Notenbank eingreifen müsste. Aber im Notfall würde sie es wohl wieder tun und erneut Staatsanleihen kaufen, ggf. auch im großen Stil. Die Notenbanken sind dank ihrer Geldschöpfungsmöglichkeiten ein sehr glaubwürdiger Akteur, wenn es darum geht, eine Marktpanik zu stoppen. Auch wenn das eine beruhigende Erkenntnis ist, so hat eine solche „fiskalische Dominanz“ der Geldpolitik negative Begleiterscheinungen.

Zunächst einmal sind höhere Inflationsraten und ein schwächerer Dollar zu erwarten.

Was wären die politischen Konsequenzen?

Zunächst einmal wären höhere Inflationsraten und ein schwächerer Dollar zu erwarten. Langfristig wäre zudem ein Vertrauensverlust in die USA ein großes Problem. Denn wer leiht schon gerne einem Land Geld, das die eigenen Probleme durch „Gelddrucken“ löst und damit die eigene Währung entwertet. Deshalb wäre es so wichtig, dass die Trump-Regierung bald den Schalter umlegt und wieder auf verlässliche, wachstumsfreundliche Wirtschaftspolitik einschwenkt.

Es fehlt für den Dollar an ernst zu nehmenden Alternativen.

Und wie gefährlich wird die Lage für den Dollar als Leitwährung? Könnte der Euro davon profitieren? Oder ist der Abgesang auf den Dollar, den viele bereits angestimmt haben, verfrüht?

Ich halte es für wahrscheinlich, dass auch diesmal der Abgesang auf den Dollar als Leitwährung verfrüht kommt. Der Dollar wird sicherlich Anteile verlieren, aber er wird wahrscheinlich dominant bleiben. Der wesentliche Punkt dabei ist: Es fehlt an ernst zu nehmenden Alternativen. Weder der Euro noch der chinesische Renminbi noch Kryptowährungen kommen auf absehbare Zeit infrage, den Dollar als Leitwährung abzulösen. Der europäische Kapitalmarkt ist zu fragmentiert. Andere Länder sind zu klein. China ist groß, aber nicht verlässlich und die Währung nicht frei konvertibel. Ich weiß, es gibt bessere und erfreulichere Argumente, aber der Mangel an Alternativen ist vorerst ein wichtiger Faktor.

Das Interview führte Stephan Lorz.

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