Notenbanken

Der lange Weg ins „neue Normal“

Die US-Notenbank Fed und die Europäische Zentralbank (EZB) haben sich mit allen Mitteln der Corona-Rezession und den Auswirkungen auf den Finanzmarkt entgegengestellt und das geldpolitische Gaspedal voll durchgedrückt. Neben Null- bzw. Negativzinsen...

Der lange Weg ins „neue Normal“

Die US-Notenbank Fed und die Europäische Zentralbank (EZB) haben sich mit allen Mitteln der Corona-Rezession und den Auswirkungen auf den Finanzmarkt entgegengestellt und das geldpolitische Gaspedal voll durchgedrückt. Neben Null- bzw. Negativzinsen haben sie vor allem auf quasi unbegrenzte Wertpapierkäufe (QE) gesetzt. Nun stellt sich zunehmend die Frage, ob, wann und wie die Notenbanken aus dieser Lage wieder herauskommen. Denn die Konjunkturerholung nimmt Fahrt auf und die Inflationssorgen steigen. Die jüngsten Strategieanpassungen haben bestätigt, dass ein Zurück in das alte Normal nicht zu erwarten ist.

Die Fed dürfte ihre Exit-Pläne an der letzten Straffung in den Jahren 2013 bis 2018 orientieren. Sie wählte damals einen sequenziellen Ausstieg, beginnend mit der Re­duzierung und schließlich der Einstellung der Anleihekäufe (Tapering), gefolgt von den ersten Zinsanhebungen und schließlich dem vorsichtigen Abschmelzen des QE-Port­folios und damit der Bilanz. Der Blick auf den zeitlichen Verlauf und die Marktreaktion zeigt, dass Beginn und Ende des Exit-Prozesses die größten Herausforderungen darstellen. Zudem sind ausgedehnte Pausen zwischen den Schritten möglich. Und schließlich kann das Abschmelzen des QE-Portfolios und damit des Liquiditätsüberschusses deutlich früher zum Stillstand kommen als avisiert: Nur etwa ein Drittel des geplanten Betrags baute die Fed tatsächlich ab.

Der Blick in die aktuellen Bilanzen zeigt, dass die Herausforderungen für den Ausstieg im Vergleich zu 2013 deutlich gestiegen sind. Zum einen liegen die Bilanzen auf sehr viel höheren Niveaus, was eine stärkere Sensitivität der Konjunktur und des Finanzmarkts auf einen Exit befürchten lässt. Zum anderen hat vor allem die EZB ihren Instrumentenkasten erheblich ausgebaut, was den Exit-Pfad komplizierter erscheinen lässt.

Politische Exit-Risiken

Für die EZB stellt sich zunächst die Frage, ob die von der Fed skizzierte Sequenz der Exit-Schritte der optimale Weg ist. Die Alternative eines vorzeitigen Abschmelzens der QE-Portfolios vor Beginn der Zinsnormalisierung scheint aber wenig realistisch. Denn die Staatsfinanzen in Europa bleiben auf absehbare Zeit stark von den Kaufprogrammen abhängig. Wie 2020 kauft die EZB 2021 das gesamte Netto-Emissionsvolumen der Euro-Staatsanleihen und etwa 75% der Bruttoemissionen. Zum Vergleich: Die Fed kommt auf etwa 30%.

Ein Exit à la Fed birgt für die EZB zusätzliche Herausforderungen, und an Erfahrungen mangelt es. So trifft der Beginn einer Zinsnormalisierung bei hohen QE-Portfolios die Bilanzen der Notenbanken auf beiden Seiten. Auf der Aktivseite impliziert ein durch eine Zinsanhebung ausgelöster Renditeanstieg Kursverluste auf die Wertpapierbestände. Auf der Passivseite belasten notwendige Zinszahlungen auf die Überschusseinlagen der Banken. Dies ist relevant, da die nationalen Notenbanken im Eurosystem die Käufe der Staatsanleihen primär auf die eigenen Bücher und damit eigenes Risiko getätigt haben und die Überschussliquidität regional sehr ungleich verteilt ist. Deshalb impliziert der Exit unterschiedliche Belastungen und damit fiskalische Transfers zwischen den Euro-Ländern, voraussichtlich zu Lasten der Peripherie. Zwar haben diese Länder von den Anleihekäufen am stärksten profitiert. Die EZB wird aber versuchen, übermäßige einseitige Belastungen und dadurch entstehende Risiken durch einen langsamen Exit zu vermeiden.

Getrieben auch von erhöhten Inflationsrisiken dürfte die Fed in den kommenden Monaten den Tapering-Prozess beginnen und ihre QE-Käufe im Jahresverlauf 2022 einstellen. Erste Zinsschritte sind 2023 realistisch, gefolgt vom Beginn des QE-Abbaus ab 2024. Ob die Leitzinsen das Hoch des letzten Zyklus von 2,5% wieder erreichen, ist zumindest fraglich. Darüber dürfte die Luft sehr dünn werden. Hierfür sprechen die gestiegene Verschuldung sowie die hohe Abhängigkeit des Finanzmarktes von günstigen Finanzierungskonditionen. Sehr wahrscheinlich ist, dass die Bilanzsumme und damit die Liquidität im Finanzsystem nicht auf alte Niveaus sinken wird.

Gegeben die skizzierten Herausforderungen und die jüngsten Strategieanpassungen, dürfte sich die EZB noch deutlich vorsichtiger auf ihrem Exit-Pfad bewegen. Dabei dürfte sie in den kommenden Monaten zunächst das Notfallkaufprogramm PEPP reduzieren und könnte es im Jahresverlauf 2022 einstellen oder in das „reguläre“ Kaufprogramm APP überführen. Mit einem Ende der „regulären“ QE-Käu­fe ist erst kurz vor der ersten Zinsanhebung und damit 2024 zu rechnen. Das Abschmelzen der QE-Port­folios dürfte nicht vor 2025 einsetzen. Angesichts des langen und risikoreichen Exit-Weges ist es durchaus möglich, dass die EZB in ihrem Straffungszyklus die Leitzinsen kaum oder gar nicht anheben wird und den aktiven Bilanzabbau nicht erreicht. Denn die zuvor anstehende Rücknahme weiterer unkonventioneller Maßnahmen, zu denen auch die umfangreichen Liquiditätstender (TLTROs) gehören, impliziert bereits eine erhebliche Straffung, die deutlich stärker als bei der Fed ausfällt. Dies zeigt auch ein Vergleich der Schattenzinsen als Maß des derzeitigen Expansionsgrads der Geldpolitik.

Die Welt nach QE

Von großer Bedeutung für Wirtschaft und Finanzmärkte ist zudem die Frage, wie das „neue Normal“ der Geldpolitik nach dem Exit aussehen wird. Die Fed kommt im Zuge einer Bilanzabschmelzung ihrem traditionellen geldpolitischen Mo­dus automatisch näher. Dagegen basierte die Geldpolitik der EZB vor der Finanzkrise primär auf einer Liquiditätssteuerung über zeitlich befristete Refinanzierungsgeschäfte zu festen Leitzinsen. Größere Anleihebestände in der Bilanz waren nicht vorgesehen. Wie wird Geldpolitik in „normalen“ Zeiten in Europa somit künftig gesteuert? Es scheint wahrscheinlich, dass die Liquidität deutlich erhöht bleiben wird. Auch unter günstigen Rahmenbedingungen dürfte der Bilanzabbau in einem Korridor zwischen zwei Drittel und der Hälfte des aktuellen Niveaus zum Ende kommen. Für diesen Abbau ist ein Zeitraum von zehn Jahren realistisch. Der Weg in die neue Welt ist also sehr lang, und Unfälle sind zu erwarten. Anders als von vielen unterstellt wird sich die EZB wohl nicht komplett von ihren QE-Portfolios trennen. Bei dem skizzierten Exit dürfte die EZB strukturell ein Wertpapierportfolio von 2000 bis 3000 Mrd. Euro in der Bilanz halten (müssen). Dies hat große Bedeutung. Denn damit würde die EZB – über die Reinvestitionen von Fälligkeiten – dauerhaft als dominanter Käufer von Wertpapieren am Markt auftreten und sich damit auch in „normalen“ Zeiten dem Stil der Fed annähern. Die Steuerung der Leitzinsen würde sich also fundamental verändern.

Noch wichtiger ist aber die Frage, welche Art von Wertpapieren die EZB dann in ihrer Bilanz halten wird. Anders als aktuell dürften das primär bonitätsstarke öffentliche Anleihen sein. Und hier gibt es eine Reihe von Optionen, die erheblichen Einfluss auf die Preise der jeweiligen Anleihen haben. Gemeinsame EU- oder Euro-Bonds wären aus geldpolitischer Sicht eine leicht zu steuernde Option. Die Exit-Frage wirft also zugleich die fundamentale Frage nach der Zukunft der Währungsunion auf.