Firmenpleiten in Deutschland

Ein Drittel mehr Insolvenzen im Juli

Wegen der mauen Konjunktur, steigenden Kreditkosten und anhaltend hohen Energiekosten geben immer mehr Unternehmen auf: Im Juli stieg die Zahl der Firmenpleiten um mehr als ein Drittel im Jahresvergleich.

Ein Drittel mehr Insolvenzen im Juli

Ein Drittel mehr Insolvenzen im Juli

Fallzahl in Deutschland aber weiter unter Vorkrisenniveau – Scope erwartet Höhepunkt in Europa ab Mitte 2024

ba Frankfurt

Striktere Finanzierungsbedingungen, anhaltend hohe Energiekosten und die schwächelnde Konjunktur haben die Zahl der Firmenpleiten im Juli um ein Drittel im Jahresvergleich steigen lassen. Der Frühindikator des Statistischen Bundesamts (Destatis) lässt ebenso wie der IWH-Insolvenztrend auf einen fortgesetzten Aufwärtstrend der Unternehmensinsolvenzen schließen. Die lange befürchtete Pleitewelle ist dies aber weiter nicht, beruhigen Experten. Zudem stellen sie fest, dass viele Unternehmenskrisen langfristige Ursachen haben, auch wenn sich in bestimmten Bereichen und Branchen konjunkturelle Effekte durchsetzen. Die Ratingagentur Scope erwartet, dass in Europa insgesamt frühestens ab der Jahresmitte 2024 ein Plateau bei den Insolvenzen erreicht wird.

Forderungen legen kräftig zu

Im Juli meldeten die deutschen Amtsgerichte einen Anstieg der beantragten Unternehmensinsolvenzen um 37,4% im Jahresvergleich auf 1.586. Das sind aber immer noch weniger als die 1.644 Insolvenzen aus dem Juli 2019, also vor Beginn der Coronakrise. Die Forderungen der Gläubiger gaben die Amtsgerichte mit rund 3,1 Mrd. Euro an. Im vergangenen Juli waren es rund 0,8 Mrd. Euro. Die Verbraucherinsolvenzen fielen mit 5.668 um 6,9% höher als im Vorjahresmonat aus. Die Zahl der beantragten Regelinsolvenzen – die auf das künftige Insolvenzgeschehen schließen lassen, da sie in vielen Fällen eine Vorlaufzeit von annähernd drei Monaten haben – legte im September um 19,5% im Jahresvergleich zu. Im August waren es 13,8%.

Energie so gut wie außer Gefahr

Bezogen auf 10.000 Unternehmen gab es im Juli insgesamt 4,7 Firmenpleiten. Mit Blick auf die Wirtschaftsbereiche gab es im Vergleich zum Juni keine Veränderung: Mit je 8 Fällen je 10.000 Unternehmen zeigten die Wirtschaftsabschnitte Verkehr und Lagerei sowie die sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen, zu denen etwa Zeitarbeitsfirmen gehören, die größte Insolvenzhäufigkeit. Dann folgte das Baugewerbe mit 7,1 Fällen. Die geringste Insolvenzhäufigkeit mit 0,6 Insolvenzen je 10.000 Unternehmen verzeichnete die Energieversorgung.

VID sieht langfristige Ursachen als Auslöser

Der Berufsverband der Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands (VID) sieht immer noch den Krankenhaus- und Pflegesektor, die Baubranche und den Einzelhandel als besonders betroffen an. „Diese Entwicklung hat nichts mehr mit dem Wegfall der staatlichen Stützungsmaßnahmen der Coronajahre oder den angestiegenen Energiepreisen zu tun“, erklärte Insolvenzverwalter und Verbandsvorsitzender Christoph Niering. Diese Probleme hätten auf das aktuelle Insolvenzgeschehen nur noch eine geringe Auswirkung. „Als Insolvenzauslöser treten jetzt wieder langfristig angelegte Ursachen wie die existenzgefährdenden Veränderungen von etablierten Geschäftsmodellen in den Vordergrund.“

Scope stellt Risiken in den Vordergrund

Zu einer etwas anderen Einschätzung – allerdings mit Blick auf Europa insgesamt – kommt die Ratingagentur Scope: Steigende Ausfallraten seien mehr als nur eine Normalisierung des Kreditumfelds nach der Pandemie. „Sie spiegeln deutlich gestiegene Risiken wider, da höhere und länger anhaltende Zinssätze den Druck auf die Unternehmensbilanzen in vielen Sektoren verschärfen“, schreibt Sebastian Zank, stellvertretender Leiter des Bereichs Unternehmensratings bei Scope, in einer Studie. Unter Druck würden vor allem kleine Firmen in den Sektoren geraten, die am anfälligsten für steigende Kosten und verschärfte Finanzierungsbedingungen sind. Die Ausfallraten würden wohl erst im zweiten Halbjahr 2024 oder der ersten Jahreshälfte 2025 ein Plateau erreichen. Im ersten Halbjahr 2023 lag die Insolvenzzahl so hoch wie nie seit Beginn der Datenerhebung 2015. Es dürfte auch zu zahlreichen Ratingherabstufungen kommen. In den ersten neun Monaten 2023 verdoppelten sie sich fast auf 25% zum Jahresdurchschnitt 2021 und 2022.

Das Insolvenzgeschehen verlief in Europa uneinheitlich: Während im Vereinigten Königreich, in Spanien, Schweden, Finnland, der Schweiz und Ungarn die Ausfallzahlen im zweiten Quartal bereits weit über dem Vor-Corona-Niveau lagen, waren die Fallzahlen in Deutschland, den Niederlanden, Italien und Norwegen niedriger als im Vorkrisenjahr 2019. Besonders hoch waren laut Scope die Wachstumsraten im ersten Halbjahr 2023 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum in Frankreich, Spanien, Schweden, Norwegen und den Niederlanden mit Zuwächsen zwischen 25% und 50%. Spitzenreiter war aber Ungarn mit einer geschätzten Zuwachsrate von mehr als 100% im Jahresvergleich.

Refinanzierungen in Rekordhöhe

Die europäischen Unternehmen haben der Scope-Studie zufolge in den nächsten drei Jahren Schulden in Rekordhöhe zu refinanzieren: Allein 2024 müssten die Unternehmen – wie bereits im laufenden Jahr – zusätzliche Zinszahlungen in Höhe von rund 8,2 Mrd. Euro für die Refinanzierung fällig werdender Kapitalmarktschulden leisten. Die zusätzlichen Zinskosten wegen dauerhaft höherer Kreditzinsen werden in den Jahren 2025 und 2026 wieder ansteigen, wenn noch mehr Unternehmensschulden zur Refinanzierung anstehen, betonte Scope.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.