Anstieg von 11,5%

Erneut mehr Insolvenzen

Immer mehr Unternehmen in Deutschland werden insolvent. Experten sind uneins in der Bewertung: Normalisierung oder Pleitewelle?

Erneut mehr Insolvenzen

Erneut mehr Firmenpleiten

DIHK: Insolvenzwelle schwillt an – Berufsverband mahnt zur differenzierten Betrachtung

ba Frankfurt

In Deutschland rutschen immer mehr Firmen in die Pleite – aber nicht nur wegen der Konjunkturschwäche. Die Anträge auf Regelinsolvenzen stiegen laut dem Statistischen Bundesamt (Destatis) im Juni um 2,4% im Jahresvergleich. Nachdem die Anträge erst nach der ersten Entscheidung des Insolvenzgerichts in die Statistik einfließen, ergibt sich eine Verzögerung von annähernd drei Monaten zum tatsächlichen Insolvenzantrag.

Weniger Großpleiten

Hier liegen daher erste Zahlen für April vor: Die Amtsgerichte meldeten einen Anstieg um 11,5% zum Vorjahr auf 2.125. Daraus resultieren Forderungen der Gläubiger von rund 2,5 Mrd. Euro. Im April des Vorjahres hatten diese Forderungen bei rund 11,4 Mrd. Euro gelegen. „Dieser Rückgang der Forderungen bei gleichzeitigem Anstieg der Zahl der Unternehmensinsolvenzen ist darauf zurückzuführen, dass im April 2024 mehr wirtschaftlich bedeutende Unternehmen Insolvenz beantragt hatten als im April 2025“, erklärten die Statistiker. Im April gab es auch mehr Verbraucherinsolvenzen – diese legten um 0,8% zum Vorjahr auf 6.328 zu.

„Insolvenzwelle schwillt weiter an“

„Die Welle der Unternehmensinsolvenzen schwillt weiter an“, sagt DIHK-Chefanalyst Volker Treier mit Blick auf den höchsten April-Wert seit elf Jahren. Dieser „signalisiert klar, dass Deutschland nach wie vor große Standortprobleme hat“. Er mahnt daher eine schnelle Umsetzung des Investitionssofortprogramms sowie der mehrfach zugesagten Stromsteuersenkung für die gesamte Bandbreite der Wirtschaft an. Der Verband der Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands (VID) gibt sich gelassener: Für eine Insolvenzwelle gebe es derzeit keine ausreichenden Hinweise. Die aktuelle Entwicklung müsse differenzierter betrachtet werden. „Zwar liegen die aktuellen Insolvenzzahlen über denen der Jahre 2020 bis 2022, sie bleiben jedoch weiter deutlich unter den Niveaus der Jahre 2004 sowie 2008/2009 mit weit über 30.000 Insolvenzen“, sagt VID-Vorsitzender Christoph Niering. Das Insolvenzgeschehen sei aber ein nachlaufender Indikator. Wirtschaftliche Erholungen und politische Maßnahmen wie Konjunkturpakete oder steuerliche Erleichterungen würden ihre Wirkung zwar erst verzögert entfalten. „Bereits deren Ankündigung kann sich jedoch stabilisierend auf das Vertrauen in die Wirtschaft auswirken“, so Niering.

„Nachholeffekt“

Auch das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) rückt die Destatis-Zahlen zurecht: „Über viele Jahre hinweg haben extrem niedrige Zinsen Insolvenzen verhindert“, sagte Steffen Müller, Leiter der Insolvenzforschung am IWH. „Und während der Pandemie sind durch staatliche Stützungsmaßnahmen auch Unternehmen am Markt geblieben, die bereits zuvor schwach aufgestellt waren.“ Der Zinsanstieg und der Wegfall dieser Hilfen hätten ab Mitte 2022 zu einem Nachholeffekt bei den Insolvenzen geführt. Die steigenden Fallzahlen wertet er als schmerzhafte, aber notwendige Marktbereinigungen und Strukturanpassungen, die Raum für zukunftsfähige Unternehmen schaffen könnten.

Gerade im ökonomischen Umbruch seien Insolvenzen keine Seltenheit, sondern im Gegenteil erforderlich, ergänzt der VID. Branchen wie der Automotive-Sektor oder der Einzelhandel stünden oft vor strukturellen Herausforderungen der Transformation oder kämpften schlichtweg mit überholten Geschäftsmodellen. Es sei aber unerlässlich, „dass einzelne Branchen Veränderungen durchlaufen, damit der Standort Deutschland auch in Zukunft erfolgreich bleibt“. Gefragt seien junge Unternehmen mit innovativen Geschäftsideen.

Eine flächendeckende Krise sieht der VID trotz der vermehrten Insolvenzen in einzelnen Branchen nicht. Besonders viele Pleiten gab es erneut in den Branchen Verkehr und Lagerei, Bau- und Gastgewerbe. Hier melden die Statistiker 11,3 bzw. je 9,8 Fälle je 10.000 Unternehmen. Insgesamt gab es bezogen auf 10.000 Unternehmen 6,1 Insolvenzen.

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