LEITARTIKEL

Im Patt gefangen

Als ob die Schuldenkrise in Italien nicht schon groß genug wäre - mit einem Berg an Verbindlichkeiten von 2 023 Mrd. Euro zu Jahresbeginn wurde das bisherige Rekordhoch sogar noch übertroffen. Und doch steht derzeit nicht der vom noch amtierenden...

Im Patt gefangen

Als ob die Schuldenkrise in Italien nicht schon groß genug wäre – mit einem Berg an Verbindlichkeiten von 2 023 Mrd. Euro zu Jahresbeginn wurde das bisherige Rekordhoch sogar noch übertroffen. Und doch steht derzeit nicht der vom noch amtierenden Regierungschef Mario Monti eingeleitete Schulden- und Defizitabbau im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion. Vielmehr stellt die Politkrise auf der Apenninhalbinsel das Schulden- und sogar das Zypern-Problem in den Schatten. Italien hat in den letzten 67 Jahren 61 Regierungen verschlissen. Nun droht die Gefahr, dass das 62. Kabinett noch nicht einmal vereidigt werden kann.Die wirtschaftlichen Folgen der nach der Parlamentswahl eingetretenen Patt-Situation sind noch nicht absehbar. Als erste hat die Ratingagentur Fitch reagiert und Italiens Bonität weiter abgestuft. Moody’s droht mit einem ähnlichen Schritt.Italien hat knapp vier Wochen nach der Wahl noch immer keine Regierung. Die Aussichten auf politische Stabilität sind gering. Staatspräsident Giorgio Napolitano führt in diesen Tagen Beratungen mit den verschiedenen Parteien und wird vermutlich am Freitag den Führer der Linksdemokraten (DS), Pierluigi Bersani, vorerst mit einer Regierungsbildung beauftragen. Napolitano befindet sich unter Zugzwang. Denn Mitte Mai läuft sein Mandat als Staatspräsident ab. Spätestens Mitte April wird im Parlament mit den Beratungen für die Neuwahl des Präsidenten begonnen. Dazu ist aber eine handlungsfähige Regierung nötig. Ex-Regierungschef Silvio Berlusconi droht mit Protesten und Boykott, sollte der Präsident nicht aus den Reihen des Mitte-rechts-Bündnisses kommen. Offensichtlich peilt Berlusconi selbst das Amt des Staatspräsidenten an.Fraglich ist, ob Bersani mit seiner geplanten Regierungsbildung Erfolg hat. Zwar hat die DS die absolute Mehrheit in der Abgeordnetenkammer, im Senat kommt sie aber nicht einmal gemeinsam mit dem Bündnis von Monti auf eine absolute Mehrheit. Eine Koalition mit Berlusconis Volk der Freiheit (PDL) wird von Bersani kategorisch ausgeschlossen. Als Grund gibt der DS-Politiker sein Acht-Punkte-Programm an, das in wesentlichen Punkten den Interessen der PDL widerspricht. Abgesehen von einem rigorosen Antikorruptionsprogramm, einer stark gekürzten Parteienfinanzierung und einer Behebung des Interessenkonfliktes plädiert Bersani auch für eine Neuausrichtung der europäischen Wirtschaftspolitik auf Wachstum, die Bekämpfung sozialer Missstände durch mehr staatliche Hilfe, Abbau der Politik-Kosten und eine Reform des Wahlrechts. Offensichtlich ist das Programm zum Teil den Forderungen des Überraschungssiegers der Wahlen, des Gründers der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) Beppe Grillo, angepasst. Dieser will aber weder mit Bersani noch mit einer anderen Partei kooperieren. Er will die Zerstörung des Politsystems. Problem ist, dass er inzwischen selbst Teil des Systems ist.Der zum Politiker avancierte Komiker aus Genua hat die Rechnung ohne seine 53 Senatoren gemacht. Gut ein Dutzend dieser M5S-Senatoren sind bei der jüngsten Parlamentsabstimmung über die Wahl des Senatspräsidenten nicht dem Diktat ihres Führers gefolgt, sondern haben “nach eigenem Gewissen” für den ehemaligen Mafia-Richter und Kandidaten der DS, Paolo Grasso, gestimmt. Grillo war wütend. Bersani schöpfte neue Hoffnung, dass er bei wichtigen Abstimmungen auf die Unterstützung der “Grillini” rechnen kann. Eine Minderheitsregierung, die bei jeder Reform, bei jedem Gesetz zittern muss, ob sie die parlamentarische Mehrheit erreicht, garantiert keine Stabilität. In puncto Europa und Schuldenabbau hat Grillo haarsträubende Ansichten: Ein Euro-Ausstieg und uferloses Deficit Spending zählen zu seinen Prämissen.In den letzten Tagen wurde auch über eine große Koalition zwischen Bersani, Monti und der Lega Nord gemunkelt. Es ist kaum anzunehmen, dass sich die einst separatistische und inzwischen föderalistische Lega von ihrem langjährigen Verbündeten Berlusconi trennt. Last, but not least hätte Napolitano die Möglichkeit, einen externen Kandidaten mit der Regierung zu beauftragen. Eine solche Regierung mit Unterstützung der Großparteien könnte sich auf die dringendsten Reformen konzentrieren und bald wieder wählen lassen. Wahlen vor dem Sommer sind weder im Sinn der DS noch der PDL. Früher oder später, laut Politologen spätestens in zwei Jahren, sind sie aber nicht zu vermeiden.——–Von Thesy Kness-Bastaroli ——- Das politische Patt in Italien überlagert alle anderen Krisen – sei es die hohe Verschuldung des Landes oder auch das Zypern-Drama.