Frühjahrsprognose

Institute raten zu späterer Rente

Die seit über einem Jahr herrschende Corona-Pandemie belastet nicht nur die aktuelle Wirtschaftsentwicklung, sondern nagt bereits an der Substanz.

Institute raten zu späterer Rente

ba Frankfurt

Die seit über einem Jahr herrschende Corona-Pandemie belastet nicht nur die aktuelle Wirtschaftsentwicklung, sondern nagt bereits an der Substanz. Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute geben der Politik in ihrem Frühjahrsgutachten daher einen ganz Strauß an Empfehlungen. Denn sie erwarten nicht nur, dass die Erholung später einsetzt und die Staatsverschuldung höher als bislang erwartet ausfällt – auch das mittelfristige Produktionspotenzial lässt Federn.

Dies kommt zur Unzeit, denn die Babyboomer stehen kurz vor ihrem Renteneintritt: Die schrumpfende Erwerbsbevölkerung und der deutlich steigende Anteil der Älteren ließen bis zum Jahr 2030 die jährliche Potenzialwachstumsrate um rund 1 Prozentpunkt sinken, wobei das Produktionspotenzial in den Jahren 2020 bis 2024 durchschnittlich rund 1,1% unter dem vor der Krise prognostizierten Niveau liege. Daher empfehlen die an der Gemeinschaftsdiagnose beteiligten Institute – das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW), das Berliner DIW, das Münchner Ifo-Institut, das IWH Halle und das Essener RWI –, das Renteneintrittsalter langsam und schrittweise auf 69 Jahre anzuheben. Dies würde die Staatsfinanzen gleichzeitig einnahmen- und ausgabenseitig stützen. Weitere Stellschrauben, um nach dem Ende der Coronakrise die Finanzen wieder auf eine solide Basis zu stellen, wäre eine Erhöhung der Zuwanderungsquote sowie der Partizipationsquote und auch die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Sorge bereitet auch, dass die Zahl an Neugründungen zurückgegangen ist – Gründungsgeschehen ist aber eine wichtige Voraussetzung für wirtschaftliche Dynamik, wie der Blick auf die 1990er Jahre zeige. Empfohlen wird daher eine Weiterentwicklung des Gründungszuschusses, die bürokratischen Hürden zu senken und die steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten zu verbessern.

Da die Institute bei der Herbstprognose einen kürzeren Lockdown eingeplant hatten und zudem das Winterhalbjahr schwächer als erwartet ausgefallen war, haben sie ihre Prognosen für dieses und nächstes Jahr angepasst: 2021 dürfte das Bruttoinlandsprodukt um 3,7 (zuvor: 4,7)% steigen, 2022 um 3,9 (2,7)% zulegen (siehe Grafik). Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier stellte in Aussicht, am 27. April die bisherige Prognose der Bundes­regierung von 3,0% „deutlich“ anzuheben. Die Projektion, die auf der Gemeinschaftsdiagnose basiert, dient wiederum als Grundlage für die Steuerschätzung. „Wir können in diesem Jahr den Wirtschaftseinbruch nicht nur stoppen, sondern umkehren und im nächsten Jahr wieder alte Stärke erreichen“, erwartet Altmaier.

Weitere staatliche Impulse seien nicht nötig, sagte RWI-Konjunkturchef Torsten Schmidt, allerdings mangele es an der Zielgenauigkeit, wie der stellvertretende IWH-Präsident Oliver Holtemöller bei der Vorstellung des Gutachtens mit dem Titel „Pandemie verzögert Aufschwung – Demografie bremst Wachstum“ ergänzt. Die Zahlen am Arbeitsmarkt sowie die bislang geringen Unternehmensaufgaben und Insolvenzen sprächen dafür, dass die Maßnahmen stützend gewirkt hätten. Nachjustiert werden könne etwa bei der Möglichkeit des steuerlichen Verlustrücktrags, indem die Gewinneinkünfte nicht nur des Jahres 2019, sondern auch von 2017 und 2018 berücksichtigt würden, oder mit einer regelgebundenen Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes.