InterviewIrene Bertschek, ZEW

KI-Expertin in Sorge um Deutschlands digitale Souveränität

Um den Anschluss an die anderen großen Wirtschaftsmächte nicht zu verlieren, muss sich Deutschland beim Aufbau einer eigenen KI-Infrastruktur mehr anstrengen, fordert ZEW-Expertin Bertschek.

KI-Expertin in Sorge um Deutschlands digitale Souveränität

Interview: Irene Bertschek

Sorge um Deutschlands digitale Souveränität

ZEW-Expertin fordert mehr Anstrengungen beim Aufbau einer eigenen KI-Infrastruktur

Deutschland muss KI-Kompetenzen auf Augenhöhe mit den USA und China entwickeln, fordert die ZEW-Expertin und warnt vor einseitigen Abhängigkeiten, die sich in andere Bereiche der Wirtschaft durchziehen würden. Zu wenig Geld für Start-ups und ein zu rigide ausgelegter Datenschutz bremsen Forschung und Anwendung von künstlicher Intelligenz (KI).

Frau Bertschek, Microsoft und andere US-Konzerne investieren in Deutschland Milliardensummen in Rechenzentren und Cloud-Infrastruktur. Ist das für die KI-Entwicklung hierzulande eine gute Nachricht? Oder sollte uns das nicht eher zu denken geben, weil wir es aus eigener Kraft offenbar nicht schaffen?

Rechenkapazitäten sind eine wichtige Ressource, um KI-Modelle zu trainieren und anzuwenden. Insofern ist es gut, wenn Microsoft hierzulande investiert. Allerdings müssen wir unbedingt selber mehr tun, um unsere digitale Souveränität zu stärken und in nicht zu große einseitige Abhängigkeiten von außereuropäischen Anbietern zu geraten. 

Im EFI-Gutachten wird mehrfach vor einem Verlust der digitalen und technologischen Souveränität gewarnt. Was hätte das für Folgen?

Irene Bertschek ist beim ZEW Expertin für „Digitale Ökonomie” und stellvertretende Vorsitzende der Regierungskommission Forschung und Innovation (EFI) sowie Mitglied im Zukunftsrat der Bundesregierung.
David Ausserhofer

Digitale und technologische Souveränität bedeutet ja, eine Technologie selbst vorzuhalten, weiterzuentwickeln und bei ihrer Standardisierung mitwirken zu können oder aber diese Technologie ohne einseitige Abhängigkeit von anderen Wirtschaftsräumen zu beziehen und anzuwenden. Es ist also auch wichtig, über die notwendigen Kompetenzen zu verfügen, um mit einer Technologie umgehen und damit beherrschen zu können. Setzen wir nur auf Investitionen von Microsoft oder auch anderen außereuropäischen Hyperscalern, dann können hier einseitige Abhängigkeiten entstehen.

Und was müssen wir tun, damit dies nicht passiert?

Wir sollten in Deutschland und Europa selbst in den Auf- und Ausbau von Rechenkapazitäten investieren, statt das Feld außereuropäischen Investoren zu überlassen. Wichtige Elemente hierbei sind Kooperationen zwischen staatlichen und privaten Akteuren, Initiativen wie der Aufbau eines Exascale-Rechners am Forschungszentrum Jülich oder europäische Kooperationen im Rahmen des European High Performance Computing (EuroHPC). Solche Rechenkapazitäten sollten dann auch einfach für Forschende, Start-ups und KMU zugänglich sein. Aber auch in die KI-Kompetenzen sollte investiert werden, durch weitere Förderung der KI-Grundlagenforschung und durch Angebote in der schulischen, akademischen und beruflichen Bildung.

Inwiefern hindert der deutsche Datenschutz heimische KI-Entwickler bei der Konzeption und dem Training neuer Modelle? Und warum ist es so wichtig, auf heimische Daten zugreifen zu können?

Es ist eher die – oftmals nach Bundesländern sogar fragmentierte – Auslegung des Datenschutzes, die deren Nutzung einschränkt. Zwar schützt eine restriktive Handhabung der Datennutzung die Rechte der Dateninhaber/-innen. Allerdings kann dies dazu führen, dass in Deutschland und Europa KI-Modelle außereuropäischer Wettbewerber zum Einsatz kommen, die nicht im Einklang mit europäischen Werten wie Nichtdiskriminierung entwickelt wurden. Wir sollten daher alles daransetzen, die Verfügbarkeit und Nutzung von Daten hierzulande zu verbessern. Nicht zuletzt um Forschenden und Anwendern von KI-Modellen attraktive Bedingungen zu bieten und die KI für die Gewinnung von Erkenntnissen und die Entwicklung guter Lösungen, z.B. in der Medizin, nutzen zu können.     

Den deutschen KI-Start-ups fehlt es zum Weiterkommen vielfach an der Finanzierung. Müssen die steuerlichen Anreize besser gesetzt werden? Oder ist das eine Frage der deutschen Kultur, die uns hier in die Quere kommt?

Stärkere Anreize zu setzen für die Aktivierung von privatem Wagniskapital, insbesondere für die Wachstumsphase der Start-ups, wäre auf jeden Fall ein wichtiger Schritt. Aber sicher gibt es hier auch kulturelle Gründe. In Deutschland ist die Risikoaversion grundsätzlich höher als zum Beispiel in den USA. Dies betrifft aber nicht nur die KI, sondern die Finanzierung von Start-ups generell.

Das ZEW hat heimische Firmen zur Nutzung von KI befragt. Die großen Konzerne dürften längst auf dem Sprung sein. Aber wie verhalten sich die KMUs? Und wie kann man ihnen helfen, den Anschluss nicht zu verlieren oder sich vom Ausland abhängig zu machen?

Viele KMU sind noch unsicher über den zu erwartenden Nutzen von KI oder haben Bedenken hinsichtlich der Reife und Zuverlässigkeit von KI. Zudem fehlt häufig das Know-how in den Unternehmen. Durch Beratung und Use Cases könnten KMU darin unterstützt werden, die Anwendungsmöglichkeiten von KI kennenzulernen. Durch Kooperationen mit KI-Start-ups können etablierte Unternehmen zudem von deren Know-how profitieren.

Das Interview führte Stephan Lorz.

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Irene Bertschek ist beim ZEW Expertin für „Digitale Ökonomie”, stellvertretende Vorsitzende der Regierungskommission Forschung und Innovation (EFI) sowie Mitglied im Zukunftsrat.

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