Im InterviewFinanzsenator Andreas Dressel

Hamburg dringt auf Reform der Schuldenbremse

Hamburg führt seine Finanzverwaltung mit der modernen Doppik – der doppelten Buchführung für öffentliche Haushalte. Das wäre auch für den Bund hilfreich, ist Hamburgs Finanzsenator Andreas Dressel überzeugt. Eine Reform der Schuldenbremse hält er dennoch für nötig.

Hamburg dringt auf Reform der Schuldenbremse

Im Interview: Andreas Dressel

„Man sieht, was mit dem Geld passiert“

Hamburgs Finanzsenator setzt sich für strenge Haushaltskontrolle per Doppik ein und hält eine Reform der Schuldenbremse für dringlicher denn je

Hamburg führt seine Finanzverwaltung mit der modernen Doppik, der doppelten Buchführung für öffentliche Haushalte. Die Erfahrungen sind gut, die Finanzen unter Kontrolle. Im Interview erklärt Senator Andreas Dressel (SPD), warum die Doppik dem Bund helfen würde und warum er dennoch eine Reform der Schuldenbremse für nötig hält.

Herr Senator Dressel, die Länder haben jüngst dem Wachstumschancengesetz im Bundesrat zugestimmt. Das Entlastungsvolumen für die Wirtschaft von 7 Mrd. Euro wurde halbiert. Reicht dies, um die aktuell schwache Wirtschaft zu beleben?

Ich bin sehr für zielgerichtete konjunkturelle Maßnahmen. Ich hätte mir ein umfangreicheres Wachstumschancengesetz vorstellen können, aber dann müssen andere teure Maßnahmen auch auf den Prüfstand. 2022 wurden mit dem Inflationsausgleichsgesetz Milliarden mit vollen Händen zum Fenster rausgeworfen. Die konjunkturelle Wirkung war null. Die FDP bekämpft in diesen Tagen nun wieder verbal die kalte Progression – ohne eine Finanzierung vorzulegen.

Was gehört auf den Prüfstand? 

Steuerlich können wir in diesen Zeiten knapper Kassen wirklich nur das machen, was verfassungsrechtlich zwingend geboten ist. Das sind Grundfreibetrag und Kinderfreibetrag. Die Bekämpfung der kalten Progression muss sich leider an anderen dringenden Erfordernissen wie der Infrastrukturfinanzierung oder anderen staatlichen Aufgaben messen lassen. Wir müssen Prioritäten setzen. Da hat Christian Lindner recht. Aber wir setzen andere Prioritäten.

Eine Steuerreform, auf die die Wirtschaft seit mehr als zehn Jahren hofft, ist dann aus Sicht von Hamburg nicht angezeigt?

Wünschenswert wäre vieles. Aber der finanzielle Rahmen ist, wie er ist. Das zeigt: Eine Reform der Schuldenbremse ist dringlicher denn je.

Lassen sich auch andere Prioritäten bei den Ausgaben setzen?

Die FDP tut so, als ginge alles Geld immer nur in Sozialleistungen. Ich muss Haushalte aufstellen, in denen es um staatliche Kerninfrastrukturen geht: Sicherheit, Bildung, Verkehr. Bei diesen Themen geht es längst nicht nur um Soziales, sondern um die Funktionsfähigkeit von Staatlichkeit insgesamt. Da haben wir alle im Moment sehr zu knapsen, um dies überhaupt zu gewährleisten.


Seit März 2018 führt Andreas Dressel (SPD) das Finanzressort im rot-grünen Senat der Freien und Hansestadt Hamburg. Damit trat der heute 49-Jährige schon früh an die Spitze einer zentralen Schaltstelle der Landesregierung. Als Hamburgs Finanzsenator gehört Dressel der Finanzministerkonferenz der Länder und dem Finanzausschuss des Bundesrats an. Der Jurist studierte in seiner Heimatstadt Hamburg und promovierte in Verwaltungslehre. Verwaltung kennt er auch von innen. 2004 begann er seine Laufbahn im höheren Verwaltungsdienst in der Stadtentwicklungs- und Umweltbehörde. Bereits mit 22 Jahren wurde er in die Bezirksversammlung Wandsbek gewählt. Von 2004 bis 2018 gehörte er der Hamburgischen Bürgerschaft an. Zunächst war er innenpolitischer Sprecher, von 2011 an Vorsitzender der SPD-Fraktion.


Im Bund muss Finanzminister Christian Lindner (FDP) 2025 ein zweistelliges Milliardenloch schließen. Sie haben gute Erfahrungen mit dem Hamburger Steuerungsmodell und der Doppik als öffentliche Buchführung. Welche Vorteile hat dies gegenüber der vom Bund genutzten Kameralistik?

Es ist das ehrlichere Modell. Alle Zukunftsbelastungen und -risiken werden transparent ausgewiesen. Wir können Abschreibungen und Wertverzehr abbilden. Wir wissen, wie viel wir investieren müssen, um den Wertverzehr der öffentlichen Infrastruktur zu kompensieren. Es ist eine härtere Schuldenbremse, aber die ehrlichere und generationengerechtere. Sie bietet dadurch neue Möglichkeiten und Flexibilität. Die Doppik ist nicht so sehr inputorientiert, sondern outputorientiert.

Was bedeutet das genau?

Kombiniert mit einer wirkungsorientierten Steuerung kann man ganz genau sehen: Was leisten wir mit staatlichem Geld? Welche Produkte können wir gewährleisten? Was soll und kann ein Staat für das viele Steuergeld leisten? Die Wirkungsorientierung und Wirkungsmessung ist im Moment der Kern der Diskussion. Es passt genau in die Landschaft. Die Zeit ist reif, der Doppik in anderen Bundesländern und im Bund die Tür dafür zu öffnen.

Man sieht, was mit dem Geld passiert. Das ist ehrlich.

Auch im Bund könnte der Haushalt damit besser werden?

Man sieht, was mit dem Geld passiert. Das ist ehrlich. Es ist transparent, es ist nachhaltig, generationengerecht und trotzdem wirtschaftlich vernünftig. Insofern gibt es für jede Denkschule, die derzeit im Bundestag unterwegs ist, auch gute Argumente, Richtung Doppik zu gehen. Im Bund stehen sich die Beteiligten im Moment unversöhnlich gegenüber. Es würde helfen, sich finanzpolitisch wieder auf gemeinsame Parameter zu verständigen.

Die Kameralistik, die der Bund nutzt, bietet also keinen guten Überblick?

Nein, der Bund hat zu sehr eine reine Input-Orientierung. Eine Wirkungsorientierung mit einem echten Haushaltscontrolling findet im Bund nicht statt. Das ist schade für das viele Geld.

Finanz- und Haushaltskrisen sind ein Zeitpunkt, wo man sinnvoll damit anfangen sollte.

Sie hatten schon 2019 mit Nordrhein-Westfalen dazu aufgerufen, die Doppik breiter einzuführen. Bremen und Kommunen in Hessen sind gefolgt. Warum zieht so ein gutes System keine weiteren Kreise?

Der Umsetzungsaufwand ist hoch, wenn man sich einmal auf die Reise macht. Das war auch für Hamburg kein Spaziergang, sondern ein Prozess von mehr als einer Dekade. Regierung und Opposition haben ihn über Parteigrenzen hinweg immer getragen. Es ist beschwerlich, aber es lohnt sich. Ehrlicherweise rate ich: Finanz- und Haushaltskrisen sind ein Zeitpunkt, wo man sinnvoll damit anfangen sollte. Es ist kein Projekt nur für Schönwetterzeiten, sondern hier kann gerade die Krise eine Chance sein.

Der früher Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) hatte kurz vor der Finanzkrise 2008 einen Anlauf im Bund genommen. Die Haushaltspolitiker im Bundestag bremsen. Wie können Sie sie für die Doppik gewinnen?

Die Empfehlungen aus Hamburg pro Doppik und kaufmännische Haushaltsführung könnten eigentlich der FDP das Geschäft erleichtern. Deswegen bin ich immer ein bisschen irritiert, dass gerade der federführende FDP-Politiker Otto Fricke im Haushaltsausschuss total dagegen ist und dagegen kämpft. Eigentlich müsste die Doppik in der FDP-DNA sein.

Es braucht mehr als Einsicht der FDP in der Ampel.

Vielleicht könnten sich die Kritiker aus dem Haushaltsausschuss programmatisch verständigen: die FDP aus ihrer wirtschaftlichen Orientierung und die Grünen aus ihrer Nachhaltigkeitsorientierung, da Abschreibung, Wertverzehr und Generationengerechtigkeit auch in der Doppik stecken. Für die SPD zeigt das SPD-geführte Hamburg, dass es geht. Das ist doch auch ein gutes Argument.

Hamburg hält die Schuldenbremse ein und hat sie in der Landesverfassung verankert. Sie dringen dennoch auf eine Reform. Warum?

Die großen Zukunftsherausforderungen der Infrastrukturentwicklung und der Transformation schaffen wir bundesweit nicht aus dem Kernhaushalt. Wir werden auch nicht mit ein bisschen Finanzakrobatik das 2%-Ziel bei den Verteidigungsausgaben erreichen. Wenn Donald Trump die Wahl in den USA gewinnt, werden die Anforderungen in der Außen- und Sicherheitspolitik vermutlich noch härter.

Es liegen mehrere Vorschläge zur Reform der Schuldenbremse auf dem Tisch. Welchen Weg würden Sie gehen? 

Der Sachverständigenrat hat gute Vorschläge gemacht. Auch ein Sondervermögen für Infrastruktur und Transformation neben dem für die Bundeswehr kann ein Weg sein. Also: Der Bund muss sich bewegen. Und konkret: Die FDP muss sich bewegen und die CDU im Bund muss sich bewegen.

Haben Sie denn Hoffnung, dass sich die CDU bewegt? 

In vielen Bundesländern ist die CDU schon auf diesem Weg. Da Friedrich Merz in diesem Jahr wahrscheinlich noch was werden möchte, ist dies vielleicht ein Schlüssel. Er wird bei den Landesfürsten um Zustimmung zu seiner Kanzlerkandidatur werben. Vielleicht helfen dann auch ein paar finanzpolitische Lockerungsübungen für einen guten Deal. Das wäre doch für Deutschland ein Gewinn. Kanzler werden sollte er trotzdem nicht.

Die Wirtschaftsforschungsinstitute unterstützten Reformvorschläge, bestreiten aber, dass die Schuldenbremse Investitionen bremst. Warum hält sich das Narrativ, dass die Schuldenbremse für mehr Investitionen gelockert werden muss?

Nicht alle zukunftsgerichteten Ausgaben sind rein investiv. Ausgaben für die Mobilitätswende zählen z.B. nicht zwingend dazu. Ein Teil sicherlich, aber eben nicht alle. In Hamburg realisieren wir viele Investitionen mit dem Mieter-Vermieter-Modell. Da ist es formal auch keine Investition, sondern wird über Miete abgebildet. Wir brauchen mehr Flexibilität, um auch den Rückstau an notwendigen Zukunftsinvestitionen jetzt tätigen zu können.

Sollten wir vom Ausland lernen?  

Alle um uns herum investieren kräftig – die USA, viele andere Länder auch. Wenn wir nicht investieren, werden wir es noch bitter bereuen. Es ist verheerend für die finanzpolitische Handlungsfähigkeit, dass sich auf Bundesebene alle gegenseitig blockieren.

Wie soll das konkret aussehen? Ministerpräsidentin Malu Dreyer fordert eine Schuldenbremsen-Reformkommission, Winfried Kretschmann auch.

Wir gehen jeden Weg mit. Im Kern wird es darum gehen, dass die FDP sich beweglich zeigt und die CDU/CSU-Bundestagsfraktion. In den Ländern ist die CDU weiter. Die FDP trägt in den Ländern – abgesehen von Rheinland-Pfalz – null Verantwortung. So agiert sie auch. Sie fordert alles und will dann für nichts verantwortlich sein.

Ich hoffe sehr, dass es gelingt, kurzfristig eine Reformmöglichkeit zu finden – in den nächsten Monaten und nicht erst nach einer Bundestagswahl im Herbst 2025.

Wie schnell muss es gehen?

Ich hoffe sehr, dass es gelingt, kurzfristig eine Reformmöglichkeit zu finden – in den nächsten Monaten und nicht erst nach einer Bundestagswahl im Herbst 2025. Kommt die Reform zu spät, werden Teile der Industrie wegen schlechterer Infrastruktur und unterlassener Zukunftsinvestitionen abgewandert sein. Ich mache mir große Sorgen und hoffe sehr, dass es im Laufe dieses Jahres noch eine Einigung geben wird. Wir können es uns nicht leisten, jetzt noch anderthalb Jahre verstreichen zu lassen.

Welche Punkte wären für eine Reform zentral?

Der Verschuldungsspielraum sollte im Verhältnis zur Staatsschuldenquote unterschiedlich groß sein, wie vom Sachverständigenrat vorgeschlagen. Zudem ist ein gleitender Übergang nach einer Notlage wichtig. Politisch wäre es vielleicht leichter, ein echtes Sondervermögen in der Verfassung für Infrastruktur, Verkehr und Transformation zu verankern. Dann kann die FDP sagen, formal wird die Schuldenbremse nicht geändert. Wir sind zu allem bereit, zu jedem Gesprächsformat, zu jedem Klärungsformat.

Müssen die Länder mehr Verschuldungsspielraum bekommen? Bei Einführung der Schuldenbremse 2009 wurden milliardenschwere Konsolidierungshilfen vorgezogen.

Wir müssen schon eine Spiegelbildlichkeit erzeugen. Es dürfte schwierig werden, bei den Ländern durchzusetzen, dass der Bund sich mehr Verschuldungsspielraum beschafft und die Länder dann davon nichts haben. Es ist vielleicht auch für den Bund leichter, wenn die Länder quotal beteiligt werden – entsprechend der jeweiligen Größe. Dann wird auch für den Bund ein Schuh draus, weil er besser ständige Forderungen nach Bundesförderung bremsen und ein Moratorium durchsetzen könnte. Dafür bekämen die Länder einen Teil des zusätzlichen Verschuldungsspielraums. Eine solche Verständigung mit den Ländern kann gelingen.

Im Mai kommt die Steuerschätzung. Sie haben 2023 im Finanzausgleich eine Rekordsumme gezahlt. Wie stehen Sie zu der Klage aus Bayern gegen den Finanzausgleich?  

Von der Klage halte ich nichts. Die war ein Wahlkampfgag, und der Wahlkampf in Bayern ist vorbei. Markus Söder verhält sich zwar nicht so, aber er könnte die Klage zurücknehmen. Ich fände es sachdienlich und solidarisch in dieser Krisenzeit, wenn Bayern nicht alle Vereinbarungen, die es selbst mal getroffen hat, ständig in Zweifel zieht.

Die Wirtschaftsforschungsinstitute würden die Gewerbsteuer durch ein kommunales Hebesatzrecht auf die konjunkturrobuste Einkommensteuer ablösen. Ein sinnvoller Vorschlag?

Da wäre ich vorsichtig. Beim Wachstumschancengesetz hat der Bund sich die Finger verbrannt, weil er versucht hat, die Gewerbesteuer mit einzubeziehen. Die Kommunen sind an vielen Stellen leidgeprüft. Wir müssen deren Einnahmebasis sichern. Es zieht nicht die unersättliche Krake Staat den armen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern das Geld aus der Tasche, sondern wir müssen staatliche Infrastrukturen gewährleisten. Davon profitiert auch die Wirtschaft. Das wird im Moment auf der neoliberalen Seite nicht so gesehen, ist aber trotzdem Fakt. Es werden die Wirtschaftsvertreterinnen und Wirtschaftsvertreter sein, die nachher klagen, wenn gekürzt wird.

Das Interview führte Angela Wefers.

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