Konjunkturtableau

Konjunktur­pessimismus schwindet

Die deutsche Wirtschaft dürfte 2022 doch etwas besser abgeschnitten haben als zwischenzeitlich wegen des Ukraine-Kriegs befürchtet. Im Konjunkturtableau der Börsen-Zeitung zeigt sich, dass auch die Erwartungen für dieses und nächstes Jahr wieder steigen.

Konjunktur­pessimismus schwindet

Von Alexandra Baude, Frankfurt

Das konjunkturelle Glas der deutschen Wirtschaft scheint derzeit halb voll zu sein: Die Aussichten sind zwar trübe, aber nicht mehr ganz so duster wie noch vor kurzem. Die befürchtete Gasmangellage ist ausgeblieben, die Industrieproduktion ist seitwärts gelaufen, Energie- und Verbraucherpreise haben sich von ihren Höchstständen verabschiedet, und die Hilfspakete der Bundesregierung federn die Härten der hohen Energiekosten ab. Auch im aktuellen Konjunkturtableau der Börsen-Zeitung und des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) fallen die Prognosen für das Wirtschaftswachstum wieder etwas optimistischer aus – „besser gesagt, sie werden weniger pessimistisch eingeschätzt als im Vormonat“, kommentiert ZEW-Experte Michael Schröder.

Dass die vom ZEW aus den Voraussagen destillierte Medianprognose für das Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) für das laufende Jahr von minus 0,7% im Dezember auf nun minus 0,5% gestiegen ist, „ist natürlich keine große Veränderung“, so Schröder. Die Bandbreite der Erwartungen aber, also der Differenz zwischen der niedrigsten und der höchsten BIP-Prognose, „zeigt ebenfalls, dass sich die erwarteten Veränderungen des realen BIP weniger stark im negativen Bereich befinden“. Statt zwischen −3,5% bis +0,3% wie im Dezember bewegen sich die Voraussagen Anfang Januar zwischen −1,9% bis +1,8%. „Die mögliche Stärke von negativen Überraschungen beim Wirtschaftswachstum hat in den Erwartungen der Experten somit abgenommen“, betont Schröder. Für das kommende Jahr wird wieder ein Wachstum vorausgesagt, und zwar von 1,3% (siehe Tabelle). Die Bandbreite der Prognosen von −0,6% bis +2,0% zeigt, dass vor allem der negative Prognosebereich gegenüber den Werten für 2023 deutlich kleiner geworden ist.

Passables Plus erwartet

Ebenfalls weniger schwach als zwischenzeitlich erwartet dürfte sich das Wirtschaftswachstum des eben abgelaufenen Jahres präsentieren: Ökonomen erwarten, dass das BIP um 1,9% gewachsen ist. Nach dem Beginn des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine hatten Wirtschaftsforschungsinstitute ihre Er­wartungen teils drastisch eingedampft. Insbesondere wegen der Energiekrise hatten die Ökonomen zuletzt nur mehr mit einem Plus zwischen 1,4% und 1,8% gerechnet. Zu Jahresbeginn 2022 hatten die Voraussagen noch eine Drei vor dem Komma stehen, da eine Fortsetzung der Aufholjagd nach dem Ende der coronabedingten Restriktionen er­wartet worden war. Das Statistische Bundesamt wird am heutigen Freitag das vorläufige Jahresergebnis veröffentlichen und auch einen ersten Fingerzeig geben, wie das Schlussquartal gelaufen ist. Allenthalben wird erwartet, dass die Wirtschaft im Winterhalbjahr in einer Rezession stecken wird.

Ein ähnliches Bild erwarten die Auguren auch für den Euroraum: Eine leichte Rezession im Winterhalbjahr, dann aber gefolgt von einem Wachstum im Gesamtjahr 2023. Die Medianprognose liegt nun mit 0,4% für 2023 um 0,2 Prozentpunkte über der Voraussage vom Dezember. Da die Bandbreite der Prognosen mit −1,0% bis +3,3% „deutlich höher liegt als die für Deutschland“ werde „insgesamt das konjunkturelle Rückschlagpotenzial für die Wirtschaft des Eurogebiets geringer eingeschätzt als für die deutsche Wirtschaft“. Die größere erwartete Resilienz zeigt sich auch für 2024: Zwar liegt die Medianprognose mit 1,2% fast gleichauf mit der für Deutschland, der geringste Prognosewert ist mit 0,3% für den Euroraum jedoch wesentlich höher als die −0,6% für Deutschland.

Die Inflation wird den Experten zufolge erst 2024 wieder näher an die Zielmarke der Europäischen Zentralbank (EZB) von 2,0% heranrücken. Dass die Teuerungsraten im Dezember in Deutschland um 1,4 Prozentpunkte auf 8,6% und im Euroraum um 0,8 Prozentpunkte auf 9,2% zurückgegangen ist, „zeigt sich in den Prognosen für 2023 noch nicht. Ganz im Gegenteil“, erklärt Schröder: Die Medianprognosen liegen im Januar mit 7,0% für Deutschland und 6,6% für das Eurogebiet leicht höher als im Dezember. 2024 werden Raten von 3,5% für Deutschland und 3,4% für den Euroraum erwartet. Entsprechend würden die Experten 2024 die Dreimonatszinsen mit 3,2% (Median) nur unwesentlich über dem für 2023 prognostizierten Wert von 3,0% sehen. „Eine weitere signifikante Verschärfung der Geldpolitik der EZB wird somit nicht prognostiziert“, sagt Schröder.

Konjunkturtableau Deutschland
2.Quartal3. QuartalPrognose 2023Prognose 2024
 2020202120222022TiefMedianHochTiefMedianHoch
Volkswirtschaftliche Daten
Bruttoinlandsprodukt1−4,92,80,10,4−1,9−0,51,8−0,61,32,0
Privatkonsum1−5,90,00,91,0−2,10,19,3−0,90,93,6
Staatskonsum13,53,40,50,0−2,91,44,6−0,70,81,4
Anlageinvestitionen1−2,21,3−1,30,2−1,00,14,1−0,60,43,4
Exporte1−9,39,40,52,0−0,51,74,40,01,73,5
Importe1−8,68,62,72,4−0,62,35,80,02,13,7
letzter Wert
Verbraucherpreise20,53,18,6 (Dezember)4,97,08,82,03,58,0
Arbeitslosenquote35,95,75,4 (Dezember)3,05,47,13,05,37,4
Zinsen und Zinsdifferenzenin 3 Monatenin 12 Monaten
3-Monats-Geld3−0,43−0,55 2,13,03,81,63,23,4
10-jährige Anleihen3−0,51−0,37 1,52,44,21,52,02,5
USA/Eurozone, langfristig3,4140181 90145184100126189
USA/Eurozone, kurzfristig3,410871 1201862330115156
Eurozone lang/kurz3,4−818 −140−60140−156−1201
Redaktionsschluss: 11. Januar , Tagesdaten vom 10. Januar.1) real gegen Vorjahr bzw. Vorquartal in %; 2) gegen Vorjahr in %; 3) Werte für 2020 und 2021 sind Jahresdurchschnitte. letzter Wert der Zinsen und Zinsdifferenzen sind Stände vom Vortag; 4) in Basispunkten