Eröffnungsrede des EZB-Forums in Sintra

Lagarde zeigt sich zwischen den Zeilen selbstkritisch

EZB-Präsidentin Christine Lagarde lobt beim EZB-Forum in Sintra die Strategie der Notenbank in den vergangenen Jahren. Einige der nun erfolgten Anpassungen reflektieren zwischen den Zeilen jedoch auch ein wenig Selbstkritik.

Lagarde zeigt sich zwischen den Zeilen selbstkritisch

Selbstkritik der EZB zwischen den Zeilen

Lagarde spricht in Sintra über Aufwärtsrisiken für die Inflation – Szenarioanalysen sollen auch Kommunikation beeinflussen

mpi Sintra
Von Martin Pirkl, Sintra

Die Anpassungen bei der geldpolitischen Strategie der EZB fielen überschaubar aus. Dementsprechend zufrieden äußerte sich Notenbankpräsidentin Christine Lagarde bei der Eröffnung des EZB-Forums in Sintra am Montagabend. „Die Grundlagen unserer Strategie haben sich bewährt – und das sollten sie auch, denn eine Strategie muss gegenüber einem sich verändernden Umfeld robust sein“, sagte sie.

Zwischen den Zeilen räumte die Französin aber doch Versäumnisse der EZB ein. Eine der Änderungen der Strategie bezieht sich darauf, dass die Notenbank genauso energisch auf eine zu hohe Inflation wie auf eine zu niedrige reagieren werde. Bei der vorherigen Strategieüberprüfung 2020/2021 habe man sich auf die Risiken einer zu niedrigen Inflation konzentriert. Dies geschah dadurch, dass in den Jahren zuvor die Inflation im Euroraum deutlich unter dem 2-Prozent-Ziel lag. Kurzzeitig vermeldeten die Statistiker gar Preisrückgänge.

Unternehmen passen häufiger die Preise an

„Der jüngste Inflationsschub hat Nichtlinearitäten auf der Aufwärtsseite offenbart – und damit die Notwendigkeit einer zweiseitigen Reaktionsfunktion, sowohl in Bezug auf die Heftigkeit als auch auf die Dauerhaftigkeit“, sagte Lagarde. Indirekt räumt sie damit ein, dass die Notenbank zuvor diese Nichtlinearitäten nicht im Blick hatte. Lange Zeit nannte die EZB den Inflationsanstieg ab 2021 temporär und reagierte auch deshalb zu spät mit Zinserhöhungen.

Während einige Ökonomen von einer strukturell höheren Inflation in den kommenden Jahren ausgehen, hält Lagarde auch eine zu niedrige Rate für denkbar. Insgesamt rechnet die EZB mit einer volatileren und schlechter vorhersagbaren Inflation. So gebe es etwa eindeutige Anzeichen dafür, dass die Anzahl der Angebotsschocks auf die Preise zunehmen wird. Außerdem beobachtet die Notenbank, dass die Unternehmen grundsätzlich schneller die Preise ändern als noch in der Vergangenheit. Die Folge sind mehr Volatilität bei der Inflationsrate und eine schnellere Übertragung von veränderten Kostenstrukturen der Unternehmen auf ihre Verkaufspreise.

Risiko falsche Sicherheit

Um mit der Unsicherheit beim Inflationsausblick besser umgehen zu können, wird die EZB neben ihrem Basisszenario auch alternative Ausgänge präsentieren. Die geldpolitischen Entscheidungen sollen dann nicht nur im Einklang mit dem Basisszenario, sondern auch mit der Risikobewertung stehen.

In der Vergangenheit hat die EZB bereits vereinzelt solche Alternativszenarien veröffentlicht. Dazu zählen etwa der Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine oder zuletzt der israelische Angriff auf den Iran. In anderen Fällen ist es unterblieben, hätte laut Lagarde rückblickend jedoch großen Nutzen gehabt. Als Beispiel nennt sie 2021 als unklar war, wie schnell die Menschen in der Pandemie geimpft werden und wie lange Corona noch Folgen für die Wirtschaft hat. „Eine Szenarioanalyse hätte dazu beitragen können, zu verdeutlichen, dass die Bandbreite möglicher Inflationsergebnisse ungewöhnlich groß war – und sie hätte das Risiko, der Öffentlichkeit eine falsche Sicherheit zu vermitteln, verringert“, sagte sie.

Von einzelnen Instrumenten in der Geldpolitik hat sich die EZB bei der Strategieüberprüfung nicht verabschiedet. Ihr zukünftiger Einsatz müsse jedoch „angemessen“ sein. Die Wortwahl unterstreicht laut Lagarde, „dass die Wahl der Instrumente und die Intensität, mit der wir sie einsetzen, der Verhältnismäßigkeit entsprechen müssen“. Dies könnte ein Hinweis sein, dass einige im EZB-Rat den langen Einsatz von Quantative Easing (QE) in der Vergangenheit rückblickend als falsch betrachten. Womöglich sind die Hürden für QE damit künftig höher.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.