Lob und Kritik für konzertierte Aktion
Von Mark Schrörs, Frankfurt
Nach dem zweiten Treffen stößt die konzertierte Aktion der Bundesregierung gegen die hohe Inflation bei Top-Ökonomen auf ein zunehmend geteiltes Echo. Das zeigt eine Umfrage der Börsen-Zeitung. Das gilt konkret auch für das Vorhaben der Ampel-Regierung, im Kampf gegen die Inflation und zur Entlastung der Bürger Sonderzahlungen bis 3000 Euro steuer- und sozialabgabenfrei zu stellen, wenn sich Arbeitgeber und Gewerkschaften darauf verständigen. Angesichts der Teuerung nehmen die Experten vor allem die Europäische Zentralbank (EZB) in den Blick – wobei umstritten ist, wie stark die EZB den Zins noch anheben sollte.
Im Juni hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die konzertierte Aktion aus Vertretern der Arbeitgeber und Gewerkschaften, dem Sachverständigenrat und der Bundesbank ins Leben gerufen. Die Teuerung in Deutschland liegt so hoch wie seit Jahrzehnten nicht (siehe Grafik). Nach EU-harmonisierter Rechnung lag sie im August bei 8,8%, in nationaler Rechnung bei 7,9%. Für den Herbst drohen zweistellige Inflationsraten.
Nach dem zweiten Treffen am Donnerstagabend hatte die Bundesregierung eine Expertenkommission eingesetzt, die im Oktober Vorschläge zu den hohen Wärme- und Gaskosten vorlegen soll. Bereits im Entlastungspaket hatte sich die Ampel-Koalition darauf verständigt, Sonderzahlungen bis 3000 Euro steuer- und sozialabgabenfrei zu stellen. Am Donnerstag rief Scholz die Arbeitgeber dazu auf, diese Möglichkeit zu nutzen. Die CDU kritisierte die Konzertierte Aktion als „Luftnummer“.
„Soweit ich es überblicke, hat die konzertierte Aktion zu keinen konkreten Ergebnissen geführt. Das ist nicht überraschend“, sagte Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts, in der Umfrage der Börsen-Zeitung. „Das Instrument der konzertierten Aktion kann geeignet sein, eine Lohn-Preis-Spirale zu bekämpfen. Eine solche Lohn-Preis-Spirale ist zumindest bislang in Deutschland noch nicht sichtbar.“ Die Inflation in Deutschland habe andere Ursachen, so Fuest. „Alles in allem dürfte eine konzertierte Aktion nur einen begrenzten Einfluss auf die Lohnabschlüsse und die Inflation haben“, sagte auch Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer.
Dagegen lobte Marcel Fratzscher, Präsident des DIW Berlin: „Die konzertierte Aktion ist eine gute und richtige Initiative des Bundeskanzlers.“ Es dürfe aber nicht nur um die Frage gehen, wie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer möglichst viel zu einer wirtschaftlichen Entlastung beitragen können. Auch die Unternehmen müssten „ihren Beitrag leisten und sich an den hohen sozialen Kosten der Inflation beteiligen“. „Die Bundesregierung kann mit einem überzeugenden Entlastungspaket für Menschen und Unternehmen eine wichtige Rolle in den Verhandlungen spielen“, so Fratzscher.
Zur geplanten Expertenkommission sagt Commerzbank-Chefökonom Krämer: „Von einer Expertenkommission zum Bremsen der hohen Energiekosten sollte man nicht viel erwarten. Am Ende wird es eine politische Entscheidung sein, ob zum Beispiel die Kernkraftwerke länger betrieben werden.“ Diese Frage ist hoch umstritten in der Ampel-Koalition. Dagegen erklärt Michael Hüther, Chef des arbeitgebernahen IW Köln, die Kommission könne dabei helfen, vor allem kleine und mittlere Unternehmen von den hohen Energiekosten zu entlasten. „Der extrem hohe Gaspreis in Europa belastet nicht nur aktuell die Wirtschaftlichkeit der Unternehmen, sondern gefährdet über immer attraktiver werdende Verlagerungen in die USA oder nach China auch den deutschen Standort“, sagt Hüther.
Geteilt sind die Meinungen auch über die geplante Sonderzahlung. „Die Steuerbefreiung einmaliger Lohnzahlungen kann bei den anstehenden, schwierigen Tarifverhandlungen helfen, den Anstieg der Lohnkosten etwas zu dämpfen“, sagt Commerzbank-Chefökonom Krämer. „Aber auf Dauer sollte der Staat Tarifabschlüsse nicht subventionieren.“ Dagegen warnt Volker Wieland, Ex-Wirtschaftsweiser und Wirtschaftsprofessor in Frankfurt: „Den Mechanismus der fortgesetzten Inflation hält die Regierung durch Zuzahlungen nicht auf, sondern verstärkt ihn wahrscheinlich noch. Am besten wäre, sie hielte sich raus.“ Dann würden die Tarifverhandlungen zeigen, wo die Löhne steigen können und wo nicht „Raushalten will sich unser Bundeskanzler aber keinesfalls, hat doch schon die politische Erhöhung des Mindestlohns um mehr als 20% zum Wahlsieg im letzten Jahr beigetragen“, so Wieland.
Zumindest auf lange Sicht sehen die Experten aber vor allem die EZB in der Pflicht. Während nahezu alle weitere Zinserhöhungen fordern, ist der Umfang umstritten. „Die Notenbank sollte nicht das Risiko eingehen, eine Stabilisierungsrezession auszulösen. Trotz weiterhin hoher Inflation jedenfalls im ersten Halbjahr sollten die Notenbankzinsen bei 2,5% ein angemessenes Niveau erreichen“, sagt Hüther. Wieland ist da anderer Meinung: „Selbst wenn die EZB die Zinsen, wie derzeit von den Finanzmärkten erwartet, bis nächstes Jahr auf 2,5% anhebt, ist es fraglich, ob das reichen würde, denn die reale Verzinsung wäre dann immer noch negativ, und die Geldpolitik würde die Nachfrage stützen.“